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Das Saubuch

Am 5. Mai jährt sich der Geburtstag des Volkswirtschaftlers Karl Marx zum zweihundertsten Mal. An seinen Wirkstätten und dem Geburtsort Trier wird das Jubiläum groß begangen. Leipzig kann als ehemalige Verlagsstadt ein ganz eigenes Kapitel zur Marxhistorie beisteuern. Nämlich die Geschichte vom Druck eines der berühmtesten Werke der Weltgeschichte: »Das Kapital«.

  Das Saubuch | Am 5. Mai jährt sich der Geburtstag des Volkswirtschaftlers Karl Marx zum zweihundertsten Mal. An seinen Wirkstätten und dem Geburtsort Trier wird das Jubiläum groß begangen. Leipzig kann als ehemalige Verlagsstadt ein ganz eigenes Kapitel zur Marxhistorie beisteuern. Nämlich die Geschichte vom Druck eines der berühmtesten Werke der Weltgeschichte: »Das Kapital«.

Die Setzer der Druckerei Wigand im Leipziger Zentrum gehörten zu den Ersten, die am Freitag, 26. April 1867, den berühmten Einleitungssatz lasen: »Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ›ungeheure Warensammlung‹, die einzelne Ware als seine Elementarform.« Der Hamburger Verleger Otto Meissner hatte das handschriftliche Manuskript des ersten Bands von »Das Kapital« an die Druckerei am Roßplatz 3b geschickt.

»Die ganze Scheisse« (Marx, April 1858), das »Saubuch« (Juni 1863), hatte jahrelang nicht fertig werden wollen. Politisches Engagement, theoretische und konzeptionelle Schwierigkeiten sowie gesundheitliche Probleme hatten die Vollendung hinausgezögert. »Ich hatte die Nachtarbeiten – begleitet zwar nur mit Limonade auf der einen Seite, aber auf der anderen with an immense deal of tobacco – zu sehr übertrieben«, schrieb Marx 1858 an Friedrich Engels. Der war fast zehn Jahre später wenig begeistert, als er von seinem Freund und Weggefährten erfuhr, dass der Verleger Meissner nicht in Hamburg drucken könne, weil »weder die Zahl der Drucker noch die Gelehrsamkeit der Korrektoren hinreichend« seien. Engels antwortete: »Ich glaube nicht, daß die Gelehrsamkeit der Leipziger Korrektoren für Deine Art hinreicht. Meine Broschüre ließ M auch bei Wigand drucken, und was haben die Schisser mir für Zeug da hineinkorrigiert.« Später hieß es, Leipzigs Aufstieg zur Buchstadt im 19. Jahrhundert verdanke sich auch dem liberalen Klima der Stadt. Schriften, die anderswo verboten waren, wurden in Leipzig gedruckt. Für »Das Kapital« trug aber letztlich der Verleger aus Hamburg das finanzielle Risiko, und Meissner hatte im Zweifelsfall den Kopf hinzuhalten für unliebsame Inhalte. Zensur gab es nämlich auch in Sachsen.

Der Historiker Jürgen Bönig hat zu Marx’ 200. Geburtstag ein ganzes Buch über den Produktionsprozess des »Kapitals« geschrieben. Er glaubt, Verleger Meissner habe seinem Autor Marx nicht die ganze Wahrheit gesagt. Der Auftrag für Satz und Druck sei nach Leipzig gegangen, »damit der Autor nicht fortwährend Seite für Seite in den Satz eingreifen konnte«. Als erfahrener Verleger wusste er, dass eine einmalige Autorenkorrektur Zeit, Geld und Nerven spart. André Wendler, Forschungsreferent im Deutschen Buch- und Schriftmuseum in der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig, meint, die Frage, warum in Leipzig gedruckt wurde, stelle sich gar nicht. »Leipzig war seinerzeit eines der Zentren des deutschen Druck- und Verlagswesens. Etwa 20 Prozent aller Bücher des späten 19. Jahrhunderts wurden hier gedruckt und sämtliche deutschen Bücher über die Kommissionsbuchhandlungen vertrieben.«

