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Politik

»Wenn man schon stirbt, dann so teuer wie möglich«

Wie Bernd Kruppa von der IG Metall es schafft, die Streikenden von Halberg Guss zu motivieren

  »Wenn man schon stirbt, dann so teuer wie möglich« | Wie Bernd Kruppa von der IG Metall es schafft, die Streikenden von Halberg Guss zu motivieren

Seit zwei Wochen befinden sich die Arbeiter von Halberg Guss im Streik. Dass sie so lange durchhalten, liegt auch an Bernd Kruppa. Der Gewerkschafter ist ein Kind der Arbeiterklasse und hält die Streikenden bei Laune. Zu Besuch in seinem improvisierten Büro vor den Toren des Werkgeländes.

Schon von weitem sieht man die IG Metall Fahnen auf der Merseburger Straße, immer wieder hupen vorbeifahrende Autos und LKWs um ihre Solidarität zu zeigen. Vor den beiden Toren zum Werksgelände von Halberg Guss sitzen Männer auf Klappstühlen und Bierbänken, aus Boxen kommt Musik, auf dem Grill brutzeln Buletten. Bernd Kruppa grüßt freudig. Der erste Bevollmächtigte der IG Metall Leipzig wirkt nicht aufgesetzt, sondern singt ungehemmt zu »Knockin' On Heaven's Door« und greift die Akkorde in der Luft. Früher spielte er in einer Punkband Gitarre, erzählt er. In die Generation der Friedensbewegung und des Ost-West-Konflikts geboren, sei er schon früh »angezeckt« worden.

Als Kind eines Werkzeugmachers und einer Friseurin wurde Bernd Kruppa in der Industriestadt Salzgitter geboren. Er wurde bereits mit 24 zum Betriebsrat gewählt und arbeitet nun schon seit über 20 Jahren für die IG Metall. Seit wann er Mitglied ist? »Da bin ich schon seit Geburt«, scherzt er. Ein bisschen Wahrheit steckt darin, denn zu Jugendzeiten organisierte er bereits den Widerstand gegen Strukturen seiner Schule. Dem wird er noch immer nicht müde, denn jeder kleine Sieg gibt Motivation für den nächsten Kampf. »Es sind zu viele Schlachten geschlagen, um aufzugeben.«

Den Erfolg eines Streiks machen für ihn Disziplin, Kommunikation und Organisation aus. Zwar sei kein Streik wie der andere, doch die Grundvoraussetzungen müssen stimmen, um die Motivation und Solidarität der Belegschaft zu erhalten. Deshalb hält er Informationen nicht zurück – sobald es eine Änderung gibt, ruft er die Belegschaft zusammen, um über neueste Entwicklungen zu berichten.

[caption id="attachment_67058" align="aligncenter" width="660"] Bernd Kruppa, Foto: Marcel Noack[/caption]

Die Sachlage sei komplex, sagt Kruppa über die Hintergründe des Streiks und schildert, wie die Prevent-Gruppe Gießereien in Deutschland aufkaufe, um den Großkunden durch horrende Preiserhöhungen möglichst viel Geld aus den Taschen zu ziehen. Sobald der Kunde eine neue Produktionsstätte gefunden habe und abspringt, würde das Werk geschlossen werden und die Mitarbeiter stünden auf der Straße. Die Werksschließung von Halberg Guss ist für 2019 geplant, etwa 600 Angestellte und ihre Familien sollen zurückgelassen werden. Doch die Konzerne haben nicht mit der Kampfkraft der Belegschaft gerechnet. »Es gibt nichts mehr zu verlieren«, sagt Kruppa. Wohl auch ein Grund, weshalb der Streik nach zwei Wochen ungebrochen ist.

»Wenn man schon stirbt, dann so teuer wie möglich«, sagt Kruppa und erklärt die Forderungen der Streikschaft. Ein Sozialtarifvertrag, der aus drei grundlegende Komponenten besteht: Eine dreieinhalbfache Abfindung, die gewöhnlich mit einem Faktor von 0,5 berechnet wird, 95 Prozent des Nettogehalts für IGM Mitglieder über 12 Monate und die Einrichtung eines Treuhandfonds zur Absicherung der Kunden wie VW, Opel und Deutz.

