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Kultur

Die schönsten Leseorte der Buchmesse

Zu welcher Lesung soll ich gehen? Wir erleichtern Ihnen die Qual der Wahl

  Die schönsten Leseorte der Buchmesse | Zu welcher Lesung soll ich gehen? Wir erleichtern Ihnen die Qual der Wahl

Was haben der Geisterseher Emanuel Swedenborg, der indische Guru Sathya Sai Baba und der Heilige Padre Pio gemeinsam? Alle drei besaßen (wenigstens wird es ihnen nachgesagt) die Gabe der Bilokation. Das heißt, sie verfügten über die beneidenswerte Fähigkeit, sich an zwei Orten gleichzeitig aufzuhalten. Für die Buchmesse mit all ihren synchronen Veranstaltungen wäre die Bilokation eine feine Sache. Wobei eine »Zweiörtlichkeit« eigentlich nicht ausreichte; an manchen Abenden brauchte man eine Ter-, Quater- oder sogar eine Quinquieslokation … Aber das überstiege selbst die Fähigkeiten von Gurus und Heiligen. Es hilft alles nichts: Wir Normalsterbliche, die wir an Zeit und Raum gebunden sind, müssen uns schlechterdings entscheiden, welche Lesung wir mit unserer körperlichen Anwesenheit beehren. Immerhin können wir auf dem genialen Blog »Leipzig lauscht« – ob nun zu unserem Ärger oder unserem Trost – erfahren, was wir verpasst haben. Jedenfalls: Um Ihnen die Qual der Wahl ein wenig zu erleichtern, haben wir die »Leipzig-lauscht«-Studenten gebeten, in diesem :logbuch ihre zwölf liebsten Leipziger Leseorte vorzustellen. Nach guter alter kreuzer-Tradition sind sie dabei streng subjektiv-selektiv vorgegangen. Wenn also eine Lesestätte nicht vorkommt, bedeutet das keinesfalls, sie wäre etwa keinen Besuch wert. Uns ging es vor allem – aber nicht nur – um Orte, an denen in der buchmessefreien Zeit meist keine Lesungen stattfinden oder die man sonst vielleicht gar nicht oder nur selten besucht. Wir laden Sie herzlich ein, diese magischen Orte mit uns zu entdecken. OLAF SCHMIDT

 

Deutsche Nationalbibliothek – Die Bücherarche

Deutscher Platz 1 – was für eine Adresse! Nicht weniger imposant gibt sich das Gesamtensemble der Deutschen Nationalbibliothek (DNB). An den in pathetischem Spätwilhelminismus gegossenen Ursprungsbau fügen sich kontrastreich und irgendwie doch bruchlos kantig der Magazinturm und der jüngste schwungvolle Erweiterungsbau in Aluminium und Glas. Funktionsbauten sehen anders aus, dabei erfüllt die DNB eine einfach zu beschreibende Aufgabe: Seit 1913 sammelt sie alle deutschsprachigen Publikationen. Da ist es nicht überraschend, sondern geradezu selbstverständlich, dass sich der Bücherhort auch als Leseort öffnet.

»Eine Arche ist eine Arche ist eine Arche« (Edition Momente), der Titel könnte glatt das Motto der DNB selbst sein. Im frisch erschienenen Buch – und eben auf ihrer Lesung – plaudert Elisabeth Raabe, die als Verlegerin 25 Jahre den Zürcher Arche Verlag leitete, über ihre Branchenerfahrungen. Zusammen mit Regina Vitali übernahm sie einen in die Jahre gekommenen Verlag und modernisierte ihn Zweiflern in der Szene zum Trotz zum Erscheinungsort literarischer Fundstücke. Der Verlag ist 2008 an die Oetinger-Gruppe verkauft worden. Raabe und Vitali konzentrieren sich seither mit dem Arche Kalender Verlag ganz aufs Verlegen schöner Datumspräsentationen. Vielleicht wird Raabe stellvertretend »Der große literarische Katzenkalender 2016« signieren? Immerhin rettete ein Exemplar davon die Buchhandlung Fleischmann in Connewitz, als dort ein bei einem Naziüberfall im Januar 2016 geworfener Brandsatz auf dem festen Fotopapier erlosch. Brennen für die Literatur sieht gewiss anders aus – Frau Raabe wird davon Bericht geben.

