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In die Dosen, fertig, los

Die Stadt zieht Recycling der Abfallvermeidung vor – wie der Umgang mit dem verpackungslosen Einkauf im Supermarkt zeigt

  In die Dosen, fertig, los | Die Stadt zieht Recycling der Abfallvermeidung vor – wie der Umgang mit dem verpackungslosen Einkauf im Supermarkt zeigt

Freitag, 29. September, Konsum Goyastraße: Käseeinkauf an der Frischetheke. Die Verkäuferin schneidet die Scheiben zurecht und legt den Käse auf die Waage. Sie hat das Papier zum Einpacken schon in der Hand. Ob sie den Käse auch in eine mitgebrachte Dose packen kann – das würde ja Verpackungsmüll sparen? »Nein, ich darf die Dose nicht über die Theke nehmen.« Wäre es denn möglich, den Käse gereicht zu bekommen und selbst in die Dose zu legen? »Das geht, da müssen Sie nur schauen wegen dem Zettel.« Die Brotdose direkt befüllen darf sie also nicht – andernorts ist das aber möglich. Warum nicht bei uns?

Vorreiter der Bewegung des verpackungsfreien Einkaufens in ganz normalen Supermärkten ist der Kaufmann Dieter Hieber, der zwölf Märkte im Raum Lörrach in Baden-Württemberg führt. Die Idee kam Hieber vor rund anderthalb Jahren vor dem Fernseher. »Ich sah eine Dokumentation über den Original Unverpackt-Laden in Berlin an«, erzählt er, »mir gefiel die Idee und ich überlegte, wie ich das in meine Läden integrieren kann.« Er wollte Lösungen für die Obst- und Gemüseabteilung, die Back- und die Fleischtheke finden und suchte deshalb das Gespräch mit seinen Mitarbeitern. Da aber keiner sich genau mit allen Details der Hygienereglementierungen auskennt, zieht er schon bald das Amt hinzu. Es gebe zwar keine konkrete Regelung, dass Dosen nicht über die Theke gereicht werden dürfen, teilt das Amt ihm mit, allerdings müsse der Bereich hinter der Theke ein geschlossener Hygienebereich sein. Trotzdem rennt er beim Lebensmittelhygieneamt der Stadt Lörrach offene Türen ein: »Die Mitarbeiter vom Amt haben von Anfang an gesagt, dass wir schauen müssen, dass wir das gut hinkriegen, und waren eine große Unterstützung.« Eine Mitarbeiterin hat schließlich die zündende Idee: ein Edelstahl-Tablett. Der Kunde stellt seine Dose darauf, die Verkäufer nehmen das Tablett samt Box hinter die Theke und befüllen die Dosen nach den Wünschen der Kunden – ganz ohne Kontakt zwischen Kundenbehältnissen und Ladentheke. So entsteht ein abgeschirmter Bereich für die Boxen der Kunden. Die Tabletts werden regelmäßig gewaschen und desinfiziert, so kommen keine Keime auf die Lebensmittel. »Das funktioniert und ist hygienisch wirklich tipptopp«, sagt Hieber stolz, »das Institut Fresenius nimmt regelmäßig Abklatschproben, hat aber noch nie etwas gefunden.«

Das Leipziger Lebensmittelaufsichtsamt will davon nichts wissen. Praxistaugliche Lösungen für ein sogenanntes »Einlegen« von Fleisch, Wurst und Käse in mitgebrachte Boxen seien dem Amt nicht bekannt, teilt Amtsleiterin Gabriela Leupold auf kreuzer-Nachfrage schriftlich mit. Dafür müssten nach ihrer Einschätzung die Bedientheken umgebaut werden. Und die Edelstahl-Tabletts? Darauf gibt sie keine konkrete Antwort, scheint aber mit der Situation zufrieden zu sein: »Verbraucherinnen und Verbraucher können auch bei herkömmlichen Bediensystemen, bei denen i. d. R. recyclingfähige Verpackungspapiere verwendet werden, durch bewusste Abfalltrennung einen Beitrag zum Umweltschutz leisten.«

»Es ist eine Verpackungsorgie«

Für die sächsische Verbraucherzentrale ist Recycling nicht genug. »Abfallvermeidung sollte immer die höchste Priorität haben«, erklärt Birgit Brendel, Referentin für Ernährung bei der Verbraucherzentrale Sachsen, »wenn man Müll trennt, hängt da immer noch eine Logistik dran. Deshalb ist der beste Müll der, der erst gar nicht entsteht.« Die Verpackungen an den Frischetheken seien dabei das geringste Problem, erzählt sie, viel schlimmer seien abgepackte Käsescheiben oder Gemüse, welches in Plastik verpackt ist: viel Packung für wenig Produkt. Für Brendel ist das verpackungsfreie Einkaufen deshalb ein Thema der Zukunft. »Gerade bei Lebensmittelgruppen wie Getreide und trockenen Lebensmitteln ist das leicht umzusetzen, aber auch Öl kann man gut in eigene Behältnisse umfüllen. Kritisch wird es, wenn es um Fleisch und Milchprodukte geht.« Die Lösung mit dem Tablett befürwortet sie, solange sichergestellt wird, dass die mitgebrachten Behältnisse die Theke nicht kontaminieren. Für die Haltung der Stadt hat sie wenig Verständnis: »Da andere Städte ja schon Modelle entwickelt haben, könnte man sich als Stadt auch proaktiv informieren«, sagt sie.