Kruppa ist um keine Antwort verlegen. Mit Enthusiasmus bricht er komplizierte Sachverhalte herunter, besonders gerne in Fußballmetaphern: »Dann sind wir nicht mehr in der Regionalliga. Dann sind wir in der Champions League«, erklärt er die Rolle der Werksstreikenden im Zusammenspiel mit den Konzernen VW und Prevent. Um einen Punkt zu verdeutlichen schnipst er mit den Fingern, Gestikuliert, legt Kunstpausen ein. Leidenschaftlich. Engagiert. Er fühlt sich den Werktätigen verbunden, der Arbeiterklasse zugehörig, er spricht immer wieder von »Wir« im Kontext mit der Belegschaft.

Beinahe sentimental wird er, als er von seinem Traum schwärmt, Theaterwissenschaften zu studieren. Seinen Hang zum Theater kann man an der Energie sehen, die er beim Reden vor den Arbeitern ausstrahlt. Er macht Witze, klopft Sprüche, beantwortet Fragen der Belegschaft, gestikuliert in Richtung der Umstehenden, baut Spannung auf. Die Streikenden nicken zustimmend und lachen über seine Witze.

[caption id="attachment_67060" align="aligncenter" width="660"] Die Streikenden, Foto: Marcel Noack[/caption]

In dem improvisierten Büro auf einem halbüberdachten Parkplatz, bestehend aus Bierbänken und Tischen, müssen sich die Streikleitung der Gießerei und die Vertreter der IG Metall immer neue Kniffe einfallen lassen »Wir sind im Arbeitskampf«, sagt Kruppa, »wir müssen uns mit allen Tricks wehren“. Ein Trick ist zum Beispiel, die Straße vor dem Werksgelände als permanenten Versammlungsort anzumelden. Oder der Beschluss der Landesdirektion von Mittwoch, dass Externe die Maschinen der Gießerei nicht bedienen dürfen. »Arbeitsschutz geht alle an«, heißt es mit Augenzwinkern während der Bekanntmachung, denn Verstöße gegen Arbeits- und Werksschutz sind Grundlage des Verbots. Die Idee, so den Abtransport der im Werk verbliebenen Teile zu verhindern, kam von den Angestellten. »Unsere Jungs und Mädels sind auch hart drauf«, sagt Kruppa und berichtet voller Stolz über die kreativen und engagierten Streiker, die Bindungen, die entstehen, die »Geschichten in der Geschichte«.

Kruppas Sohn wurde im Alter von 24 Jahren in den Betriebsrat gewählt, auch seine 16-jährige Tochter ist sehr politisch, aber drückt das über Kunst aus. Seine Frau sei abgebrüht genug, um mit den Risiken umgehen zu können, die sein Job mit sich trägt. Erst Dienstag reichte die Firmenanwältin Monika Birnbaum eine Klage auf Schadensersatz in Höhe von  einer Million Euro gegen Kruppa ein. »Daran verschwende ich keine Gedanken. Dann müsste ich mir einen anderen Job suchen.«

Problemlos wechselt der zweifache Vater zwischen hitzigem Gespräch mit Pressevertretern zu scherzhaftem Geplänkel mit den Streikenden. Der 54-Jährige ist kein Mann für halbe Sachen – so führt er den Streik, so kommuniziert er mit der Belegschaft. Klare Aussagen, denen eine Endgültigkeit nachschwingt. Ähnlich urteilt er auch über jene, die nicht zu seiner Befriedigung funktionieren: »Diese Hippies in Sandalen, das sind keine Linken, das sind keine Kerle.« Mit der Vereinfachung von Sachverhalten kommen auch Klischees zum Vorschein.

[caption id="attachment_67061" align="aligncenter" width="660"] Kruppa (Mitte) im Gespräch mit OBM Burkhard Jung und der Polizei, Foto: Marcel Noack[/caption]

Der Druck ist groß, Schlafmangel durch Nachtschichten und ständige Belastung zerren an den Nerven. Nach Ruhephasen gibt es immer wieder Ansprachen, neue Informationen und Solidaritätsbekundungen. »Das hält die Konzentration«, findet Kruppa. Es solle schließlich keine Langweile unter den Streikenden aufkommen. Das Angebot von Anwältin Birnbaum, 3000 Euro an denjenigen zu zahlen, der den Strom im Werk wieder zum Laufen bringt, sorgt für Gelächter. Kruppas Antwort: »Für 270 Millionen machen wir den Strom wieder an.«


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