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Kultur

»Wir sind kein Elfenbeinturm«

Zielvereinbarungen, Qualitätsmanagement und ihre Wirkungen auf die Kunstausbildung

  »Wir sind kein Elfenbeinturm« | Zielvereinbarungen, Qualitätsmanagement und ihre Wirkungen auf die Kunstausbildung

»Hochschulentwicklingsplanung 2025« nennt sich das vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst erarbeitete Paket, das Hochschulen passgenaue Zielvorgaben setzt. Werden diese verfehlt, können den Hochschulen Fördermittel gestrichen werden – wie zuletzt der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig in Höhe von 173.000 Euro. Geld, das für Exkursionen, Projekte und Personal fehlt.

Es war beim letzten Rundgang im Februar an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB), als sich an unzähligen Wänden und Türen Aufkleber mit der Botschaft »Powered by -173.000« fanden.

173.000 Euro forderte das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) von der Hochschule, weil sie sich nicht an die verhandelten Zielvorgaben innerhalb der Hochschulentwicklungsplanung 2025 gehalten hatte. Dazu gehört zum Beispiel eine zu häufige Überziehung der Regelstudienzeit. Da das Geld nicht aus dem Personaltopf abgezogen wird, initiierte der Studierendenrat die Proteste, denn nicht nur er befürchtet Einbußen für Exkursionen und andere Projekte.2017 rechneten die Hoch- und Fachschulen, Universitäten im Freistaat erstmals ihre erreichten Ziele von 2014 bis 2016 ab. Das Ministerium meint es nur gut, zielt auf verbesserte Studienerfolgsquoten und betont gegenüber dem kreuzer, dass »erstmals« die Planung »nicht vor dem Hintergrund eines Personalabbaus« stattfindet. Der Entzug von Geldern für Bildungsinhalte bedeutet aber auch, dass sich das SMWK »in einem Spannungsfeld« befindet und sich »bei jedem Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit an der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne messen lassen« muss – wie es in der Planung steht. Denn die Kunsthochschulen sind ein nicht unerheblicher Imagefaktor – wie das SMWK auf Nachfrage ausführt. Kurz: Sie prägen ein Bild von Sachsen jenseits schwarz-rot-goldener Hutträger.

Dass derartige gesellschaftliche Bilder wiederum Einfluss auf die Kunsthochschulen besitzen, merkte der Rektor der Dresdner Hochschule für Bildende Künste Matthias Flügge. Als Pegida begann, sank die Zahl von Studienanfängern. Sie zogen andere Ausbildungsorte vor. Flügge steht seit 2012 der Dresdner Hochschule vor. Auf die Frage, was sich in den letzten sechs Jahren grundlegend veränderte, erhält man sehr schnell die Antwort: »Nicht viel«. Die steten Probleme sind wachsendes Personal bei gleich bleibendem Budget.

[caption id="attachment_72465" align="alignleft" width="320"] Matthias Flügge, Rektor der Dresdner Hochschule für Bildende Künste. Foto: Matthias Blumhagen[/caption]

Er sieht eine Ungleichbehandlung darin, dass bei 590 Studierenden bereits eine kleine Anzahl von Studienabbrechern und/oder Langzeitstudierenden ausreicht, um die Zielvorgabe nicht zu erreichen. Die Zahl ist seiner Meinung nach so gelegt, dass wirklich alle alles richtig machen müssen. 360.000 Euro forderte das SMWK von der Kunsthochschule Dresden. Alternativ können Anträge gestellt werden, um von dieser Summe wieder Gelder für zweckgebundene Projekte zurückzuerhalten. Damit gilt es, die angespannte Personalsituation zu verändern. Hierbei sollen Tutoren- und Mentorenprogramme oder das Career Service-Programm helfen. Andere »Strafgelder« beziehen sich auf Gleichstellungsziele. Ein fünfstelliger Betrag kann fällig werden, wenn ein Mann statt einer Frau die Professur erhält. Führt das zu einer konsequenten Gleichbehandlung von Bewerbern? Verändern Hochschulen die Kunstwelt oder gar das SMWK den Kapitalismus?

Der Künstler Thomas Locher ist seit Februar 2018 Rektor an der HGB. 2017/18 gab es 602 Studierende. Für 2024 sind 500 vorgesehen. Dann befänden sich alle in der Regelstudienzeit – mit anderen Worten: Die Differenz zu heute sind diejenigen, die über die Regelstudienzeit hinaus studieren.

[caption id="attachment_72466" align="alignleft" width="320"] Kritische Blicke in die Zukunft: HGB-Rektor Thomas Locher aus Leipzig. Foto: Erich Malter[/caption]

Für Locher bedeutet eine Kunstakademie Schutzraum und Experimentierzone. Hier finden künstlerische Ausbildung und Forschung auf höchstem Niveau statt. Beide sollten jenseits von Verwertungslogik existieren. Zum attraktiven Angebot so einer Hochschule gehört neben einer »ausgiebigen Werkstattkultur« ein gutes Betreuungsverhältnis. Locher betont im Gespräch mit dem kreuzer, dass »wir nicht im Elfenbeinturm sitzen«. Vielmehr weist der Rektor auf das Einwerben von Drittmitteln, Stipendienvergaben und die Praxisnähe beispielsweise von Grafikdesign und Fotografie hin. Wie auch in Dresden kann die HGB Anträge stellen, so dass aus den 173.000 Euro weniger werden. Aber auch Anträge kosten Nerven, Zeit und Personal. Trotzdem verurteilen weder Flügge noch Locher die Planung, denn so schreibt die jetzige Regierung einen Status quo fest. Dieser wäre auch für die Folgeregierung gültig.

Wichtig für Flügge ist allerdings, dass die Hochschule ihren Betrieb leitet und nicht vom Ministerium ferngesteuert wird. Zudem bedeutet die zunehmende Bürokratisierung – wie Qualitätsmanagement – eine zusätzliche Bindung von Zeit und Personal jenseits der Ausbildungsaufgaben einer Kunstakademie. Hoffnung besteht bei Flügge trotzdem, denn 2020 findet die Zwischenevaluierung statt und dabei können die Hochschulen ihre Erfahrungen kommunizieren.

Für das SMWK gibt es derzeit – wie es auf kreuzer-Anfrage verrät – »keinen Grund zur Unzufriedenheit«. Das Ministerium betont zudem, dass es sich bei den Summen nicht um Strafgelder handelt, sondern darum, den »vereinbarten Anteil der Absolventen innerhalb der Regelstudienzeit zum Abschluss zu führen. Das Nichterreichen von Zielen führt zur Verrechnung mit dem neuen Zielvereinbarungsbudget 2017 bis 2020. Die damit freiwerdenden Mittel verbleiben im Hochschulbudget, über die Verwendung entscheidet das SMWK im Benehmen mit der Landesrektorenkonferenz.« (Hervorheb. SMWK)Ob sich dadurch blühende Landschaften an den Kunsthochschulen ganz nach den ministerialen Vorstellungen weiter entwickeln werden, zeigen die nächsten Jahre. Zweifelsohne kann der Freistaat durchaus positive Imagefaktoren gebrauchen.


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