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Kultur

»You Are Here«

Ein Besuch bei den neuen Ausstellungen auf der Spinnerei

  »You Are Here« | Ein Besuch bei den neuen Ausstellungen auf der Spinnerei

Die Spinnerei wartet mit neuen Ausstellungen auf. Zu sehen sind unter anderem die Spinnerei als riesiges Knäuel, die Ernst-Thälmann-Insel aus einer ganz anderen Perspektive, Bisons, die sich an Buffalo Bill rächen und gewaltige Stadtansichten.

Mapping mit Bleistift

»You Are Here« verkündet die Ausstellung im Archiv Massiv mit Bleistiftzeichnungen von Luise Ritter. Sie vermaß die Spinnerei während ihres dreimonatigen Stipendiums bei »A Room that« auf ihre eigene Weise. Um sich in diesem Knäuel aus Räumen, Hallen, Plätzen besser orientieren zu können, studierte sie Orte und Wege, schaute sich zahlreiche Innenräume an und brachte sie später nach ihrem Gedächtnis auf Papier.

Sofort erkennt der geschulte Spinnereibesucher das Luru-Kino oder einige Galerien, gefolgt von Ateliers, Wohn- und Werkstattsituationen auf A4-Blättern. »You Are Here« behauptet daher nicht nur den eigenen Standort, sondern referiert gleichsam auf das Dahinter der Backsteinwände.

Wunschorte

Die Frage – wo man sich befindet – beantwortet die Halle 14 sehr gern mit Gruppenausstellungen, die Arbeiten von weit weg zeigen. Diese Form der Relativierung des eigenen Standpunkts geht meistens ganz gut auf, was man auch der ersten umfangreichen Schau zeitgenössischer Kunst der Bahamas und Kubas in Leipzig bescheinigen kann. Wer verwunschene Orte und Überseeklischees sucht, findet unter den mehr als dreißig Arbeiten stattdessen alles andere als Heile Welt-Bilder unter Palmen. Die Kuratoren Holly Bynoe (The National Art Gallery of The Bahamas) und der in Havanna und Toronto lebende Antonio Eligio (Toledo) wählten für den Leipziger Auftritt Fotografien, Gemälde, Objekte und Filme, die nicht nur das Heute der Inselstaaten zeigen, sondern die vielfachen Spuren ihrer wechselvollen Geschichten zwischen dem Dasein als Projektionsfläche europäischer Siedler sowie auszubeutender Kolonie und den Wegen die eigene Identität zu finden. So phrasenhaft das in mitteleuropäischen Ohren klingen mag, so schmerzvoll gestalten sich diese Prozesse, um gegen Klischees am anderen Ende der Welt anzukämpfen.

Die Rolle als Sehnsuchtsort wird man dabei so schnell nicht los, wie die Videoprojektion riesiger Kreuzfahrtschiffe vor winzig wirkenden Palmen gleich zu Beginn der Ausstellung zeigt. Im Hafen von Nassau – der Hauptstadt der Bahamas – liegen täglich bis zu fünf Kreuzfahrtschiffe und die hier nicht zu sehenden Passagiere wollen alle die Insel erkunden.

Eine ganz andere Insel ist hier als Negativ zu sehen: die Ernst-Thälmann-Insel, die Fidel Castro der DDR schenkte, als er sie zu Beginn der siebziger Jahre besuchte. Auf dem Boden der Halle 14 ist das Insel-Profil nun mit Wasser gefüllt, während das Meer drumherum in Beton erstarrt ist. Der Wunschort wandelt sich durch politische Topografien und Ikonografien. Seine eigene Rolle einzunehmen, bedeutet ein ewiges Ankämpfen gegen fremde Zugriffe.

Die Fremden im Inneren

Bei Eigen+Art installierte die US-amerikanische Malerin Melora Kuhn einen Salon in den Galerieraum. Die Innenwände sind mit Motiven der nordamerikanischen Kunstgeschichte gespickt, die die naiv-romantischen Landschaften der Hudson River School des 19. Jahrhunderts zitieren. Kuhn setzt diesen Naturidyllen Geschichten in ihren Malereien gegenüber, die diese Landschaftsmotive bewusst ausblenden, um im Idealismus zu schwelgen anstelle eine realistische Bildwiedergabe von Kriegen, Siedlerabenteuern, denen die Bisons beispielsweise zum Opfer fielen, abzuliefern. So entstand in der Galerie ein Ort, der Geschichten und deren Bildwelten interpretiert und an den Klischees arbeitet.

Schwarz-Weiß

Gewaltige Stadtlandschaften sind in der Galerie The Grass is Greener von Wolfram Ebersbach zu sehen. Seine typischen großen Gesten auf der Leinwand verwandeln die Stadt oftmals in einen mystischen Raum, die nicht in erster Linie die Orte erkennen lassen wollen, sondern die Bewegungen um und in ihm.

So finden sich derzeit vielerlei Orte auf der Spinnerei, die in den nächsten Wochen erkundet werden können.


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