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Kultur

Heldenmädchen

Cunst & Crempel: Die Comic-Kolumne von Tobias Prüwer

  Heldenmädchen | Cunst & Crempel: Die Comic-Kolumne von Tobias Prüwer

Von ebenso eigenwilligen wie starken Frauencharakteren und anderen schnieken Comicneuerscheinungen

Die eine zugeknöpft, die andere offenherzig: Auf den ersten Blick unterscheiden sich die beiden jungen Frauen sehr. Dass eine dicke Kleiderschichten trägt, die zweite vielmehr (fast) nichts, könnte zunächst an den verschiedenen Witterungsbedingungen liegen. Stapft die »Schmiedstochter« Massu doch durch eine vorrangig herbstliche Fantasy-Welt, so schlägt und schläft sich Kala, die »Urweltamazone« durch eine vulkan- und urwaldgeprägte Saurierwelt. Wobei »schläft sich« schräg klingt, denn Kala »schläft sich nicht hoch« (noch so ein dummer Ausdruck). Sie nimmt, sich was sie braucht und lässt sexuelle Nötigung nicht ungestraft.

Was sie nun mit Massu gemeinsam hat? Es sind beides für sich starke Heldinnen, wie es sie noch öfter im Comic geben könnte. Ein Hexer und Necromant hat den Vater von Massu entführen lassen. Denn dieser, der Eiserne genannte Finsterling nährt sich und sein Reich aus Eisen und sammelt alle Schmiede gewaltsam um sich. Obwohl alle abraten, treiben Wut und Trotz Massu an, sich dem Hexer zu stellen. So macht sie sich auf die Wanderung, trifft seltsame Kreaturen, von denen manche trotz oder ob ihrer Andersartigkeit sich als helfende Gefährten herausstellen. Und schließlich gelingt es Massu, den Sturm auf die eiserne Stadt anzuführen. Soweit, so berechenbar. Inhaltlich reiht sich der Comic in die Reihe vieler Fantasy-Geschichten ein. Dafür ist er aber umso schöner erzählt und illustriert. Warm sind die Farben des Waldes, kühl die Rückblenden auf die Genese des Hexers, luftig-blass der Horst der weisen Eulen. Die Figuren schrammen an bloßer Niedlichkeit zum Glück vorbei. Zeichnerin und Autorin Ines Korth hat nicht zu viel an Mangas genippt, auch wenn das die großen Klimperaugen zunächst befürchten lassen. Die Dichotomie von böser Industrie (Eisen) und guter Natur wird nicht zu sehr ausbuchstabiert, nervt folglich nicht. Das macht »Massu« super zum Weckschmökern und gerade einem jüngeren Publikum wird die junge Heldin sicher ans Herz wachsen.

Für Erwachsene ist »Kala« entworfen – unbedingt gilt das für den jüngsten Auswurf der Reihe. Der enthält nämlich die »Hard-Core-Abenteuer«, es wird explizit, also nicht nur blutig, sondern auch saftig. Neben diesem Sonderband sind drei Hefte mit Geschichten der Steinzeit-Amazone bei Weißblech-Comics zu haben. Das ist an sich schon eine kleine Leistung, diese verstreuten Underground-Klassiker aus den 2000ern gebündelt zu veröffentlichen. Zusätzliches Artwork und ein paar Hintergrundinfos machen die Hefte zu Sammlerstücken. Aber auch Lesenden ohne Nostalgie-Interessen kann Kalas Welt Spaß bereiten.

Wie ihre Heldin, so fackeln die Storys nicht lang. »Bämm!« ist man in der Handlung drin, zack geht es zur Sache, trumpft Kala final auf. Das Setting ist schnell erklärt: In einer alternativen Urzeit kreucht und fleucht zusammen all das herum, was sich so ein Hirn im Spätkapitalismus ausdenken kann. Allerlei Saurier sind da vertreten, Neandertaler und andere Krawallstirnen, irgendwelche Kulte und Megalith-Verehrer. Kala kann mit Menschen – wenn sie nicht gerade Lust auf Sex hat –, wenig anfangen. Besonders der Dumpfang Religion geht ihr auf den Keks. Sie zieht lieber als Freigeist zusammen mit ihrem Saurierstiefbruder durch die Landen und Lenden. Man merkt: »Kala« ist großartiger Trash und eine Hommage an alte Zeiten des Exploitation-Comics- und Films. Und doch ist er auch anders. Die Serie ist reflektierter im Zugriff: Statt wie üblich, eine physisch starke und üppige Charakterin zu zeichnen, die dann doch nur Abziehbild männlicher Fantasie bliebt, ist Kala eigenständig.Und genau das macht Massu und Kala besonders: Sie operieren jenseits der Klischees, sind keine bloß verkleideten Rollenvorstellungen von Mädchen/Frauen, zugleich wird ihnen auch nichts vermeintlich Mannhaftes angedichtet. Sie sind sie, finden einfach statt – und es fetzt, ihren Erlebnissen beizuwohnen. Punkt.

