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Grüne Hölle

Für die sächsischen Grünen gibt es keine Position der Unschuld mehr

  Grüne Hölle | Für die sächsischen Grünen gibt es keine Position der Unschuld mehr

Die Grünen in Sachsen sind in einem Dilemma: Mit der Linkspartei will man nicht wirklich, offen sagen möchte das aber auch keiner. Doch auch ein anderer Weg in die Regierung ist der eigenen Wählerschaft wohl kaum zu vermitteln: die Koalition mit der sächsischen CDU.

Christin Melcher ist entschlossen, trotzig sogar: »Wir wollen dieses Land verändern, dazu gehört es selbstverständlich auch, dass wir regieren wollen.« Das Bekenntnis der sächsischen Grünen-Chefin ist eindeutig. Schwarzes Hemd, schwarze Hose, so steht sie in ihrer Küche in einem Leipziger Hausprojekt und drückt schwarzen Kaffee durch das Sieb ihrer Kaffeekanne. »Eine Partei, die antritt und keine Verantwortung übernehmen will, hat ihren Zweck verfehlt.«

Es gibt in diesem Wahlkampf keine Position der Unschuld mehr für die sächsischen Grünen: Verharren sie in Starre, vergeben sie das Potenzial einer landesweit erstarkenden Grünen Partei als letztes Gewicht gegen GroKo und Rechtspopulismus. Im schlimmsten Fall dienen sie als Steigbügelhalter einer schwarz-blauen Koalition. Gehen sie mit der sächsischen CDU zusammen, stützen sie die ungeliebte Regierungspartei und setzen sich der Gefahr aus, ihre junge, urbane Wählerschaft dauerhaft zu verlieren. Einzig der Weg in eine rot-rot-grüne Koalition kann zum oft erklärten Ziel der sächsischen Grünen führen: einem Ende der »sächsischen Verhältnisse«. Doch so entschlossen Melcher wirkt, wenn es um die Machtfrage geht, so schwer scheint die Aufgabe, diese mit einer linken Mehrheit zu gestalten.

In der Konstellation aus einer vollpragmatischen SPD und einer als bockig und eigenbrötlerisch empfundenen Linken könnten die Grünen, wenn auch die kleinste der drei Parteien, der Moderator für ein rot-rot-grünes Bündnis sein. Die Frage ist, ob die Partei, mit ihren gerade mal 1.700 Mitgliedern in Sachsen, die Kraft hat, solch ein Bündnis anzustoßen. Und: ob sie es wirklich will.

Geheime TreffenDerzeit versuchen sich die Grünen in Sachsen tatsächlich als Antreiber eines linken Bündnisses zur Landtagswahl. Das hat zumindest Melcher zu berichten: »Wir haben intensive Gespräche mit allen demokratischen Kräften, die für ein weltoffenes, freiheitliches und gerechtes Sachsen stehen wollen, angestoßen.« In den letzten Wochen gab es Treffen führender Politiker von SPD, Linken und Grünen, um eben solch ein Bündnis zu diskutieren. Was bei diesen Gesprächen herausgekommen ist, wird allerdings nicht verraten. Viel kann es nicht gewesen sein.

Katja Meier, designierte Spitzenkandidatin der Grünen zur Landtagswahl, jedenfalls meint, auf die Rolle der SPD angesprochen: »Die SPD scheint den Kampf um andere Mehrheiten in diesem Land bereits aufgegeben zu haben.« Melcher spricht etwas diplomatischer davon, dass die SPD vor »grundlegenden Richtungsentscheidungen steht, die sie selbst erst mal für sich beantworten muss«.