Pragmatische Gründe, die auch erklären könnten, warum Meissner die zweite Auflage von »Das Kapital« Band 1 und ebenso die erst nach Karl Marx’ Tod im Jahr 1883 erschienenen Bände 2 und 3 in Leipzig drucken ließ. Um die Druckfahnen von Band 1 zu lesen, hatte sich Marx bei einem Freund in Hannover einquartiert. Genauso gut hätte er seinem Manuskript nach Leipzig hinterherreisen können, schließlich wohnte ein enger Vertrauter in der Stadt. Wilhelm Liebknecht war 1865 nach Leipzig gekommen, weil ihn der preußische Militär- und Polizeistaat unter Otto von Bismarck aufgrund unliebsamer politischer Aktivitäten aus Berlin ausgewiesen hatte. Marx und Liebknecht hatten sich in den 1850er Jahren im Londoner Exil über den Kommunistischen Bund kennengelernt, in Leipzig trafen sie sich im September 1874.

Der gesundheitlich angeschlagene Marx und seine Tochter Eleanor kamen aus dem Kurort Karlsbad, dem heutigen Karlovy Vary kurz hinter der tschechischen Grenze, und quartierten sich für zwei Nächte im »Hochstein«, ein, damals Hotel und Stundenabsteige. Im 1997 wiedereröffneten »Hotel am Bayerischen Bahnhof« kann man seither das Karl-Marx-Zimmer buchen. Eingerichtet ist es wahrscheinlich ein bisschen luxuriöser als damals, mit edlen alten Möbeln, urigen Accessoires und Marx-Konterfei über dem Bett. Bei Wilhelm Liebknecht zu Hause, in der Braustraße 15, und in dessen Schrebergarten am Schleußiger Weg soll er mit Tochter Eleanor gewesen sein. Auch wenn Leipzig schon damals als Zentrum der proletarischen Emanzipation gesehen und bis heute als »Wiege der deutschen Arbeiterbewegung« beschrieben wird: Marx hat hier ganz einfach einen Freund besucht. Bestimmt ging es um Politik, so wie die Briefe, die sich die Herren, damals übrigens auf Englisch, hin- und herschrieben, kein anderes Thema als die Organisation und den Kampf der Arbeiterklasse kannten. Doch Marx war ja nicht wirklich ein Mann der Straße, auch wenn er als einflussreicher Theoretiker der Arbeiterbewegung und des Kommunismus gilt. Anders seine Tochter Eleanor. Wäre sie ein Sohn gewesen, wären Name und Wirken sicherlich geläufig. Doch bis heute wird sie nur als Marx’ »Sekretärin« oder Engels’ »Mitarbeiterin« bedacht, obwohl sie eine wichtige Rolle bei der Gründung der Zweiten Internationale und in der englischen Gewerkschaftsbewegung gespielt haben soll. Das wusste schon Liebknecht, der die Erfolge des Maschinenarbeiterstreiks 1889 und des Docker-Streiks von 1890 zu ihren Verdiensten zählte. Ihre Schrift »The Woman Question« erschien erst 1973 auf Deutsch, im Westberliner Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung – in Ostdeutschland sogar erst zehn Jahre später, im Leipziger »Verlag für die Frau«.

