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Filmkritik

Familienprobleme statt Familienfest

Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

  Familienprobleme statt Familienfest | Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

Tote Tiere in der Wüste, Tiefseetaucher im richtigen Leben, Missbrauch im Alltag und ein Mann im Körper einer Frau – die Kinostarts der Woche sind weit entfernt von vorweihnachtlicher Glühweinseligkeit. Doch auch die Muppets laufen und Frank Zappa schaut vorbei.

Film der Woche: Immer wieder lösen Fotos von Menschen, die vor den Kadavern bedrohter Tierarten posieren, einen Sturm der Entrüstung in den sozialen Medien aus. Ulrich Seidl porträtiert Deutsche und Österreicher, die nach Afrika reisen, um dort zu jagen. Ein kostspieliges Vergnügen und ein perverses. 615 Euro für ein Gnu. »Das Weißschwanzgnu ist ein bisserl teurer, um die 800.« Bestellung nach Katalog. Den Wünschen sind (fast) keine Grenzen gesetzt. Seidl begleitet die Schützen auf der Pirsch, um ihre Faszination begreifbar zu machen. Er urteilt nicht – das ist stets die große Stärke seiner Arbeiten. Ein Urteil kann sich jeder selbst bilden, wenn die Jäger – zumeist Männer – ganz offen vor der Kamera über ihre Leidenschaft sprechen. Sie töten nicht, das wollen sie ganz deutlich klarmachen – sie erlegen. Einen Unterschied macht das nicht. Es geht um Trophäen und die Macht über andere Kreaturen. Ein Ritual, für das man auch nach dem Film wenig Verständnis findet, aber die Motivation dahinter erfassen kann. Sofern man »Safari« bis zum Abspann durchsteht. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.

»Safari«: ab 8.12., Luru Kino in der Spinnerei

Jacques-Yves Cousteau war ein rastloser Visionär. Als erster Dokumentarfilmer erhielt er die Goldene Palme von Cannes. Dreimal wurden seine Filme mit dem Oscar ausgezeichnet. Cousteau war ein Entdecker und das letzte unerforschte Land waren die Tiefen der Ozeane. Also möbelte er mit seinen Wegbegleitern einen alten Kahn auf, aus dem die legendäre »Calypso« wurde, und schipperte mit ihm über die Weltmeere. Seine Frau Simone begleitete ihn, die Kinder Philippe und Jean-Michel schoben sie ins Heim ab. Aus der Perspektive des Jüngeren, Philippe, erzählt Regisseur Jérôme Salle (»Zulu«) die Biografie des Tiefseetauchers mit der markanten roten Mütze. Das schwierige Verhältnis des Sohns zum Vater bildet den Grundpfeiler seines Biopics, das zu weiten Teilen auf dem Buch »Mein abenteuerliches Leben auf der Calypso« von Albert Falco und Yves Paccalet und den zahlreichen Aufzeichnungen Cousteaus basiert. Etwas hastig arbeitet Salle wichtige Ereignisse in der Vita des Vaters ab und ergänzt sie durch die Perspektive des Sohnes. »Jacques« ist großes Unterhaltungskino mit berauschend gefilmten Unterwasseraufnahmen von Matias Boucard, die denen Cousteaus in nichts nachstehen. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.

»Jacques – Entdecker der Ozeane«: ab 8.12., Passage Kinos

Frank Zappa – Exzentriker, Egomane und musikalisches Genie. Mit seinen sexuell aufgeladenen Texten zu experimenteller Musik widersetzte er sich Ende der Sechziger dem Establishment, wollte aber auch nicht in die Hippie-Schublade gesteckt werden. Für Schubladen war er sowieso immer viel zu sperrig. Der Filmemacher Thorsten Schütte versucht, sich Zappa durch eine Montage zahlreicher TV-Interviews in seiner drei Jahrzehnte währenden Karriere zu nähern. Von seinem ersten Auftritt, bei dem er ein Fahrrad als Perkussionsinstrument zweckentfremdete, über das Debüt im europäischen Fernsehen, begleitet von einer ausdrücklichen Warnung des Moderators vor dem, was da auf die unbescholtenen Zuschauer zukam. Er zeigt Zappa bei der Arbeit – ein rastloser Komponist, der Noten auf Papier einfach schön fand, egal was für (Un-)Musik dabei herauskam und sich immer wieder den Erwartungen widersetzte. Aus den Interviews ein Bild des »wahren« Frank Zappa herauszudestillieren, ist schwer, stellt er doch selbst gleich zu Beginn fest, dass es kaum eine unnatürlichere Situation gibt, als interviewt zu werden. Wie schwierig der Umgang mit ihm war, das wissen wir spätestens seit dem Porträt seines langjährigen Drummers Jimmy Carl Black, »Where’s the beer and when do we get paid?«. In der Summe entsteht aber dennoch ein Porträt und hinter den zweidimensionalen Bildern entdeckt man einen faszinierenden, facettenreichen Menschen.

