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»Zehn Jahre die Baustelle vor der Tür«

Das Spizz feiert seinen zwanzigsten Geburtstag

  »Zehn Jahre die Baustelle vor der Tür« | Das Spizz feiert seinen zwanzigsten Geburtstag

Wenn morgens 9 Uhr am Markt ringsum alles noch ruhig ist, zischt im Spizz schon die Kaffeemaschine, bestellen die ersten Gäste ihr Frühstück. Lutz Hilger, Reimer Augustin und René Sohr eröffneten am 21. März 1996 die Szenekneipe mit dem Jazzkeller und führen sie heute noch gemeinsam. Im Interview mit der kreuzer-Redaktion erzählt Lutz Hilger über Zufälle des Lebens, Leipziger Probleme der Liveclub-Szene und treue Stammgäste.

kreuzer: Wie fanden Sie sich als Trio zusammen?

LUTZ HILGER: Mit René Sohr, der eigentlich aus dem Baugewerbe kommt, führte ich als gelernter Gastronom noch zu DDR-Zeiten die Kneipe der Pfeffermühle. Reimer kam als Wendegänger der ersten Stunde aus Kiel, hatte dort Agrarwirtschaft studiert und eine Werbeagentur eröffnet. Er machte Flyer und Werbung für die Pfeffermühle, war Stammgast im Gohglmohsch und brachte uns Ideen und Spirituosen wie Tequila oder Sambuca von zu Hause mit, die es hier noch gar nicht gab. Reimer wohnte auch gleich nebenan und half den Damen von der Buchhandlung Wort & Werk am Markt 9 manchmal, schwere Buchkisten zu tragen. Als er von ihnen erfuhr, dass sie ausziehen, erkundigte er sich wegen des Mietvertrags. Es war dann Reimers Idee, in den Räumen gemeinsam eine Kneipe zu eröffnen. Also taten wir drei uns zusammen und legten los. Das war eine sehr schöne Zeit, alles im Umbruch, alles schien möglich.

kreuzer: Wie war der Anfang 1996?

HILGER: Wir erhielten den Mietvertrag nur für ein Jahr. Es durfte also nicht viel kosten. Dabei halfen uns so einige Zufälle. Als zum Beispiel das Café Corso dichtmachen musste, kauften wir deren Treppe, schweißten sie dort raus und hier wieder ein. Damit entstand die geplante Galerie. Auch der Name ergab sich aus Kostengründen. Ich wollte die Kneipe nach dem Namen des Hauses, König Albert, eigentlich Alberts nennen, aber Reimer hatte von seiner ehemaligen Disko Spizz in Kiel noch die Neons und Fahnen.

kreuzer: Wie lange dauerte die Vorbereitung?

HILGER: Drei Monate inklusive des Ausbaus im Keller. Der sollte eigentlich kleiner werden, aber da waren fast nur provisorische Wände, die wir rausreißen durften. Am 21. März haben wir die Tür aufgeschlossen. Innen steppte schon der Bär, aber wir schraubten alle drei draußen noch in Arbeitsklamotten Stühle und Barhocker zusammen. Meine Frau Andrea hat die Gäste empfangen.

kreuzer: Sie ziehen ihr Konzept immer noch gemeinsam durch. Dass es über so viele Jahre funktioniert, erlebt man in der Branche nicht oft …

HILGER: Die Arbeit ist aufgeteilt. Wir machen alles, was anfällt, selbst, auch das Booking für den Jazzkeller, und können uns aufeinander verlassen. Die Dreierkonstellation ist eben gut.

kreuzer: Zu wem gehen die Mitarbeiter, wenn es Probleme gibt?

HILGER: Na, zu dem, der gerade da ist. Aber wir haben ja auch leitende Mitarbeiter, die Probleme regeln können, Ines Bräter und Carlo Grommisch. Anfangs beschäftigten wir etwa 30 Mitarbeiter, davon 80 Prozent Studenten als Aushilfen, 20 Prozent Festangestellte. Heute arbeiten hier 85 Mitarbeiter und das Verhältnis ist genau umgekehrt. Inzwischen spüren wir die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt.

kreuzer: Was waren echte Höhepunkte?

HILGER: Da gibt es Unmengen, zum Beispiel die Fußball-WM 2006. Alles lief total friedlich ab. Wir hatten null Probleme mit irgendwelchen Fans. Die deutsche Mannschaft war jeden Abend bei uns. Anschließend hat sie sich mit einem Schreiben bedankt, das wir in unser jetzt erschienenes Jubiläums-Buch aufgenommen haben. Auch die vielen schönen Konzerte im Keller waren Höhepunkte. Als erste Sängerin trat damals Maria João auf, die Temptations waren da, auch Maceo Parker oder Markus Miller, lauter internationale Größen. Mit Klaus Doldinger und seiner Band ist eine regelrechte Freundschaft entstanden. Das hat von Anfang an funktioniert, aber leider jetzt nachgelassen, weil große Häuser wie Gewandhaus, Oper und selbst das Schauspielhaus staatlich unterstützt ganz andere Gagen zahlen können. Das macht die Liveclub-Szene eindeutig kaputt. Wir müssen alles aus eigener Kraft stemmen.

kreuzer: Was war die größte Herausforderung?

HILGER: Das war eindeutig die Baustelle des City-Tunnels fast zehn Jahre lang vor der Tür. Da hatten sogar wir kurzzeitig Existenzängste.

kreuzer: Aber die Gäste belagerten doch den Freisitz, als gäbe es die Tunnelbaustelle samt Riesenbetonsilos direkt daneben gar nicht?

HILGER: Ins Spizz kommen viele Stammgäste, auch ältere. Und die haben uns die Treue gehalten. Dass man sich auf sie verlassen kann, spürten wir auch, als das Nichtrauchergesetz kam und uns erst große Sorgen machte. Da haben wir das Till nebenan zur Raucherlounge mit Barzone umgebaut. Inzwischen ist das Gegenteil unserer Befürchtungen eingetreten, denn es kamen schnell neue Gäste dazu, die es vorher zu verraucht fanden. Positive Effekte hatte das Rauchverbot auch im Keller. Dort war es vorher oft kaum zum Aushalten.

kreuzer: Haben Sie schon mal renoviert? Ich kann mich an keine Schließzeit erinnern.

HILGER: Genau so haben wir das gewollt. Wenn wir renovieren, kommen die Handwerker nachts mehrmals statt über eine Schließzeit. Nur beim Tresenumbau ging das nicht.

kreuzer: Was sind die Renner auf der Speisekarte?

HILGER: Das sind unsere Spizzklassiker. Überbackener Blumenkohl steht zum Beispiel seit dem ersten Tag auf der Karte. Der wird gegessen ohne Ende, wie der hausgemachte Milchreis. Sonst verändert sich die Karte alle Vierteljahre mit neuen Hauptgerichten, Salaten und Frühstück. Zur Eröffnung waren wir ja die erste Kneipe in Leipzig, die Frühstück angeboten hat. Wir sind damals nach Berlin gefahren, haben uns Frühstückskneipen angeschaut und beschlossen, es einfach zu machen. Das hat voll eingeschlagen. Brunch gibt es mit Absicht nicht.

kreuzer: Schmieden Sie Pläne für die Zukunft?

HILGER: Spizz und Jazzkeller sollen einfach so bleiben. Wir sind immer aktiv, feilen an der Qualität, sehen uns Neues an, fahren nach Hamburg zur Fachmesse Internorga, um zu sehen, was zu uns passt.


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