Der Besuch von Vater und Tochter in Leipzig jedenfalls war einigermaßen bedeutungslos. Relevant ist die Stadt als Druckort. Heute gibt es die Wigand’sche Druckerei am Roßplatz nicht mehr, nicht einmal das Gebäude steht noch. Auf einem alten Foto im Archiv des Stadtgeschichtlichen Museums sieht man nur einen Zipfel der weißen Fassade des dreistöckigen Hauses. Für »Das Kapital« wählte Otto Alexander Wigand eine schmale englische Antiquaschrift, Schriftgröße 9 für den Text – also etwa 3 Millimeter hohe Buchstaben – und Schriftgröße 7 für die über 1.000 Fußnoten. Kein Fettdruck, keine Unterstreichungen, kein Schriftwechsel für Überschriften – all das hätte Zeit gekostet. Ziel war es, möglichst viel Text in kurzer Zeit unterzubringen. Das Ergebnis, sagt Bönig, liegt »an der Grenze des gut Lesbaren«. Damals wurde noch per Hand gesetzt. An einem 10-Stunden-Arbeitstag musste ein Bogen mit acht Buchseiten, also etwa 40.000 Zeichen gesetzt, gedruckt und dann zum Autor geschickt werden, so war es mit dem Verleger ausgemacht. Jürgen Bönig hat ausgerechnet, dass bei knapp zwei Millionen per Hand gesetzten Zeichen im »Kapital« etwa 13,5 Setzer-Monate stecken. Gedruckt wurde wahrscheinlich mit einer Stoppzylinderdruckmaschine, auch Schnellpresse genannt. Ein vergleichbares Fabrikat, etwa so groß wie ein Geländewagen, steht im Museum für Druckkunst Leipzig und funktioniert sogar noch. Zügig können die Bögen hintereinander reingeschoben werden, den Rest erledigt die dampfbetriebene Maschine: Walzen verteilen die Farbe auf der Druckform, dann rollt der große, mit dem Papier umwickelte Zylinder darüber.

Für damalige Verhältnisse ging alles wahnsinnig schnell. Mitte September 1867, also nur rund vier Monate nachdem das Manuskript in der Leipziger Druckerei Wigand eingetroffen war, vermeldete das Börsenblatt die Neuerscheinung von »Das Kapital« im Oktavformat für 3 1/3 Taler. Für richtig viel Geld also, denn laut Historikern entsprach diese Summe etwa den damaligen Lebenshaltungskosten einer fünfköpfigen Familie für eine ganze Woche. In der ersten Auflage wurden gerade einmal 1.000 Bücher gedruckt. Bönig zufolge lagen die ersten Exemplare auf dem Ladentisch der Leipziger J. C. Hinrichs’schen Buchhandlung. Im Herbst 1871 war die erste Auflage vergriffen. Heute sind »Kapital«-Ausgaben Kapitalanlagen. Die Preise, vor allem bei Erstausgaben mit Widmung, explodieren. In London kam 2016 eine Erstausgabe mit Widmung von Marx für 218.500 Pfund, also für eine viertel Million Euro unter den Hammer. Dieselbe Ausgabe, so hat es der Journalist Tom Strohschneider recherchiert, wurde im April 2017 von einem Händler für 1,5 Millionen Euro angeboten. Das hat wahrscheinlich weniger mit Marx als mit der Sammlerwut derjenigen zu tun, die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld. In ganz Leipzig jedenfalls ist heute kein einziges Exemplar der ersten Auflage des 1. Bandes aufzutreiben. Es fehlt auch in der Sondersammlung der Universitätsbibliothek, wo immerhin die zweite Auflage aus dem Jahr 1872 und alle weiteren Bände des »Kapitals« in der ersten Auflage vorhanden sind. Angeschafft bereits im jeweiligen Erscheinungsjahr. »Es finden sich darin nämlich zahlreiche handschriftliche Anmerkungen, Unterstreichungen und Kommentare«, sagt Thomas Thibault Döring, Leiter der Sammlung. Für ihn sind das deutliche Merkmale dafür, dass die Bücher damals viel und intensiv gelesen wurden.