[caption id="attachment_60950" align="aligncenter" width="666"] Foto: Dieter Hieber[/caption]

Bereits seit geraumer Zeit beschäftigt sich die Arbeitsgemeinschaft Abfall des Ökolöwe Umweltbund Leipzig mit dem Thema Abfallvermeidung. In diesem Jahr holen sie bereits zum vierten Mal in Folge die »Europäische Woche zur Abfallvermeidung« nach Leipzig. »Die Aktion soll die Menschen auf das Problem aufmerksam machen«, sagt Sabine Hübert, die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft. »Es ist eine Verpackungsorgie«, beschreibt sie die Problematik im Supermarkt. Der Ökolöwe setzt deswegen auf die Aufklärung der Bevölkerung. »Als Konsumenten haben wir schließlich die Macht, den Markt zu steuern – wenn niemand mehr unnötig verpackte Lebensmittel kauft, wird die Industrie die Produktion irgendwann einstellen«, meint Hübert. Dafür sammelt der Umweltbund beispielsweise Plastiktüten ein und ersetzt diese durch Stoffbeutel. »Es kamen viele Leute zu uns und fanden das gut, was wir machen«, erzählt sie stolz. Im letzten Jahr bekam der Ökolöwe für die Aktion »Kein Plastik 
in die Biotonne« sogar den zweiten Preis der EU-Awards der Europäischen Woche zur Abfallvermeidung.

Abfallvermeidung scheint ein Thema zu sein, das in Leipzig angekommen ist. Warum zeigt das Lebensmittelaufsichtsamt dann kein Interesse daran, das Thema in Supermärkten anzupacken? In Leipzig ist die Alba für die Verwertung der gelben Tonne verantwortlich. In der Anlage des Recyclingunternehmens werden 15 Stoffe maschinell aus dem Müll heraussortiert. Der Betrieb befürwortet zwar die Müllvermeidung, sieht im Recycling aber auch großes Potenzial. »Wir haben in Deutschland kaum Rohstoffe«, erklärt Beschaffungsleiter Torsten Wolf, »durch Recycling haben wir die Möglichkeit, Rohstoffe zu produzieren.« Sogenannte Verbundverpackungen, die aus mehreren Stoffen bestehen, erschweren das Recycling aber. Dazu gehören auch die mit Folie beschichteten Papiere, die als Verpackung an den Frischetheken ausgegeben werden: »Wenn es bei uns in die Anlage kommt, würde die Verwertung davon abhängen, wie rum das Papier liegt, weil die Maschine nur den oben liegenden Stoff erkennt«, erklärt René Ottlinger, stellvertretender Leiter Produktion 
und Technik, »da müsste man sich als Hersteller irgendwann entscheiden: Mache ich jetzt nur Folie oder nur Papier – das ist nämlich immer der beste Weg.« Aber nicht nur die Hersteller können etwas tun. »Wir predigen immer, dass man den Deckel vom Joghurtbecher trennen und dann erst in die gelbe Tonne schmeißen soll«, sagt Susanne Zohl, Pressesprecherin der Stadtreinigung. Ihrer Meinung nach müsse man den Kindern von klein auf beibringen, wie man Müll richtig trennt. »Wenn wir dann ein Bewusstsein dafür haben, können wir auch die Müllvermeidung ansprechen«, ergänzt René Ottlinger von der Alba.

Eingriff in den Hormonhaushalt

»Beim Einkaufen ohne Verpackungen spielt nicht nur der anfallende Müll eine Rolle«, sagt Birgit Brendel von der Verbraucherzentrale Sachsen, »besonders die Stoffübergänge sind kritisch zu betrachten.« Lebensmittel wie Fleischsalat, die in Plastik eingepackt werden, sind häufig kontaminiert mit Stoffen wie Bisphenol A oder Phthalaten. Sie gehen aus den Plastikverpackungen in die darin befindlichen Lebensmittel über. »Diese Stoffe können hormonell wirken und die Fortpflanzungsfähigkeit einschränken«, erklärt Brendel. Aus diesem Grund gibt es ein extrem umfangreiches Regelwerk, um die Stoffübergänge zu reglementieren. Die Grenzwerte würden von den Herstellern auch eingehalten, erzählt sie, allerdings könnten die Stoffe trotzdem im Körper die Grenzwerte überschreiten, weil sie sich anreichern. Die Belastungen der einzelnen Lebensmittel liegen zwar unter dem Grenzwert, werden aber im Körper addiert und können so den Grenzwert überschreiten. Aus diesem Grund rät Brendel davon ab, mit einer Brotdose aus Plastik an die Fleisch- und Käsetheken zu gehen, »die Stoffe lösen sich nämlich besonders gut in fetthaltigen Lebensmitteln.« Deshalb sind phthalathaltige Verpackungen für solche Lebensmittel und Säuglingsnahrung nicht mehr zugelassen. Besser seien Glas- oder Edelstahlbehältnisse. Der Weichmacher Bisphenol A sei aber noch in den Papieren an der Frischetheke zu finden, erklärt Sabine Hübert vom Ökolöwen.

Wer also Verpackungsmüll und Stoffübergänge vermeiden möchte, der muss in Leipzig an den Frischetheken noch auf die Kulanz der Mitarbeiter setzen. Im November findet wieder die Europäische Woche der Abfallvermeidung in Leipzig statt – diesmal unter dem Motto »Gib Dingen ein zweites Leben«. Vielleicht erreichen die Aktionen diesmal auch das Lebensmittelaufsichtsamt und vielleicht steht dann auch im Konsum Goyastraße bald ein Edelstahl-Tablett auf der Käsetheke.


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