»Frank Zappa – Eat That Question«: 9./10.12., Passage Kinos, 24., 31.1., Schaubühne Lindenfels, 30./31.1., UT Connewitz

Wie erzählt man von Missbrauch im Alltag? Besser gar nicht, denkt Markus’ Familie. Doch bei einem Familientreffen auf einem Schiff erinnert der 39-Jährige sich plötzlich daran. Zunächst weiß er nicht, was es ist, das ihn so neben sich stehen lässt. Dann kommen die verdrängten Erinnerungen an die Abende allein mit seiner Mutter zurück. Markus ist unsicher, seine Frau Monika überrascht. Ob er sich sicher sei, fragt sie, immerhin sind das schwere Anschuldigungen, die Markus da erhebt. Sie steht ihm bei, kann ihn aber doch nicht verstehen. Markus bringt einen Stein ins Rollen, der die Familie in den Abgrund reißt und familiäre Abgründe ans Tageslicht holt. Wie erzählt man von Missbrauch im Kino? Florian Eichinger, der sich nach »Bergfest« und »Nordstrand« erneut mit Gewalt in der Familie auseinandersetzt, hat sich diese Frage gestellt und keine einfache Antwort gewählt. Er zeigt die Spuren der Gewalt als schleichendes Gift, das sich in allen Bereichen des Lebens breitmacht. Mit Andreas Döhler in der Hauptrolle, Jessica Schwarz und Katrin Pollitt ist der unbequeme, sehenswerte Film hervorragend besetzt.

»Die Hände meiner Mutter«: ab 8.12., Luru Kino in der Spinnerei

Ray (Elle Fanning) ist ein junger Mann, geboren im Körper einer Frau. Das war ihm schon immer klar, nur die Unfähigkeit, es anderen klarzumachen, hat ihn zum Einzelgänger gemacht. Nun soll eine Hormontherapie sein Leben endgültig richten. Seine Mutter Maggie (Naomi Watts) versucht sich damit abzufinden. Ihre Mutter Dolly (Susan Sarandon), in deren Haus die beiden leben, wehrt sich allerdings mit ihrem Zynismus gegen das Unausweichliche. Ein weiteres Hindernis steht zwischen dem 16-jährigen Ray und seiner Zukunft: Für die Maßnahme benötigt er das Einverständnis seines Vaters. Doch der ist nicht so einfach auszumachen. Gaby Dellal schildert diverse Szenarien moderner Partnerschaften in ihrem Familiendrama. Da ist Maggie, die ihr Kind ohne Mann an ihrer Seite erzieht. Ihre Mutter Dolly lebt in dem ehemaligen Künstlerhaus mit ihrer Lebensgefährtin Frances zusammen. Dennoch ist es ausgerechnet sie, die am meisten mit der Umstellung zu kämpfen hat. Aber auch Maggie kann sich nur schwer daran gewöhnen, eine Tochter zu verlieren, auch wenn sie einen Sohn dadurch gewinnt. Ein wenig erinnert das unkonventionelle familiäre Konstrukt an den Indie-Hit »The Kids are alright«. Auch wenn »Alle Farben des Lebens« am Ende mehr auf die Tränendrüse drückt, ist Dellal doch eine sensible, gut recherchierte Geschichte einer Identitätsfindung gelungen, die von Elle Fanning überzeugend verkörpert wird.

