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Kultur

»Im Mangel liegt oft Kraft«

Michael Rother über Unerhörtes, mathematische Musik und Gitarren wie Synthies

  »Im Mangel liegt oft Kraft« | Michael Rother über Unerhörtes, mathematische Musik und Gitarren wie Synthies

Brian Eno nannte die deutsche Krautrock-Band Harmonia einmal »world´s most important rock group«, David Bowie schwärmte für Neu! und die Red Hot Chili Peppers gehören zu seinen größten Fans. Michael Rother, Gitarrist bei Neu!, Harmonia und Komponist einiger Soloalben, ist eines der Gesichter des sogenannten Krautrocks. Der 65-Jährige hat sich vor seinem Konzert in Leipzig in seinem Fachwerkhaus im Weserbergland Zeit für ein Interview genommen und erzählt, wie die digitale Welt das Musikmachen verändert hat, warum er lieber live als im Studio spielt und von einem Telefonat mit Bowie.

kreuzer: Krautrock ist ja mittlerweile wieder hip geworden. Viele junge Musiker folgen Ihrem Vorbild aus den 70er Jahren. Denken Sie, dass diese Art von Musik, die ja sehr improvisiert, experimentell und frei ist, in unsere Zeit passt?

MICHAEL ROTHER: Das ist eine interessante Frage. Ich kann nachvollziehen, dass sich Bands in einer Zeit, die so nach Perfektion strebt, nach dem Damaligen sehnen. Ich finde es schön, wenn Musiker und Menschen generell ihren Horizont erweitern und auch erkennen, was es an schöner Musik aus allen möglichen Kulturen gegeben hat. Und nicht nur Top-Twenty-Schlager zu hören. Da verkümmert vieles.

kreuzer: Aber was unterscheidet diese Musiker von Ihnen in den 70ern?

ROTHER: Die Musik vom Ende der 60er, Anfang 70er nachzuspielen, ist in Ordnung, aber oft denke ich: Der Grundgedanke von damals war, anders zu klingen. Etwas Unerhörtes machen, das nicht auf bekannte Strukturen zurückgreift. Und ich glaube, dass dieses Element maßgeblich daran beteiligt ist, dass wir im Ausland immer noch als relevant angesehen werden. Dieser Geist des Neuschöpfens. Ich würde mir wünschen, dass die Musiker, die das verehren, was wir vor 40 Jahren gemacht haben, öfter erkennen, dass dazu auch dieser Geist gehörte. Ich akzeptiere, dass heutzutage eine ganz andere Situation herrscht, in der alles überall und immer verfügbar ist und jeder jeden hört. Damals lebten wir auf einer Insel, wir wussten nicht, was auf der Welt passierte. Ich habe die Ohren zugemacht, um mich auf mich selbst zu konzentrieren, aber das war relativ einfach. Heute gibt es YouTube und so weiter. Es ist eine Herausforderung, aus der Vielzahl an Musik zu selektieren und herauszufiltern. Die Ruhe hat ein Zwanzigjähriger heute nicht.

kreuzer: Sie waren einer der ersten, der vor Jahrzehnten mit Computern experimentiert hat. Seitdem hat sich die Technik stark entwickelt. Statt tausend Geräten benötigt man heute nur einen Laptop. Empfinden Sie die neuen Möglichkeiten als Hindernis oder als Bereicherung für Musiker?

ROTHER: Das ist ein zweischneidiges Schwert: Im Mangel liegt ja oft eine Kraft, also ein Reiz. In den frühen Siebzigern hat unserer Produzent Conny Plank im Studio einen Mix erstellt mit einer Bandmaschine, mit der er ein Delay machen konnte, und einer Hallplatte nebenan. Alles andere war das Resultat seiner Begabung und Fantasie. Mein Instrumentarium war das simple Rockinstrumentarium: Gitarre, Verzerrer, Wah-Wah-Pedal und noch ein Equalizer. Was viele Fans für Klänge aus dem Synthesizer gehalten habe, waren in Wirklichkeit Gitarren, die etwas anders klangen, weil ich sie anders gespielt habe. Auf dem ersten Neu!-Album findet sich auch kein einziger synthetischer Ton.

kreuzer: Wann kam der erste Computer ins Spiel?

ROTHER: Erst als sich Anfang der 80er Jahre meine ersten Soloalben sehr erfolgreich verkauften, konnte ich mir einen wahnsinnig teuren Fairlight-Musikcomputer kaufen. Das war damals das einzige Gerät, mit dem man Samples aufnehmen konnte. Auch Kate Bush und Peter Gabriel benutzten den. Mit dem Fairlight entstand 1982/83 zum großen Teil das Album »Lust«. Das war eher mathematisches Musikschreiben, denn für die Stücke nutzte ich elektronische Partituren. Das hatte den Vorteil, dass sich Dinge machen konnte, die ich auf herkömmlichen Instrumenten nie hätte spielen können, da ich keine klassische Ausbildung genossen hatte.

kreuzer: Arbeiten Sie heute immer noch so?

