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Literatur

Inhaltlich total Banane

Ein Tag auf der Buchmesse

  Inhaltlich total Banane | Ein Tag auf der Buchmesse

Auf der Buchmesse geht es dieses Jahr recht politisch zu, wenn man denn will. Man kann aber auch einfach im Astronautenkostüm rumstehen.

Die Buchmesse beginnt mit ficken. »Fuck Fuck Fuck Fuck Fuck« heißt der Titel der Veranstaltung am taz-Stand, bei der Ronja von Rönne und Margarete Stokowski darüber sprechen, warum Lächeln keine Lösung ist.

Stimmt natürlich nicht. Die Buchmesse beginnt vielmehr mit Schulkindern. Der Bahnsteig des Hauptbahnhofs ist voll mit ihnen. So voll, dass sie unmöglich in den Regionalzug passen. Also rennen Schüler von Tür zu Tür. Wie viele auf der Strecke bleiben, kann ich nicht beziffern. Denn der Zug fährt los.

Einige Schüler haben es auf jeden Fall auch bis zu »Fuck Fuck Fuck Fuck Fuck« geschafft, verlassen die Szenerie aber wieder, als sie merken, dass es hier eher um Feminismus als um Geschlechtsverkehr geht. Obwohl der natürlich entscheidend ist, wie Stokowski betont. Man könne sich zum Beispiel nicht von der AfD vorschreiben lassen, wer mit wem schläft. Auch von Rönne schimpft auf die AfD, da man Ängste nicht mit einem alles verdeckenden Pflaster behandeln solle, sondern mit Konfrontationstherapie. Also wer Angst vor Fremden habe, solle viele Fremde treffen, anstatt keine Fremden mehr reinzulassen.

Dass die beiden Autorinnen sich hier recht gut zu verstehen scheinen, war nicht unbedingt zu erwarten. Hat von Rönne schließlich vor einigen Jahren einen Shitstorm mit dem Artikel »Warum mich der Feminismus anekelt« geerntet und gilt Stokowski als »Anführerin des Feminismus« (O-Ton von Rönne). Doch von Rönne betont so oft, dass der Artikel am »Rande des Schwachsinns« war und »inhaltlich total Banane«, dass Stokowski anbietet, sie wieder bei den Feministinnen aufzunehmen. Rönne lehnt ab. »Ich steh nicht so auf Mannschaftssportarten.« Dass das mit dem Frausein in der Öffentlichkeit nicht so läuft, wie es laufen sollte, hört man bei beiden raus – ob es um Stalker geht, um Beschimpfungen als »verbittert« und »ungefickt« oder um die Reduzierung aufs Äußerliche. »Das mit dem Hübschsein hat sich ja hoffentlich auch bald erledigt«, sagt von Rönne mit Blick aufs Älterwerden.

Welche Beschwerden sie sonst noch ans Leben hätten, will taz-Mitarbeiterin Katrin Gttschalk wissen. »Dass alles immer so früh los geht«, sagt Stokowski und nennt als Beispiel diese Veranstaltung um 11 Uhr. »Wenn das mit dem Feminismus geschafft ist, werde ich das auf die Agenda setzen.« Womit man wieder einen Grund mehr hat, den Feminismus voll und ganz zu unterstützen.

Menschen, die 12 Uhr wohl eher unter »mittags« als unter »früh« einordnen würden, stellen ein paar Stände weiter ihre Sachbücher vor. Eine ernsthafte akademische Diskussion über Wolken entspannt sich. »Wolken zeigen die Vergänglichkeit«. Auch ich ziehe weiter.

Im Café Europa gibt es eine Debatte über die Debattenkultur, in der inzwischen jeder sagen kann, was er will – ohne wissenschaftliche Grundlage. Beispiel Schweiz. Die direkten Volksabstimmungen sind problematisch. Erstens weil es immer nur Ja oder Nein gibt und weil die Entscheidung dann 24 Stunden später schon in der Verfassung stehen muss. So musste über Nacht das Minarettenverbot durchgesetzt werden.

Politisch ist es diesmal fast überall auf der Buchmesse. Einige (zu wenige) Stände haben #Free Deniz-Schilder hängen, Themen wie Populismus, Rechtsruck oder Fremdenfeindlichkeit tauchen in fast jedem Gespräch auf. Der Preisträger für Verständigung, Mathias Énard plädiert auf dem blauen Sofa dennoch für die Hoffnung: »Es wird besser werden.« Gut zu hören.

Völlig unbeeindruckt vom politischen Geschehen auf der Erde zeigt sich der Astronaut in Halle 2, der in einem Astronautenkostüm Kindern erklärt, dass er das deswegen anhat, damit sie sich an ihn erinnern. »Heute Abend werdet ihr 90 Prozent von der Messe vergessen haben – aber mich nicht.« Gruselig.

Interessant wird es bei der Veranstaltung »How Indie Are You?«, bei der drei Verlegerinnen über die Zukunft der unabhängigen Verlage diskutieren, die vielleicht gar nicht so schlecht aussieht. Warum macht man einen eigenen Verlag auf? »Weil man Öffentlichkeit für seine Themen und Ansichten haben will«, sagt Nikola Richter von Mikrotext. »Das ist wie bei einer Demo, die man anmeldet, um gehört zu werden.« Beste Motivation.

Am unterhaltsamsten ist Claus Peymann. Der nach seinen eigenen Worten ein Buch mit »meinen gesammelten Beschimpfungen« herausgebracht hat, um sofort weitere Beschimpfungen herauszuhauen: Auf Theaterkritiker, die immer weniger Ahnung hätten, auf Soldaten, die Mörder sind, und auf den Moderator, der alt aussieht. Ansonsten erzählt der 80-Jährige, wie er mit seinen Buddies Thomas Bernhard und Heiner Müller rumhing und beschwert sich, dass Castorff die ganzen Feuilleton-Seiten füllt und er gar nicht vorkommt, obwohl er nun nach 18 Jahren die Intendanz vom Berliner Ensemble aufgeben muss.

Inzwischen sind die Schulklassen alle zu Hause (oder auf der Straße), die Buchmesse ist nahezu entspannt und drei Frauen haben die Preise bekommen. Vielleicht klappts ja doch noch mit dem Feminismus und wir können uns endlich dem Kampf ums Recht aufs Ausschlafen widmen.


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