Um im Motiv zu bleiben: Mit »Oben das Feuer, unten der Berg« (Hanser) stellt Büchnerpreisträger Reinhard Jirgl seinen Roman über den langen Arm des DDR-Staatsapparats vor. Dreh- und Angelpunkt seiner im Jahr 2012 spielenden deutsch-deutschen Geschichtsstunde ist das Verschwinden einer einst kaltgestellten Historikerin. Im gleichen Jahr ist Anna Katharina Hahns Roman »Das Kleid meiner Mutter« (Suhrkamp) angesiedelt, den sie auszugsweise im holzvertäfelten großen Lesesaal präsentiert, wo der zur hohen Decke sinnierend starrende Leser regelmäßig von der Kunst am Innenbau erschlagen wird. Generationsepos, Familien- und Liebesgeschichte zugleich, nimmt das Buch die Eurokrise und andere Gegenwartsschocks ins Visier. Alle Handlungsstränge laufen auf einen mysteriösen Schriftsteller zu, der über Leichen gehen soll. Wenn der nicht nur Fiktion ist, findet sich sein Werk mit Sicherheit im Bestand der Deutschen Nationalbibliothek. TOBIAS PRÜWER

Deutsche Nationalbibliothek, Deutscher Platz 1, www.dnb.de

 

Never say anything – Landgericht Leipzig

Für den »Krimi-Club« könnte die Kulisse nicht passender sein. Die holzvertäfelten Wände, die Kassettendecke mit Oberlicht, der Balkon mit hölzerner Brüstung über der Eingangstür – das Ambiente ist wie geschaffen für Geschichten über Korruption, Drogenhandel, Erpressung, Entführung, Mord und Totschlag. Wo im realen Justizalltag unter anderem der Verfassungsgerichtshof Sachsen seine Verhandlungen abhält, geht es bei »Leipzig liest« um fiktive Verbrechen. Nachdem im vergangenen Jahr hier der dänische Star-Autor Jussi Adler-Olsen seinen Auftritt hatte, wartet auch das aktuelle Programm mit einheimischen und internationalen Krimi-Größen auf. Zum Auftakt am Donnerstagabend liest Friedrich Ani aus »Der einsame Engel«, dem zwanzigsten und vorerst letzten Kriminalroman mit Kommissar Tabor Süden. Gespannt dürfen wir auch auf den Polit-Thriller »Never Say Anything« des Nahostexperten Michael Lüders sein, der durch seinen Sachbuch-Bestseller »Wer den Wind sät« viel Aufmerksamkeit erhielt. Der israelische Autor Dror Mishani stellt mit »Die Möglichkeit eines Verbrechens« den zweiten Fall seines Inspektors Avi Avraham vor, und Petra Hammesfahr liest aus »Fremdes Leben«. Darin erzählt sie die Geschichte einer Frau, die zwei Jahre lang im Koma gelegen haben soll und sich zunächst an nichts erinnern kann. Erst als das Bild eines kleinen Jungen, der in einer brennenden Wohnung nach seiner Mutter ruft, in ihrem Kopf auftaucht, keimt ein entsetzlicher Verdacht auf … Aber mehr sei nicht verraten. Denn Krimi-Fans können eine Menge vertragen, nur bei Spoilern verstehen sie bekanntlich keinen Spaß. DANIELA GÖCKERITZ

Landgericht Leipzig, Harkortstr. 9, www.justiz.sachsen.de

 