Die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) verzeichnet mehr als 5.000 Publikationen von und über Karl Marx aus dem 20. Jahrhundert bis heute. Zweierlei lasse sich anhand des Bestandes ablesen, sagt Forschungsreferent André Wendler. Zum einen würden allein die 150 Ausgaben des »Kapitals« in knapp 50 verschiedenen Sprachen »ein erstaunliches Zeugnis über die weltweite Rezeption und Verbreitung« des Werks ablegen – was letztlich auch dazu führte, dass »Das Kapital« neben dem »Kommunistischen Manifest« von Marx und Engels 2013 von der UNESCO in den Rang des Weltdokumentenerbes erhoben wurde. Zum anderen ließen sich mit Blick auf das jeweilige Erscheinungsjahr deutliche Konjunkturen in der Marx-Rezeption ablesen. Die wiederum zeigten, »dass Marx vor allem dann gefragt ist, wenn Zweifel darüber aufkommen, ob wir tatsächlich in der besten aller möglichen Gesellschaften leben«. Die jüngste Weltwirtschaftskrise sorgte 2012 für ein Rekordaufkommen an Marx-Prosa, wie zuletzt in den siebziger Jahren, als sich die 68er von Marx’ Revolutionsgedanken inspiriert fühlten und mit der »Neuen Marx-Lektüre« ein Marxismus reaktiviert wurde, der mit dem Marxismus-Leninismus der Sowjetunion und auch mit der Sozialdemokratie wenig zu tun haben wollte. Numerisch fällt demgegenüber die staatssozialistische Publizistik der DDR weniger ins Gewicht. Die Zahl der Publikationen steigt vor allem zu offiziell gefeierten Ereignissen wie der Umbenennung der Uni Leipzig in Karl-Marx-Universität 1953, oder als die DDR-Führung 1983 zum 100. Todestag das Marx-Jahr ausruft. Andersherum ließen sich auch Publikationsflauten geschichtlich deuten als »Hinweise auf Krisen linker Politik und Ideologien«, sagt Wendler. Die erste Talsohle der Nachkriegszeit erreichte die Publikationstätigkeit zu Marx infolge des »Deutschen Herbstes« 1977. Danach rollte in der Bundesrepublik eine Repressionswelle mehr oder weniger über alles hinweg, was links blinkte, und Marx-Bücher waren offenbar auch passé. Das absolute Rekordtief jedoch fällt in das Wendejahr 1989.

»Plötzlich war alles Unfug«, sagt Manfred Neuhaus so verdutzt, als wäre es gestern gewesen. Für Neuhaus hat Marx keine Konjunkturen, für ihn ist Marx eine Konstante. Mit dem Ende der DDR drohte sie abzureißen. 1987, zwei Jahre zuvor, war er noch zum Professor für Editionswissenschaften an die Karl-Marx-Universität berufen worden. Der Forschungszweig wurde nach der Wende kurzerhand geschlossen. Bereits seit 1976 hatte er dort die Leitung der Arbeitsgruppe »Marx-Engels-Gesamtausgabe« übernommen, ein Prestigeprojekt der SED und der sowjetischen KPdSU. Die schwarzroten Bände, die »Platinvariante« der Marx-Engels-Editionen, die treffend mit MEGA abgekürzt wird. Nicht zu verwechseln mit den populären »Blauen Bänden«, den »Marx-Engels-Werken« (MEW), die auch in der DDR entstanden und sogar in den Westen exportiert wurden. Jede kleinste Notiz aus dem Nachlass, jede Andeutung, jeder Verweis in Zeitungsartikeln von Marx wird darin für die Forschung aufgearbeitet. Für Neuhaus sind das »Textzeugen«, die etwas über Einflüsse und Entstehungsweise eines Textes verraten. Diese Vorgehens- und Arbeitsweise hat sich in Neuhaus’ Denken eingeschrieben. Die Antwort auf eine Frage beginnt bei ihm oft mit dem Griff ins Bücherregal, dazu erklärt und erläutert er Dinge, die zwischendurch vollkommen abseitig erscheinen.

»Plötzlich war alles Unfug«

Eines sagt er ganz geradeheraus: Die Arbeit an der MEGA hatte in der DDR auch etwas »Subversives«. Denn wer die angeblich heiligen Texte kennt, verwaltet und interpretiert, hat Macht. Nur vom Thron der Wissenschaft aus sei die Deutungshoheit des Parteiapparats über Marx überhaupt angreifbar gewesen. Die Brisanz leuchtet ein, wenn man die Geschichte David Rjasanows kennt. In den zwanziger Jahren hatte er die Arbeit an der ersten wissenschaftlichen Gesamtausgabe aufgenommen. Stalin mochte ihn nicht, der Partei missfiel sein Editions-Ansatz, das Projekt wurde gestoppt und Rjasanow 1938 nach einer viertelstündigen Gerichtsverhandlung erschossen. Als Neuhaus die Arbeit an der MEGA begann, war Stalin längst tot. Das Klima in der DDR sowieso nie vergleichbar mit dem der Sowjetunion in den dreißiger Jahren. Neuhaus arbeitete weitgehend unbehelligt und vollführte vorsichtige ideologische Eiertänze. Ansonsten las er englischsprachige Zeitungen, wie die New York Daily Tribune, für die Marx als Korrespondent gearbeitet hatte. Er editierte Notizhefte »des Universalgelehrten«, der sich sogar Mitschriften zur Schweinezucht machte. Seine Arbeitsgruppe genoss das Privileg, schon ab 1985 über einen Robotron 1715, den damals modernsten PC der DDR, zu verfügen. »Wir haben die ersten Schritte Richtung Digitalisierung dieses gewaltigen Werks gemacht.« Darauf ist Neuhaus stolz. Eigentlich scheint alles an dieser Arbeit wunderbar gewesen zu sein. Nur, die Einleitung zu schreiben für die einzelnen Bände, das nicht, sagt er. »Da hieß es dann, da muss jetzt dies und das aber noch mit reingeschrieben werden.« Staatstragende Prosa, die er so nie habe schreiben wollen. Neuhaus schämt sich fast dafür.

