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Das Monopol

Der Polizeikomplex hat ein strukturelles Problem, wenn er Grundrechte aussetzen kann

  Das Monopol | Der Polizeikomplex hat ein strukturelles Problem, wenn er Grundrechte aussetzen kann

Die Precops sehen nicht, was man tun möchte, sondern das, was man tun wird.« Wie auf einer schiefen Ebene gelagert, rutschen die westlichen Gesellschaften immer mehr ins Dystopische à la »Minority Report«. Dort gibt es die Precrime-Abteilung bei der Polizei, die Straftaten verfolgt, bevor sie begangen worden sind. Was sich im Actionfilm zur philosophischen – freier Wille oder Kausalität? – und ethischen – Erfolgs- oder Tugendethik? – Kniffelei steigert, ist die letzte Konsequenz des tatsächlichen Polizeiapparats und Innenministertraum.

Gefährderansprachen und Meldeauflagen, die Debatte um das Wegsperren sogenannter Gefährder und das Internieren von »ungesetzlichen Kombattanten« in Guantanamo zeigen in diese Richtung. Vermehrt setzt auch die deutsche Polizei aufs sogenannte »Predictive Policing«, also vorausschauende Polizeiarbeit. Statistiken und die Auswertung von Big Data sollen Prognosen für Tatwahrscheinlichkeiten und deren Lokalisierung liefern. Zusammen mit der zunehmenden Militarisierung zur Aufstandsbekämpfung verdichtet sich diese Entwicklung zum düsteren Bild der Exekutive. Doch es gibt ein noch tiefer gehendes Problem mit der Polizei, etwas grundlegend Problematisches.

Einen ersten Hinweis gibt ein Blick auf die Begriffsgeschichte. Policey nannte man im 18. Jahrhundert die Verwaltungswissenschaft, die sich in alle möglichen Lebensbereiche einmischte. »Gute Policey« stand auch für die im Sinne der Herrschenden hergestellte Ordnung des frühneuzeitlichen Gemeinwesens. Mit Liberalismus und Gewaltenteilung verlagerte sich der Name Polizei auf die ausführenden, repressiven Organe: Der Staat wollte sich dem Papier nach nicht mehr in die Belange der Bürger einmischen, nur deren Freiheit durchs Gewaltmonopol der Polizei sichern. In der am Schreibtisch sauber zu trennenden Gewaltenteilung ist die Aufgabe der Exekutive klar umrissen: Die Regierung erlässt Gesetze, die Polizei drückt sie durch, Gerichte überwachen das. Die Polizei ist demgemäß Regierungsmittel, das zum Zweck der Staatssicherung und Einhaltung der Gesetze agiert. So zumindest definieren die meisten Rechtstheorien seit Immanuel Kant die Rolle der Polizei, die aufgrund dessen nicht weiter problematisiert wird: Wer Recht will, muss Polizei wollen.

Daraus folgt aber, dass die real agierende Polizei, in der sich nicht weniger als der Staat materialisiert, immer nur Mittel sein darf. Wird sie zu einem Zweck, ist die (theoretische) Staatssouveränität gefährdet. Genau hier liegt der Hund begraben. Die Polizei ist niemals nur Rechtsmittel, sondern auch Medium des Rechtsbruchs, wofür Alltagsschikanen gegenüber Herumlungernden und Racial Profiling als Beispiele genügen sollen. Oder bei Demonstrationen der Hinweis, man könne ja später anwaltlich gegen verhängte Platzverweise vorgehen.

Wie Walter Benjamin in der Schrift »Kritik der Gewalt« argumentiert, ist es »unwahr« zu behaupten, dass »die Zwecke der Polizeigewalt mit denen des übrigen Rechts stets identisch oder auch nur verbunden wären«. Sie schafft selbst Recht, kann Vorschriften und Anweisungen mit Rechtskraft erlassen. Egal, ob sie später wieder vor einem Gericht kassiert werden. Die Polizei als Exekutive hat also mitunter rechtsetzende Kompetenz (legislativ) und rechtinterpretierende Kompetenz (judikativ). »Sie hat dann faktisch provisorisch alle drei Gewalten in ihrer Hand«, fasst der Philosoph Daniel Loick in seiner Skizze »Zur Theorie der Polizei« zusammen. »Ein Tatbestand, der weder konstitutionell vorgesehen, noch juristisch eingestanden werden darf, der aber wesentlich für die Rechtsordnung insgesamt ist.«

Das stellt die Legitimierung des Gewaltmonopols in Frage, das der Polizei ja deshalb über-antwortet wurde, weil sie als Willensvollstrecker des Souveräns gedacht wird. De facto aber kann die Polizei demokratische Grundrechte suspendieren, womit sie sich am Souverän (dem Volk) vergreift. Und das betrifft keinen Einzelfall, sondern ist ein im Staatsapparat angelegtes strukturelles Problem.

Das mag als theoretische Spielerei erscheinen und sicher, die demokratischen Staaten haben einige Maßnahmen installiert, um solche polizeilichen Ausnahmezustände zu binden oder einzudämmen. Nur reicht das nicht aus, wie zahllose Beispiele illustrieren. Da sind die immer wieder eingestellten Verfahren – wenn sie denn überhaupt vor Gericht landeten – wegen Polizeigewalt. Bei der Vertuschung des mutmaßlich durch Dritte herbeigeführten Todes von Oury Jalloh in einer Gewahrsamszelle im Polizeirevier Dessau waren augenscheinlich selbst Kreise der Anklagebehörde beteiligt. Und wenn die sächsische Polizei zur Begleitung linker – und ausschließlich dieser – Demonstrationen Spezialeinsatzkommandos (SEK) hinzuzieht, zeigt sie sich als politischer Akteur: Sie vermittelt ein Bild, das das Grundrecht auf Meinungsbekundung mit Terrorismus verzahnt.

Das führt dann wieder zurück zum eingangs erwähnten Precrime. Einmal massiv eingeführt, wird sich das »Predictive Policing« zum Instrument sozialer Kontrolle auswachsen. Bloß nicht auffallen, lautet dann die Devise, sonst könnten mich die Cops als Gefährder ins Visier nehmen. Lieber nicht hier kiffen oder dort surfen, das lesen oder dafür demonstrieren. Für eine vermutete Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe« reichte eine Bibliotheksmitgliedschaft aus. Polizei setzt damit nicht nur temporär Recht und urteilt gleich selbst in ihrem Sinne. Sie formt polizeilicher Ordnung und Logik angemessenes Verhalten, greift 
also gravierend und dauerhaft in Freiheitsrechte ein. Gegen all diese Gefahren helfen nur wirksame Kontrolle der Polizei, Transparenz in der Öffentlichkeit und ein Nachdenken über Alternativen zur Polizei.


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