»Immer bereit!« – Schulmuseum

Mittwochvormittag, 11 Uhr: Im Zimmer der Klasse 3 wird getuschelt, Bücher werden ausgeteilt und Stühle verrückt. Heimatkunde steht auf dem Stundenplan. Melanie, die Ordnungsschülerin, wartet an der Tür. »Pioniere, Achtung!«, ruft sie und eilt nach vorne zum Lehrerpult. Die Schüler erheben sich, nehmen Haltung an. Eine Frau im Dederonkostüm betritt den Raum. Die Ordnungsschülerin sagt: »Frau Roth, ich melde: Die Klasse 3 ist zum Unterricht bereit.« Frau Roth nickt ihr wohlwollend zu, streckt den angewinkelten Arm über den Kopf, begrüßt die Schüler: »Seid bereit!« »Immer bereit!«, antworten ihr fünfzehn Lehramtsstudenten der Universität Leipzig.

Die Seminargruppe hat im Schulmuseum eine Reise in die Vergangenheit gebucht. Regelmäßig werden hier Unterrichtsstunden im Stil der DDR oder der Kaiserzeit abgehalten. Nicht nur die Verkleidungen der Lehrer, die Einrichtung der Klassenräume und die originalen Schulbücher geben einen Einblick in den damaligen Schulalltag. Es riecht hier nach Schule: Eine Mischung aus Bohnerwachs, Schulspeisung und altem Papier liegt in der Luft. »Schule und Lesen sind ja ganz eng miteinander verbunden«, sagt Thomas Töpfer, der Leiter des Schulmuseums. Deswegen sei »Leipzig liest« für sein Haus ein Pflichttermin. Thematisch passen die Lesungen zum Veranstaltungsort: Ein Stadtführer für Kinder, ein Buch über Integration und Forschungen über die Bildung im Mittelalter stehen auf dem Programm. Vor dem Rohrstock oder den zehn Geboten der Thälmann-Pioniere braucht sich während der Veranstaltungen aber niemand zu fürchten.

Gelesen wird nicht in den historischen Klassenzimmern, sondern entweder in einem kleinen Konferenzraum oder ein Stockwerk höher, im großen Saal. Mit seinen hohen, holzvertäfelten Wänden und den großen Leuchtern an der Decke erinnert der Raum stark an die fünfziger Jahre, die Zeit, in der er von der Staatssicherheit als Kinosaal eingerichtet wurde. »Während der Buchmesse wird jedoch nur ein Teil des Raums genutzt, da sich hier zurzeit noch eine Dauerausstellung zum Thema der Friedlichen Revolution befindet«, erklärt Töpfer.

Das Museum ist auch während der Lesungen regulär geöffnet. Im Planetarium können naturwissenschaftliche Experimente durchgeführt werden, Kinder haben die Möglichkeit, die Räume spielerisch zu erkunden. Die Ausstellung beschäftigt sich nicht nur mit der Kaiserzeit und der DDR, sondern auch mit den Jahren zwischen 1933 und 1945. Besucher der Lesungen sollten also ruhig mehr Zeit einplanen. ELISABETH LEISKER

Schulmuseum – Werkstatt für Schulgeschichte Leipzig, Goerdelerring 20, www.schulmuseum.leipzig.de

 

Kunstmann bei Grundmann – Café Grundmann

»Wir sind hier im letzten Wiener Kaffeehaus, das es in Leipzig gibt«, sagt Eckehart Grundmann. Der Betreiber des Café Grundmann deutet auf die kleinen, runden Tische im Saal und bezeichnet sein Café als einen Ort der Kommunikation: »Die Leute können hier beim Essen miteinander reden, das ist anders als in herkömmlichen Restaurants, in denen jeder für sich sitzt.« Die Atmosphäre ist angenehm. Durch die große Fensterfront haben die Gäste einen Blick auf die Altbauten der angrenzenden August-Bebel Straße. An einer Wand hängen Zeichnungen und ein Klavier dient als Zeitschriftenständer. Das Personal ist freundlich, Stammgäste werden geduzt. Stimmengewusel dringt durch den Raum, in einer Ecke lachen zwei Frauen.