[caption id="attachment_65843" align="aligncenter" width="529"] Relief "Aufbruch": Hing einst im Stadtzentrum, heute in der Jahnallee neben der Handelshochschule[/caption]

Hergestellt wurden die Bände im Graphischen Viertel beim VEB Interdruck Leipzig, einem der modernsten grafischen Großdruckbetriebe der DDR, heute luxuriös sanierte Wohnanlage mit dem vornehmen Namen »Interdruck-Palais«. Der Betrieb hat die Wende nicht überlebt. Anders die MEGA-Edition. »Das ist eigentlich ein Wunder«, sagt Neuhaus. Eigens dafür gründete sich 1990 in Amsterdam die Internationale Marx-Engels-Stiftung, die seither die MEGA herausgibt. Wissenschaftlerteams aus Deutschland, Russland, Frankreich, den Niederlanden, den USA und Japan arbeiten heute an der Gesamtausgabe. Neuhaus wurde 1995 zuerst Mitarbeiter, ab 1998 bis zu seiner Rente 2011 Leiter der Arbeitsgruppe an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, wo Koordination, Endredaktion und Satzvorbereitung der Bände stattfanden. Über die Zwischenzeit redet Neuhaus nicht gern. »Das war einfach traumatisierend«, sagt er. Dass sein Lebenswerk vom Prestigeobjekt zum Nischenprodukt schrumpfte, ist sicher nur ein Grund. Das allein sei schmerzhaft gewesen. Doch entscheidend für ihn ist: »Wir haben nach einem modernen philologischen Konzept gearbeitet, das war internationaler wissenschaftlicher Standard«, und das sei letztlich anerkannt worden. Er holt einen seiner Lieblingsbände hervor: Abteilung IV, Band 26, die »Geologischen Exzerpte«, erschienen 2011. Neuhaus ist begeistert, besonders von den Skizzen des, wie er ihn nennt, »bärtigen Welterklärers«. Von 114 Bänden der MEGA-Reihe sind bislang 62 erschienen. Allein das kommentierte »Kapital« umfasst nunmehr 15 Bücher.

Wer liest das eigentlich? »Die Lektüre des Marx’schen Kapitals ist bis heute eine enorme intellektuelle Herausforderung«, sagt Neuhaus. Selbst unter seinen zeitgenössischen Anhängern habe es nur wenige gegeben, die die notwendige »Beharrlichkeit« besessen hätten. August Bebel zum Beispiel, der mit Wilhelm Liebknecht die radikaldemokratische Sächsische Volkspartei gegründet hatte, sei erst in einer sächsischen Haftanstalt zur »eingehenden Kapital-Lektüre« gekommen. Neuhaus empfiehlt für den Anfang Marx’ Briefe. Denen, die es ernst meinen, sei der »Kapital-Lesekreis« im Translib, dem »Communistischen Labor« in Lindenau, empfohlen, der Mitte März in eine neue Runde ging. Hier versucht man wirklich, noch etwas durch die Marx’sche Brille zu sehen. Und das ist wohl nicht weniger, als ihn zu seinem 200. Geburtstag als »deutschen Propheten« ins Museum zu stellen.


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