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Kultur

Bach wie in Bayreuth

Das Bachfest zeigt den neu erfundenen »Kantaten-Ring« und setzt sonst auf Bewährtes

  Bach wie in Bayreuth | Das Bachfest zeigt den neu erfundenen »Kantaten-Ring« und setzt sonst auf Bewährtes

»Das größte Bach-Festival weltweit«, werde 2018 »durch die Decke gehen«, da ist sich der neue Intendant Michael Maul sicher. Die Fülle der unter dem Motto »Zyklen« angekündigten Musik ist in der Tat riesig, die Vielfalt der Veranstaltungen beeindruckend: Neben teuren Konzerten steht auch Kochen wie Bach auf dem Programm.

»Bach mit den Spitzenkräften am Originalort«, lautet die Formel, mit der das Bachfest Erfolge erzielen will. Der neue Intendant Michael Maul, der seine Position erst seit 1. Juni inne hat, war bereits seit 2016 maßgeblich als Dramaturg für die Gestaltung der Leipziger Bachfeste verantwortlich. Das Resultat der Planung: 59.000 Tickets und 161 Veranstaltungen stellen eine Erhöhung des Angebots um 60 Prozent dar.

Der offensiv vermarktete Coup des Jahres ist ein – in Anlehnung an das Opus Magnum eines anderen berühmten Leipziger Komponisten – neu aus der Taufe gehobener »Kantaten-Ring«. Dahinter verbirgt sich die Idee, mit ausgewählten Kirchenkantaten des Thomaskantors Bach im Schnelldurchlauf innerhalb von 48 Stunden ein ganzes Kirchenjahr zu durchleben, beginnend im Advent über Weihnachten und Ostern bis zum 27. Sonntag nach Trinitatis. Es seien »die besten Kantaten«, versichern die Verantwortlichen, wobei die Kür ein zäher und schwerer Prozess gewesen sein dürfte, denn Zweitklassiges – so eine andere Expertenmeinung – ist in Bachs Kantatenschaffen gar nicht überliefert. Bei der Besetzung der ausführenden Künstler würden sogar »Träume Wirklichkeit« werden.

Den Impuls, neben dem Richard-Wagner-Mekka Bayreuth auch in Leipzig einen »Ring« zu etablieren, gab Festival-Präsident Sir John Eliot Gardiner, der Bachs Kantatenschaffen kennt wie seine eigene Westentasche. Im Jahr 2000 führte er sämtliche Kirchenkantaten Bachs im Zyklus des Kirchenjahres an verschiedenen, teils eng mit der Biografie Bachs verbundenen Orten auf und produzierte sie nebenbei noch auf CD. Gardiner und sein Monteverdi Choir sowie die English Baroque Soloists sind mit drei Kantaten-Konzerten zu erleben. Im Ring stehen ihm Ensembles und Dirigenten zur Seite, die sich mit dem umfangreichen Gesamtwerk der Kantaten beschäftigt haben und die ein Garant sind für zeitgemäße, moderne Bachinterpretation: Das Amsterdam Baroque Orchestra & Choir unter der Leitung von Ton Koopman, Masaaki Suzuki und sein Bach Collegium Japan und die Gaechinger Cantorey unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann.

Die Kombination aus internationalen Interpreten, die in Sachen Bach seit Langem das Wort vorgeben, und der Vermarktung der mehr oder weniger originalen Spielstätten des Thomaskantors Bach, St. Thomas und St. Nikolai, scheint aufzugehen: Der Kantaten-Ring ist längst ausverkauft. Dieses hochkarätige und entsprechend kostspielige Best-of-Best-Angebot schielt naturgemäß auf ein zahlungskräftiges internationales Touristenpublikum. Schon jetzt seien 90 Prozent der Festivalgäste nicht aus Sachsen und kämen extra wegen des Bachfestes von sehr weit her nach Leipzig, bescheinigt Michael Maul.

Auch entsprechende Rahmen-Events mit hohem Erlebnisfaktor bleiben nicht aus: Bach als kulinarischem Genussmenschen näher zu kommen, bietet eine Kooperation mit der Kochschule LukullusT an. Dort kann man ein Rezept von 1716 nachkochen. Nach der »Historischen Aufführungspraxis« nun »Historische Kochpraxis« zum Mitmachen.

Wer dagegen eher geistige und klangliche Herausforderungen sucht, dem seien Steffen Schleiermachers »Zyklus!«-Konzerte im Grassimuseum und Mendelssohn-Saal empfohlen. Als Solist und mit seinem Ensemble Avantgarde schlägt er den thematischen Bogen ins Heute und kontrapunktiert das diesjährige Motto »Zyklen« mit Werken von Feldman, Messiaen, Cage und Yun.

Etwas mehr Mut zu assoziativen Gedankensprüngen und Querverbindungen dieser Art im Programm des Bachfestes 2018 hätte man sich durchaus vorstellen können. Der Neuerer Bach selbst – zu Lebzeiten als recht kompliziert, verwirrend und kopfig in Leipzig eher gefürchtet als geschätzt – hätte vermutlich viel geistigen Genuss daraus gezogen.

Stattdessen setzt man bewusst auf Bewährtes. Die Zusammenarbeit der musikalischen Institutionen der Stadt lässt sich hier von der besten Seite präsentieren: Das Gewandhaus trägt den Schwerpunkt »Mendelssohn im Bachfest« bei, es gibt drei »Grosse Concerte« mit dem Gewandhausorchester. Der Thomanerchor wird das Eröffnungskonzert unter der Leitung von Thomaskantor Gotthold Schwarz mit Musik aus der Zeit vor Johann Sebastian Bach bestreiten. Gotthold Schwarz und der Thomanerchor musizieren zum Abschluss außerdem die h-moll-Messe in der Thomaskirche, in der Oper Leipzig gibt es eine Ballettversion der Johannespassion. Auch die Akteure der Musikstadt, die oft in der zweiten Reihe stehen, kommen zum Zuge: David Timm dirigiert in der Universitätskirche, Gewandhausorganist Michael Schönheit beleuchtet Bachs Orgelschaffen und Stephan König bespielt mit einer Jazzversion des Weihnachtsoratoriums das Westbad.

Das Bachfest 2018 sprengt schon jetzt alle Dimensionen, allein was die Menge an Veranstaltungen und deren Vielseitigkeit anlangt. Dass sich dazu auch noch das Who’s Who der Szene einfindet, kann einen aber freuen. Es geht schließlich um Bach.


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