Während der Veranstaltungen von »Leipzig liest« wird es hier deutlich ruhiger, wenn auch nicht gerade weniger gut besucht sein. Im »Lesewinkel« des Cafés werden bei drei abendlichen Lesungen die Autoren Björn Bicker, Irmela Schautz und Michaela Vieser, Christian Maintz und Thomas Gsella auftreten. Deren Werke unterscheiden sich zwar thematisch voneinander, werden jedoch über den gleichen Verlag vertrieben: Der Antje Kunstmann Verlag aus München präsentiert seine Autoren zur Leipziger Buchmesse seit mehreren Jahren im Café Grundmann.

Die gemeinsame Geschichte von Grundmann und Kunstmann wird im Aufgang zu den Toiletten des Cafés deutlich. Hier hängen die Plakate für die Lesungen während »Leipzig liest« der letzten Jahre. Ihr Stil passt zur Innenausstattung des Cafés. Es wurde 1930 im Art-déco-Stil eingerichtet und ist seitdem nicht verändert worden. »Die Stühle und die Lampen an der Wand sind original, nur die Deckenlampen wurden nachkonstruiert«, erklärt Grundmann.

Im Tagesgeschäft gibt es etwas mehr als 100 Plätze für die Gäste. Eckehart Grundmann sagt: »Während der Veranstaltungen von ›Leipzig liest‹ werden jedoch zusätzliche Stühle in den Gastraum gestellt.« Der normale Restaurantbetrieb finde an diesen drei Abenden jedoch nicht statt. Gäste, die dennoch etwas essen oder trinken wollen, könnten das jedoch vor oder nach den Veranstaltungen tun. An den kleinen, runden Tischen im Café Grundmann wird während »Leipzig liest« nicht gegessen und getrunken, sondern gelauscht. ELISABETH LEISKER

Café Grundmann, August-Bebel-Str. 2, www.cafe-grundmann.de

 

Kunst auf dem Klo – Hochschule für Grafik und Buchkunst

Hinter dem etwas sperrigen Namen »Hochschule für Grafik und Buchkunst« – von den Einheimischen mit ihrer Vorliebe für Kürzel wie auch von den Profs und Studenten nur »HGB« genannt – verbirgt sich eine der angesehensten Kunsthochschulen Europas. Wer »irgendwas mit Medien oder so« machen will, ist hier an der falschen Adresse; hier geht es zunächst um das »Handwerk«: Leinwand bespannen, Farben mischen oder die Druckerpresse bedienen. Da man an der HGB unter anderem lernen kann, schöne Bücher zu machen, liegt es nahe, hier auch Lesungen stattfinden zu lassen. Verglichen mit seinen Nachbarn, dem Reichsgericht und der Universitätsbibliothek Albertina, wirkt die ebenfalls im 19. Jahrhundert erbaute HGB mit ihren strengen Formen fast wie das hässliche Entchen. Doch der erste Eindruck täuscht! Hinter dem wuchtigen Portal befindet sich ein grandioser Lichthof. Dahinter liegt als architektonischer Kontrapunkt die Galerie, die immer wieder Raum für interessante Ausstellungen bietet. Der Festsaal im ersten Stock und die darüber liegenden Atelierräume bieten einen unverhofft großartigen Blick über die Leipziger Innenstadt. Vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig ist der allgegenwärtige Geruch von Farbe und Terpentin. Aber hier wird eben nicht nur Kunst gezeigt, sondern auch Kunst gemacht. Sogar auf der Toilette. Böte man die herrlich verzierten Klo-Türen des HGB-Cafés zum Verkauf, könnte man vermutlich ein hübsches Sümmchen erzielen. Ansonsten sollten Sie am 17. März ab 20 Uhr einmal in der HGB vorbeischauen, da feiert nämlich der Verlag Reprodukt mit all seinen Autoren seinen 25. Geburtstag und präsentiert eine neue Graphic-Novel-Reihel. BERND VOGEL

Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (Academy of Fine Arts), Wächterstr. 11, www.hgb-leipzig.de


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