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Kultur

»Die Lösung kann Kartoffelbrei heißen«

»Dance Transit«: Sebastian Göschel über das Festival und den Mixed-abled-Ansatz

  »Die Lösung kann Kartoffelbrei heißen« | »Dance Transit«: Sebastian Göschel über das Festival und den Mixed-abled-Ansatz

Mixed abled – Theater mit Menschen mit Einschränkungen – ist in Mode gekommen. Am Lofft Leipzig hat man sich des Themas schon vor Längerem angenommen. Öffentlichkeitsarbeiter Sebastian Göschel erklärt im Gespräch, warum das Theaterhaus hier nicht einfach einem Trend folgt und wohin die Reise künstlerisch gehen könnte.

kreuzer: Was genau ist »Dance Transit«?

SEBASTIAN GÖSCHEL: Wir sind vier Häuser in drei Städten – Prag, Dresden, Leipzig –, die sich zu einer Art mobilem Festival zusammengeschlossen haben. Jeder packt einen Pool lokaler Tanzstücke zusammen und aus diesem suchen wir dann passende Stücke für ein Programm aus. Das ist ein spannender Austausch. Wir haben etwas Ähnliches mit dem »Tanztausch«, wo der Großraum Köln und Tilburg beteiligt sind.

kreuzer: Das ist natürlich auch ein Weg, um Gastspiele herzubekommen.

GÖSCHEL: Genau. Es gibt zu wenig Gastspielgelder, um Produktionen herzubekommen, und zu wenig Geld, um Leipziger Stücke woanders spielen zu lassen. Dem soll ein Austausch wie »Dance Transit« abhelfen.

kreuzer: Dieses Jahr ist das Motto »mixed abled«, warum?

GÖSCHEL: Das war nicht zwingend, hat sich ergeben. Wir haben das Stück von VerTeDance aus Prag gesehen und dachten: Wow, wie geil. Das ist eine arrivierte Gruppe, die schon länger in dem Bereich auf hohem Level arbeitet. Wir fanden das allein aus künstlerischen Gesichtspunkten toll und haben dann gesucht, was dazu passt. Da kamen wir aufs Leipziger Tanzlabor, die ihr richtig gutes Stück »Mashed Potato« bisher aus finanziellen Gründen nicht wieder aufgeführt haben. Die Regisseurin Liron Dinowitz hat eine sehr witzige Art zu inszenieren. Sie lebt stark in der jüdischen Geschichtenerzähltradition und geht in der Inszenierung davon aus, dass für alle Probleme im Leben eine Lösung, ein Lösungskatalog existiert. Und so stehen die Spieler auf der Bühne ständig vor absurden Herausforderungen. Das ist auch ein bisschen lakonisch und mit einem Augenzwinkern. Da kann die Lösung schon mal Kartoffelbrei heißen. Das macht unwahrscheinlich viel Spaß – sichtlich auch den Spielern, wenn Ungewolltes in Impro-Elementen passiert.

kreuzer: Die Dresdner Produktion »Multifil Identity« kommt aus einem sozio-kulturellen Projekt?

GÖSCHEL: Das war ein riesengroßes Projekt im Hygiene-Museum. Zwischen sozio-kulturellen Parts waren Tanzszenen, die uns umgehauen haben. Aus diesen Szenen wurde jetzt ein Bühnenstück gebaut. Das ist dann der Abschluss der bunten drei Tage, für die es ein ultra vergünstigtes Festivalticket gibt. Die Abende sind übrigens sehr verschieden, einzige Konstante ist, dass da ein Rollstuhl auf der Bühne steht.

kreuzer: Es ging bei der Auswahl also nicht zuerst ums Label »mixed abled«?