Straußen-ParabelEigenwillig trifft als Beschreibung auch auf die heimliche Heldin von »Dickmadam, die lachte« zu. Inspiriert von einem Chanson über eine unsterbliche Schlossherrin haben Zidrou und Benoît Springer ein Comic über ein Stehauffrauchen entworfen. Dora und Pep Pla betreiben eine Straußenfarm irgendwo in der australischen Pampa. Glücklich kann man das Zusammenleben nicht beschreiben. Irgendwann erschlägt Pep Dora, vergräbt sie in einem Brunnen und fährt nach Hause. Wo Dora ihn schon erwartet. Mehrere Versuche misslingen, auch die Mithilfe von Doras Tochter – und Peps neuer Liebe – bringt nichts. Dora will nicht sterben. Eine düstere Parabel ist hier gelungen hübsch schräg und das Straußen-Setting ist verstörend. Immer und überall stehen die scheinbar dummen Vögel herum, schauen noch bei der blutigsten Tat dumm aus der Straußenwäsche. Ihre verständnislosen beziehungsweise ausdruckslosen Blicke wirken wie irrwitzige Kommentare.

Nazis auslachenIn Zeiten, in denen selbst der öffentlich-rechtliche Rundfunk einknickt vorm rechten Gelichter und überall die Formel »Mit Nazis reden« als Problemlösung beschworen wird, sind Bücher wie »Cartoons gegen Rechts!« um so wichtiger. Der Lappan-Verlag hat den Band eingereiht zwischen Lappalien wie »Cartoons für Gärtner« und das ist genau richtig. Es sollte trivial und selbstverständlich sein, sich gegen Nazis und andere Wiedergänger von Rechts zu positionieren. Die rund 120 Cartoons im Buch haben eine große Humorbandbreite von witzig bis bitter böse. Da ist quasi für jeden was dabei und das Buch nicht zu teuer, um es an Weihnachten oder anderen lieben Festen braunen Schafen unter der buckligen Verwandtschaft um die Ohren zu hauen.

Nieder: Oder nie wiederIn eine ähnliche Kerbe schlägt »Nieder mit Hitler!«, geht das Thema aber historisch an. Jochen Voit und Hamed Eshrat erzählen die weitgehend vergessene Geschichte der Widerstandsgruppe um Jochen Brock. Die Erfurter Schüler der Handelsschule hören heimlich ausländische Sender und verteilen schließlich Flugblätter, die sich gegen Hitler und den Krieg richten. Nach Verrat werden sie 1943 verhaftet, entgehen der Todesstrafe nur knapp. Der gut erzählte, aufschlussreiche Comic holt diese mutigen jungen ins Gedächtnis zurück. Ein Sachteil am Ende des Buches enthält ausführliche Informationen. In den Comic eingearbeitete Fotos und sehr detailreiche Hintergründe etwa vom Erfurter Anger, der Handelsschule oder der Burg Gleichen schaffen für Ortskundige noch ein intensiveres Hineinversetzen. Doch auch für alle anderen ist das Buch neben der historischen Perspektive auch ein Beispiel für die Kraft des Gewissens. Und dass man oft die Wahl hat, den Mund nicht zu halten.

Troll, Junge!Grimr: Der Charakter des Jungen ist wie sein Name. Dabei kann er, der im Island des 18. Jahrhunderts aufwächst, auch liebend und gutmütig sein. Aber immer wieder brodelt sein hitziges Temperament hervor wie ein Geysir. Das ist allzu verständlich, hat es das Schicksal wenig gut gemeint mit Grimr. Er verliert die Eltern, dann seinen neuen Schutzpatron und wird immer wieder rechtlos verhöhnt und gedemütigt. Dann nimmt man ihm auch noch die Geliebte weg. Was ihn zu einer Titanenarbeit antreibt. Wie ein alte Saga wird Grimr Geschichte erzählt. Man schaut auf ihn und seine Taten, sein Innenleben bleibt eher unerklärlich. Ebenso düster zumeist sind die aquarellierten Zeichnungen von Jérémie Moreau gehalten, was das unwirtlich wirkende Island noch unwirtlicher macht. Elend und Naturkatastrophen sind an der Tagesordnung und Grimr muss sich hier zurechtfinden – und wird selbst zur Legende.


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