ROTHER: Ich arbeite mit Musikprogrammen auf dem Ipad. Das ist sehr praktisch, da die Geräte immer kleiner werden und die Prozessorleistung immer besser wird. Heute hat jedes Computerprogramm mehr Möglichkeiten, als ich in den ersten zwanzig Jahren hatte. Aber der Umstand, dass der Musiker die Entscheidung selber treffen muss, hat sich nicht geändert. Er muss erstmal auch eine Idee, eine Vision der Musik haben. Das nimmt einem kein Gerät ab, auch das Ipad nicht.

kreuzer: Um es auf den Punkt zu bringen: Analog oder digital?

ROTHER: John Frusciante, der früher bei den Red Hot Chili Peppers Gitarre spielte, hat mich vor elf Jahren besucht. Er ging fast in die Knie, als er meine analoge Aufnahmetechnik sah (lacht). Aber ich nehme schon lange nur noch digital auf. Das klingt auch alles wunderbar. Denn am Ende zählt doch die Idee, die hinter Musik steckt, und nicht die Technik.

kreuzer: Haben Sie in der letzten Zeit an neuen Stücken gearbeitet?

ROTHER: Im vergangenen Jahr saß ich an der Harmonia-Box (erschien am 21.10. 2015 auf Grönland Records). Ein großes Projekt, das beinahe so viel Zeit gekostet hat wie eine Soloplatte aufzunehmen. Ich arbeite gerade sehr gern auf der Bühne. Im Studio abzuhängen und an Sounds zu feilen habe ich schon so oft gemacht, dass ich – ehrlich gesagt – die Lust verloren habe. Oder, um es positiv auszudrücken: Ich empfinde mehr, wenn ich mit der Musik direkt im Austausch mit dem Publikum stehe.

kreuzer: Viele dieser Songs sind aus Improvisationen entstanden. Ist es möglich, diese Songs live wie auf Platte wiederzugeben? 

ROTHER: Das ist nicht unbedingt mein Ehrgeiz. Es gibt Elemente, die meistens von den Fans wiedererkannt werden, wie zum Beispiel die Rhythmusgitarre bei »HalloGallo« oder das Thema von »De Luxe«. Da ich mir die Freiheit nehme, die Stücke nicht nach nostalgischen Gesichtspunkten aufzuführen, sondern unter Berücksichtigung meines aktuellen Denkens meiner Musik, fallen die Stücke auch etwas anders aus. Viele Songs sind heutzutage deutlich rhythmischer. Es kommt also nicht darauf an, sklavisch am Original zu kleben, sondern den Gedanken, die Idee hinter der Musik in die heutige Zeit zu bringen.

kreuzer: Auch David Bowie nannte Neu und Harmonia als seine Einflüsse. Wie ist es andersherum: Hat Bowies Musik Sie beeinflusst? 

ROTHER: Das klingt jetzt ungerecht. Aber ich war nie ein großer Bowie-Fan. Klaus Dinger (Schlagzeuger bei Neu!, 2008 verstorben) war dagegen ein großer Fan. Mir gefallen einzelne Stücke sehr. Aber ich könnte nicht sagen, dass mich Bowie tief inspiriert hat. Ich habe aber trotzdem sehr großen Respekt vor seiner Leistung. Und die Platten habe ich natürlich alle im Schrank.

kreuzer: Wie haben Sie von seinem Tod erfahren? 

ROTHER: Ich war in Hamburg und habe den Fehler gemacht, im Bett mein iPad aufzumachen. Dann sah ich die Nachrichten und der Tag fing gleich sehr schlecht an. Ich war zwar nicht befreundet mit ihm, aber es gab da ja diese Verbindung zwischen uns und irgendwie hat mich das doch sehr unfroh gemacht. Wenn ich jetzt weiter drüber nachdenke, wundere ich, dass es so gut gelungen ist, seine Krebserkrankung über anderthalb Jahre geheim zu halten. Sein Umfeld muss sehr intakt gewesen sein.

kreuzer: Hatten Sie überhaupt Kontakt zu David Bowie? 

ROTHER: Ja, es gibt diese geheimnisvolle Geschichte 1977. Brian Eno war 1976 zu Besuch und war auf dem Weg zur Aufnahme von Bowies Albums »Low«. 1977 kontaktierte mich Bowie dann mit der Frage, ob ich nicht Lust hätte, an »Heroes« mitzuarbeiten. Ich sprach mit mehreren Leuten aus Bowies, Sekretärinnen und Manager und führte ein langes Telefonat mit Bowie selbst, in dem wir uns schon ganz konkret und euphorisch über die Musik und Instrumentierung unterhielten und ich noch Jaki Liebezeit (Schlagzeuger von Can) ins Spiel brachte. Am Ende klappte es nicht.

kreuzer: Warum nicht?

ROTHER: Meine Vermutung ist, dass sich Bowies Umfeld sich bewusst gegen uns entschieden hat. Denn die Alben nach der  Ziggy-Stardust-Ära waren bei Fans nicht sehr beliebt. Die Verkäufe stürzten ab. Da dachten sich die Manager: Bowie darf nicht noch experimenteller werden und sich den Einflüssen noch eines verrückten Deutschen aussetzen. Mir sagte man, er hätte seine Meinung geändert. Bowie selbst hat in Interviews später gesagt: »Michael turned me down«. Uns wurde also jeweils gesagt, der andere hat sich anders entschieden. In der Zeit ohne Handys und Email ging diese Art der Beeinflussung noch.


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