GÖSCHEL: Nein, aber im Lofft sind wir ein bisschen sensibler und wacher in Bezug auf das Thema. Das ist seit sieben Jahren ein Lofft-Schwerpunkt, der sich stets vergrößert hat. Es fing 2008 mit einer Produktion des Tanzlabors an, die die Kollegen einfach spannend fanden. Dann wurden die immer größer, bekamen den Bewegungskunstpreis und wir waren schließlich für die Tanzoffensive 2013 neugierig, was es noch für Gruppen und Produktionen gibt. Und das wurde dann zu einer tragenden Säule des Loffts, was sich schnell herumsprach und weswegen wir sogar internationale Anfragen bekommen. Da muss man natürlich aufpassen, dass man das Label nicht einfach als Label nutzt.

kreuzer: Sondern wie?

GÖSCHEL: Nicht als modischen Gag. Das Einzige, was wir beurteilen können, ist das Künstlerische. Sobald wir anfangen, therapeutisch oder pädagogisch zu beurteilen, sind wir die falschen Personen dafür und auch das falsche Haus. Wir behandeln daher auch alle Anfragen nach dem künstlerischen Wert, behandeln sie nur dahingehend gesondert, dass es einen eigenen Topf für mixed abled gibt wie für Musiktheater und Tanz. Wenn sich daraus für die Darsteller auch ein therapeutischer Nutzen ergibt, ist das toll. Aber darum kann es uns nicht gehen. Bei einer Produktion kam eine Rollstuhlfahrerin an und meinte, sie könne jetzt 90 Grad aufrecht sitzen. Das hätten ihre Therapeuten nicht geschafft, aber das hätte sie eben für die Bühne gebraucht. Das ist natürlich riesig, wenn so etwas entsteht, aber das kann nicht unser Ziel sein. Da merken wir allerdings: Wir machen das Richtige, ohne das Richtige zu wollen. Um es zu betonen: Die verwendeten Gelder kommen komplett aus dem Topf darstellende Kunst, hier wird nichts aus der Sozio-Kultur umgelenkt.

kreuzer: In wie weit soll man dann noch »mixes abled« draufschreiben?

GÖSCHEL: Berechtigte Frage, es geht ja darum, sie als ganz normale Mitglieder der Gesellschaft anzusehen. Wir setzen das Wort sehr sparsam ein. Auf den Plakaten und Flyern steht es nicht groß drauf und man sieht es auch nicht auf den Bildmotiven. Es heißt nur einmal: »Die inhaltliche Klammer bildet mixed abled«. Da sind wir sehr zurückhaltend. Aber es stimmt schon, das ist derzeit eine leichte Modeerscheinung, wobei man es hier lokal kaum zu sehen bekommt als Zuschauer außerhalb des Loffts. Und was interessant ist: Das Thema ist sehr publikumsstark. Aber wir werden die Sache nicht aus Prinzip weiterverfolgen. Das heißt, es müssen neue Dinge damit passieren.

kreuzer: Zum Beispiel?

GÖSCHEL: Das ist ja für mich die offene spannende Frage, wo das hingeht. Beim Ballett gab es mal eine Körpernorm, die wurde dann mit dem Aufkommen des freien zeitgenössischen Tanzes abgeschafft. Es gab nicht mehr nur den schönen, schlanken Körper, sondern auch andere. Kein Kritiker würde heute thematisieren, wenn eine Tänzerin mehr auf den Hüften hat. Wäre es da für die Zukunft nicht toll, wenn ich nicht mehr »mixed abled« draufschreibe, sondern einfach »Tanz«? In der Schweiz kann man in der Behindertenwerkstatt Tänzer werden als Ausbildung, in Deutschland nur Tüten kleben. Warum? Künstlerisch gesehen: Warum macht das nicht mal ein behinderter Choreograf? Wenn zum Beispiel ein Mensch mit einem Spasmus choreografiert, also Tänzer ohne Behinderung mit seinem Bewegungsmaterial konfrontiert. Nichts anderes hat ein Choreograf ja zur Verfügung als sein Bewegungsmaterial. Das wäre für mich der nächste Schritt, wie es heute normal ist, dass jemand ohne Behinderung Produktionen mit behinderten Tänzern macht. Da muss man wie bei jeder Mode fragen: Wo landet das? Kann auch sein, dass das Thema abrupt vorbei ist, weil es Mode wird, mit Flüchtlingen zu inszenieren oder so.


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