»Alle Farben des Lebens«: ab 8.12., Passage Kinos

Flimmerzeit_November_2016

 

Weitere Filmtermine der Woche

Train to Busan Zombie-Horror-Katastrophenfilm aus Korea in einem Special-Screening. 9.12., 22.30 Uhr, CineStar

Die Eiskönigin – Völlig unverfroren Durch eine Prophezeiung fällt das Königreich Arendelle in einen ewig währenden Winter. Um gegen das kalte Schicksal des Reichs anzukämpfen, schließt sich die Königstochter Anna mit dem schroffen Kristoff zusammen, einem draufgängerischen Bergbewohner. Ihr Vorhaben kann ihnen nur gelingen, wenn sie Annas Schwester Elsa, die mittlerweile als Schneekönigin bekannt ist, ausfindig machen und besiegen. Enorm erfolgreiche Neuinterpretation von Hans-Christian Andersons Märchen. 10./11.12., 15 Uhr, Cineplex

Die Norm – Ist dabei sein wirklich alles? Der Dokumentarfilm schließt im Kino an Guido Weihermüllers Webdoku an und komplettiert das transmediale Projekt, in dem sich der Filmemacher langzeitbeobachtend mit der Frage beschäftigte, was eine Auswahl Hamburger Athleten bei ihren Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro antreibt. 10.12., 12.45 Uhr, Cineplex

Der Grüffelo + Das Grüffelokind Das Grüffelokind sucht die große, böse Maus. Zeichentrickadaption der beliebten Kinderbücher. 11.12., 11 Uhr, Cinémathèque in der naTo

Die Muppets Weihnachtsgeschichte Was für ein verbitterter Geizkragen ist doch dieser Ebenezer Scrooge. Erst durch eine magische Reise erkennt er die wahre Bedeutung von Weihnachten. Was gibt es Schöneres, als in der Vorweihnachtszeit der verrückten Muppetgang auf der großen Leinwand zu folgen? 11.12., 16 Uhr, Kinobar Prager Frühling

Die Legende vom Weihnachtsstern Ein kleines Mädchen macht sich auf den Weg, um im kalten Norden das Geheimnis um das Verschwinden einer Prinzessin zu lösen. 11.12., 12.45 Uhr, Passage Kinos

Die Weihnachtsgeschichte In einer Inszenierung der Augsburger Puppenkiste 11.12., 13 Uhr, Cineplex, 12 und 13.30 Uhr, CineStar

Hamlet Russische Verfilmung des Stoffs von William Shakespeare nach der Übersetzung von Boris Pasternak. 11.12., 20 Uhr, Schaubühne Lindenfels

Haunted Vom Verlust von Heimat und Sicherheit in Syrien, von der realen und metaphorischen Bedeutung, die ein Haus, ein Heim im Leben eines Menschen hat. Anschließend Gespräch mit Hilmar Neuroth, Leipziger Syrienhilfe e. V. 11.12., 19 Uhr, Cinémathèque in der naTo

Democracy – Im Rausch der Daten Der langwierige und schwierige Prozess einer Überarbeitung des europäischen Datenschutzrechts im Angesicht der Lobbyisten. Spannender Parlaments-Thriller, der einen faszinierenden Blick in die europäische Gesetzgebung bietet. 13.12., 15 Uhr, Luru-Kino in der Spinnerei

Der Bau der Intrige – Über Filme, die was machen Abounaddara (OmeU) – 3. Teil der Filmreihe des D21 Kunstraum. 13.12., 18.30 Uhr, Luru-Kino in der Spinnerei

Ballet Mécanique Stummfilmdoppel: Moderne Zeiten (USA 1936) + Die Generallinie (UdSSR 1929) – »Milchseparator & Fließband: Technikeuphorie und Taylorismus-Kritik« ist das Thema des Stummfilmdoppels im Oktober. Gezeigt werden »Moderne Zeiten« von und mit Charlie Chaplin sowie »Die Generallinie« des russischen Regisseurs Sergej Eisenstein, dessen Film eine Auftragsarbeit der UdSSR war und für die neue sozialistische Ordnung warb. 14.12., 19 Uhr, Luru-Kino in der Spinnerei

Zud Bisher war Marta Minorowicz eine Garantin für Dokumentarfilme, die mit unaufdringlichen Bildern in kurzer Zeit eine bedrückende psychologische Nähe zu ihren Protagonisten aufbauen. Ihr Spielfilmdebüt spielt komplett in der Mongolei. – Mit Einführung 14.12., 20 Uhr, Cinémathèque in der naTo


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