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Kultur

Irgendwas mit Flüchtlingen?

Nö! Zwei Theaterprojekten geht es um Ermächtigung, Kunst und politisches Statement

  Irgendwas mit Flüchtlingen? | Nö! Zwei Theaterprojekten geht es um Ermächtigung, Kunst und politisches Statement

Im Theater der Jungen Welt und im Neuen Schauspiel Leipzig feiern in diesen Wochen zwei Produktionen Premieren, bei denen Flüchtlinge beteiligt sind. Ein Besuch bei Proben und Presseterminen.

Selfie mit Ministerin, Blitzlichtgewitter, dann will die Dame von der Bild-Zeitung noch ein Foto vom Boot, das voll ist – voller Geflüchteten und Petra Köpping. Den Pressetermin auf der Probebühne des Theaters der Jungen Welt (TdJW) meistert die Sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration ganz gut, drängt sich nicht in den Mittelpunkt. An diesem schönen Mai-Tag wird das Projekt »Brennpunkt X« vorgestellt, für das Köpping die Schirmherrschaft übernommen hat. Das Stück, in dem Leipziger Flüchtlinge mitspielen, lässt die Perspektiven von Migranten, Helfenden und Pegidisten aufeinandertreffen. Köpping findet solche Auseinandersetzungen essentiell. »Viele wissen nicht, was das für Menschen sind, die kommen. Da braucht es Menschen, die dabei helfen, einander kennenzulernen.« Sie nennt die Theater »Orte der Verständigung«, quasi Trutzburgen ob der »Spaltung in der Gesellschaft und den festgefahren Positionen«.

»Nach Frauen, Schwulen und Behinderten kommen jetzt Flüchtlinge auf die Bühne«: Man mag diese Aussage als zynisch ansehen. Noch zynischer aber sind die Moden im Kunstbetrieb, ohne inhaltliche Auseinandersetzung ein aktuelles Thema zu behaupten, um in die Kulturförderung zu kommen. »Irgendwas mit Flüchtlingen« steht daher in vielen Anträgen. Andererseits können Flüchtlingsprojekte auch eher sozialpädagogische Funktion haben. Nichts gegen die therapeutische Kraft des Theaters, aber Bühnenkunst sieht anders aus.

Natürlich ist die Idee, Flüchtlinge im Theater zu integrieren – hier kann man das nebulöse Wort Integration einmal sorgenfrei benutzen –, eine Gratwanderung. Zwei Produktionen, die diese und nächste Woche Premiere haben, umschiffen die Problematik. In »Jurassic Pack« arbeitet sich Bar oder Ehda an Kollektivzuschreibungen ab. Die Gruppe aus Laien mit und ohne Fluchthintergrund und verschiedenen Alters trifft sich seit einem Jahr, realisierte im Lofft bereits »Das Traumboot«. »Der Dinosaurier dient für uns als historischer Moment, den wir gar nicht miterlebt haben«, sagt die beteiligte Hanna Saur. »Dort beginnend, wollen wir schauen, wie Zuschreibungen auch politisch und wissenschaftlich funktionieren. Welche persönliche Haltung bildet sich heraus oder ist zuerst nötig, wenn man außerhalb der typischen Rollen steht? Oder wird man darein gezwungen?« Der Saurier wird so zur Projektionsfläche: Selbstermächtigung wie ein klares Statement auch an die Zuschauer sind das Ziel der gemeinsamen Arbeit.

Ähnliches hat eingangs erwähntes »Brennpunkt X« zum Ziel. Elf Geflüchtete und fünf Schauspieler erarbeiten ein Stück zur aktuellen Flüchtlingssituation. Grundlage ist der Text von Nuran David Calis, in den die eigenen Erfahrungen der Teilnehmenden einfließen. Es geht um Flucht und Ankommen, Unsicherheit und Zuversicht, Respekt und Rassismus, Hilfe und Hemmnisse. An einem Freitag Ende April treffen alle Beteiligten das erste Mal aufeinander. Alle sind ein bisschen aufgeregt, leiser Small-Talk steht am inoffiziellen Beginn, Scherzen, Lachen; wie das eben so läuft, wenn sich Menschen beschnuppern.

»Ismi Jörg«, stellt sich Regisseur Jörg Wesemüller auf Arabisch vor. So geht es mehrsprachig reihum, lernen sich Deutsche und Syrer, Pakistanis und Iraker, Libyer und Tunesier kennen. Musiker und Informatiker sind darunter, Schweißtechniker und Kameramann, Lehrer und Grafikdesigner – einige bringen schon etwas Theatererfahrung mit. Mit einem Buffet endet das erste Treffen.

Auch die nächsten Wochen stehen ganz im Zeichen des Gesprächs und Austauschs. Wer bringt welche Perspektiven, vielleicht auch eigene Erlebnisse ein? Wie lässt sich das im Stück übertragen? Für Regisseur Wesemüller ist das Projekt »nicht nur Kunstvermittlung, sondern auch gelebte Integration«. »Was passiert da, was entsteht Neues, das interessiert mich. Was ergibt sich, wenn verschiedene Kulturen aufeinandertreffen?« Bei einem späteren Probenbesuch sind die Teilnehmer schon fest zum Team verwachsen. Von anfänglicher Zagheit ist nichts mehr spürbar, alle sind mit Energie bei der Sache. Die Premiere kann kommen – den Gedanken ans anstehende Lampenfieber nehmen die Profis gelassen, lächeln die Laien locker weg.


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1 Kommentar(e)

piet 07.06.2016 | um 23:27 Uhr

Eine sehr gute Theateraufführung zum Thema Geflüchtete war dieses Jahr am Schauspiel Leipzig zu sehen: "Die Schutzfliehenden/ Die Schutzbefohlenen". Keine Flüchtling auf der Theaterbühne, kein Therapietheater. Gute distanzierte Aufarbeitung des Themas.