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Politik

Angriff der Untertanen

Die Aufsatzsammlung »Vorsicht Volk« untersucht Pegida & Co.

  Angriff der Untertanen | Die Aufsatzsammlung »Vorsicht Volk« untersucht Pegida & Co.

»Vorsicht Volk!«: Der Buchtitel macht frei heraus klar, was die Zielrichtung ist. In Zeiten, wo das »Volk« an jeder Ecke als Beschwörungsformel herumspukt und »Volksverräter« wieder als Schmähwort en vogue ist, gilt es, die Bevölkerung übers Volk aufzuklären.

Reichbürgeransichten sind salonfähig, die AfD wird als ernstzunehmende Partei gehandelt, Wladimir Putin und Viktor Orbán werden als rettende Heilsfiguren beschworen und jeder, der ein Ressentiment oder verkürzte Kritik auf die Straßen trägt, darf als besorgter Bürger gelten. Die versammelten Autorinnen und Autoren haben sich verschiedene Aspekte jener völkischen Zuckungen angeschaut, die seit zwei Jahren mit den Montagsmahnwachen und besonders massenhaft mit Pegida, die als Urmutter aller Gidastrophen einige Abkömmlinge zu verzeichnen hat, durch Stadt und Land trotte(l)n.

Ein paar Ad-hoc-Texte befinden sich darunter, die nicht in ihrer Haltung, aber in der qualitativen Analyse doch hinter dem Gros der Beiträge zurückbleiben. Warum zum wichtigen Thema »Extremismus der Mitte« ein eineinhalbseitiger Kommentar – zudem schon in einer Zeitung zuerst veröffentlicht – reichen soll, ist unverständlich. Manch anderer Text könnte auch ein bisschen inhaltsvoller sein, statt sich nur gut zu lesen.

Aber das ist eher Kritteln auf hohem Niveau, kleine Stil- statt Fundamentalkritik, weil doch massive Bausteine einer Kritik am gegenwärtigen Normalzustand zusammengetragen werden. Wenn etwa Patrick Gensing noch einmal griffig zusammenfasst, wie sich das, was sich früher Stammtisch nannte, heute in Facebook-Gruppen etc. organisiert und losschlägt, und digitales Opfergeheule und Verschwörungskitsch jene zusammenhält, die eben zusammenhalten wollen. Bei Elke Wittich ist bündig nachzulesen, wie die »Lügenpresse« in die Welt kam und weshalb schon vor einigen Jahren Teile der Piratenpartei ganz ergötzt davon waren, alle Medien in einen Sack zu packen und draufzuhauen. »Die Hauptaufgabe der Presse ist nämlich für Pegida-Anhänger etwas namens ›objektive Berichterstattung‹, also ganz einfach das zu schreiben, was sie selbst denken.« Warum man laut Gerichtsurteil Antisemitismus nicht mehr als solchen benennen darf: Deniz Yücel versucht das Unfassbare begreiflich zu machen – die Richterlogik erschließt sich freilich nicht. Kursorisch kurz, aber prägnant erhellt Heiko Werning den Zusammenhang von Zoo – am Dresdner Beispiel – und kolonialistischer Lust am Exotismus, analytischer untersucht Anselm Neft das Drinnen und Draußen als Fundament aller Kollektivkonstruktion, wo bei solcher Gruppenbildung die als anders Ausgemachten immer auf der Strecke bleiben. Wie Putin zum schillernden Retter – man denke ans Legida-Plakat »Putin rette uns« – auf rechter wie auf linker Seite avancieren konnte, zeigt Jörn Schulz ebenso, wie Projektionen der eigenen Welt-Anschauung eben zu blinden Flecken führen müssen. Die einen sehen den starken Mann, den sie vermissen – da ist dann der »Arier-Nachweis« nicht mehr ganz so wichtig, immerhin ist er ja weiß –, die anderen bleiben einer komischen UdSSR-Fanliebe verhaftet und sehen Putins Russland als antiimperialistischen Garanten gegen die USA und wischen Autokratie und Unterdrückung vom Tisch. In ähnlicher Stoßrichtung erklärt Klaus Lederer, was einige Linke so attraktiv an der »neuen Friedensbewegung« finden. Den Querfrontgedanken zurück bis in die Weimarer Republik verfolgt Ivo Bozic und zeigt in einer »ideologischen Schnittmengenlehre«, wie virulent der Versuch des links-rechten Schulterschlusses weiterhin ist.

»Vorsicht Volk!« taugt als Back-up-Lektüre, um sich noch einmal bewusst zu machen, welche Positionen sich hinter dem Ruf nach Volksermächtigung und starken Anführern verbergen und warum einem das nicht egal sein kann. Patrick Gensing hat die beste Formulierung getroffen: »Die neuen Wutbürger betonen dabei, sie folgen keiner Ideologie, man sei ganz normal und lediglich besorgt ob der Veränderungen. Demokratie bedeutet ihrem Verständnis nach, immer den Willen der ›normalen‹ Mehrheit (also der eigenen) durchzusetzen – Minderheitenrechte und Kompromisse sind bestenfalls egal. ... Wir erleben somit die Wiederkehr der nationalistischen Antidemokraten, die sich nicht mehr mit der komplizierten Welt auseinandersetzen wollen. Sie folgen eigentlich nur einer Sehnsucht: Endlich wieder ungestört Untertanen sein.«


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