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Krieg der Fernsteuerung

»The Automated Sniper« gibt Anlass, über das Theater der Gewalt nachzudenken

  Krieg der Fernsteuerung | »The Automated Sniper« gibt Anlass, über das Theater der Gewalt nachzudenken

Plötzlich fallen Schüsse. Zwei Männer ducken sich unterm Visierlaserstrahl weg. Trotzdem treffen sie die Geschosse aus der Drohnenkanone, die über der Kulisse kreist. Die Bühne als Schlachtfeld. Wo eben noch die Kunst und ihre Kraft als fünfte Gewalt gefeiert wurden, herrscht nun reine Gewalt. Der Zuschauerblick wird zum Fadenkreuz, der die peitschenden Schüsse lenkt. Willkommen zu »The Automated Sniper«, dem ferngesteuerten Scharfschützen.

Die Produktion, die mit der Kunst ins Gefecht geht, hat Julian Hetzel erdacht. Erneut verbindet er installative Performance mit einer ethisch-politischen Dimension. Vom gebürtigen Schwarzwälder, der in Weimar und Amsterdam Kunst studierte, war in der Schauspiel-Residenz 2016 sein Diplom »I’m not here says the void« zu sehen. Während er in der Residenz an einer Produktion für die nächste Spielzeit arbeitet, zeigt der Mitbegründer der Leipziger Elektroband Pentatones »The Automated Sniper«. Das Stück gibt Anlass, nicht nur über Drohnenkrieg, sondern grundsätzlich über Gewalt im Theater und die Zuschauerbeteiligung daran zu grübeln. Dabei sollte Gewalt nicht mit Macht verwechselt werden, deren Strukturen seit #Metoo ein bisschen bloßergelegt wurden, auch was das Theater betrifft. Macht kann gewalttätig sein, aber hier geht es vor allem um die Frage, warum der Mensch mit Knüppel, Schwert, Rakete gegen seine Artgenossen vorgeht.

Zum Thema Theater und Gewalt fällt zuerst das Stichwort Prävention ein: sei es als Aufklärung gegen Mobbing – im TdJW-Stück »Erste Stunde« forderte der Schauspieler die Schüler tatsächlich zum Ohrfeigen auf – oder als sozialpädagogisch gerahmtes Mitmachprojekt zur Aggressionskontrolle. Dabei steht Gewalt am Beginn des Theaters, »Die Bakchen« zerreißen bei ihrer Dionysosfeier nicht nur Rehböcke: Die eigene Mutter zerfetzt den König von Theben. Gewalt diente später bei Passionsspielen als mitleidaufzwingende Überwältigungstechnik, aber auch als Mittel, die Manifestation des Rechts durch den Kaiser darzustellen. Beim Volks- und Kaspertheater dient sie auch der Unterhaltung. Eine solche Funktion darf ihr im bürgerlichen Theater nicht mehr innewohnen. Sie tritt hier wohldosiert in Erscheinung. Das ist im Wesentlichen bis heute so.

Während das Publikum seiner Gewaltlust, dem angenehmen Schauder durch bloßes Beiwohnen im Horrorfilm, beim Krimilesen oder Computerspielen problemlos frönen darf, ist das im Theater selten möglich. Weil hier die virtuelle/mediale Abmilderung fehlt, wird das Physische schon als krass empfunden, wenn jemand auf dem Boden aufschlägt oder gegen eine Wand rennt. Das Unmittelbare der Theatersituation regt zum direkten Mitleiden an. Wohl daher wird Gewalt im Theater in der Regel merkwürdig entfremdet – weil überzogen oder nur erzählend – dargestellt.

Selbstzweck darf sie im Theater nicht sein, höchstens als künstlerische Akte der Selbstverletzung – man denke an die Auftritte von Ivo Dimchev bei der Euro-Scene und im Lofft – stattfinden. Ist sie exzessiver, braucht es ein noch ästhetischeres Gewand, wie etwa bei »Zig Leiber / Oi Division« im Lofft, wo sie eingebettet war ins stimmige Choreografie-Musik-Korsett mit zackigem New Wave. Das Schauspiel gab einen »Hamlet« für Hartgesottene: Dessen Kettensägenmassaker-Schluss aber lief als Film ab, also jenseits des Bühnenraumes. Des Centraltheaters »Macbeth« wurde für seine Darstellung nackter Gewalt kritisiert – (fast) hüllenlos kippten sich die Protagonisten mit Kunstblut voll, eindeutiger kann man das grausame Morden bei Shakespeare kaum abbilden. Am meisten an oder über die Grenzen ging »Fight! Palast« (Lofft) mit seiner Verlagerung eines Kickboxkampfes in den Bühnenraum. Ganz an die Intensität einer Arenaprügelei kam die Produktion nicht heran. Aber für ein Publikum, das für die Schau des Kampfes weniger geschult ist, war schon ein Moment direkter Hau-drauf-Physis zu erleben.

Jetzt kommt also der Drohnenkrieg auf die Bühne. In »The Automated Sniper« wird das ethische Dilemma der fern- und selbststeuernden Überwachungs- und Killapparate behandelt. Aber es wird mit dem Blick des Zuschauers verbunden, der hier die Gewaltsituation als Anwesender nicht nur konstituiert und bezeugt. Er steuert selbst die Drohne, sitzt am Abzug. Damit rührt die Inszenierung auch an der Frage nach dem Wesen der Gewalt. Ist sie das Unhintergehbare der Conditio humana, das zutiefst Menschliche in seiner Unmenschlichkeit? Was fasziniert uns an Gewalt? Und wie weit ist der Zuschauer bereit mitzugehen?


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