Dabei gibt es rot-rot-grüne Koalitionen rund um Sachsen – in Berlin beispielsweise und natürlich im Nachbarland Thüringen, angeführt vom linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Wäre das kein Vorbild? »Die Linke in Sachsen hat keinen Bodo Ramelow«, sagt Wolfram Günther trocken. Auch Günther ist designierter Spitzenkandidat der sächsischen Grünen – und sein Satz ein oft gehörtes Bonmot in seiner Partei. Es gilt Rico Gebhardt, Spitzenkandidat der Linken, einem ehemaligen FDJ-Funktionär aus Schlema im Erzgebirge. So richtig doll mag man sich nicht, klingt da durch. Und das, so könnte man meinen, basiert auf Gegenseitigkeit. Aktuelles Beispiel: Anfang Dezember verabschiedete die sächsische Linke auf dem Landesparteitag in Radebeul ihr Papier zu den »Schwerpunkten zur Landtagswahl 2019«. Zu Beginn des Dokuments wird der Rechtsruck in Sachsen beklagt, darauf folgt ein bemerkenswerter Satz: »Die Linke hat Rückgrat bewiesen und wird dies weiter tun: Als SPD und Grüne nach rechts rückten und dem Neoliberalismus Tür und Tor öffneten, hielten wir dagegen.«

Das kam nicht so gut an, hämische Kommentaren auf Twitter folgten: »Sachsen ist drauf und dran eine schwarz-blaue Regierung zu wählen und was machte die
@linke_sachsen? Erstmal potenzielle Koalitionspartner mit Dreck bewerfen«, schrieb ein Grünen-Fan. Andere wiesen auf die populistischen Töne der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hin.

Bloß nicht zu LinksUnd auch innerhalb der Partei entstand der Eindruck, der Hauptfeind der Linken seien offenbar nicht CDU und AfD, sondern SPD und Grüne. So raunt man hinter den Kulissen. Auch von nicht gehaltenen Absprachen im politischen Tagesgeschäft ist unter vorgehaltener Hand die Rede, Vorfälle wie der mit dem Satz im Parteitagsdokument seien »nicht gerade vertrauensbildende Maßnahmen«, sagt ein Parteimitglied. Dieses Misstrauen mag zum Teil historisch erklärbar sein. Immerhin treffen bei sächsischen Grünen und Linken ehemalige DDR-Umstürzler und Ex-SED-Kader immer noch direkt aufeinander. Zudem beobachtet man mit Sorge, dass die in Sachsen traditionell eher provinziell verankerte Linke zunehmend die urbane Kernwählerschaft der Grünen ins Visier nimmt. Und plötzlich auch das Thema Ökologie ganz groß schreibt.

Gleichzeitig achten die Grünen darauf, im Auge des Wahlvolkes nicht zu sehr links zu erscheinen. Vor Kurzem entledigte sich die Partei eines prominenten linken Gesichtes, als sie den männlichen Teil der Doppelspitze überraschend abwählte: Jürgen Kasek. Die Partei verweigerte ihm die Gefolgschaft und wählte statt seiner den Leipziger Stadtrat Norman Volger an die Seite der Grünensprecherin Melcher. Volger begründete die Entscheidung dann auch damit, dass die Grünen nicht als »monothematische Protestpartei« wahrgenommen werden sollten.

Ein weiterer sehr prominenter Partei-Linker wurde schon vor der letzten Landtagswahl 2014 abgesägt: Johannes Lichdi, der in seiner Zeit als Grünen-Landtagsabgeordneter nicht nur der CDU kräftig einheizte, sondern auch seiner innerparteilichen Konkurrentin Antje Hermenau, die nur allzu gern mit der CDU zusammengegangen wäre – und heute in Interviews mit »RT Deutsch« rechte Demonstranten in Schutz nimmt oder der Bundesregierung die Verbreitung von Fake News vorwirft.

Doppelt traumatisiertInteressant an der Personalie Hermenau, die 2015 aus der Partei austrat, ist, dass die sächsischen Grünen mit ihr als Spitzenkandidatin ihre besten Wahlergebnisse erzielten. 1999 fuhr die Partei in Sachsen nach heftigen Flügelkämpfen unter anderem wegen der Politik der rot-grünen Bundesregierung ein desaströses Ergebnis ein: 2,6 Prozent. Zur Landtagswahl 2004 flehte man die damalige grüne Bundestagsabgeordnete Hermenau um eine Rückkehr nach Sachsen an. Sie gab ihr Berliner Mandat auf und sorgte als Spitzenkandidatin tatsächlich für den Wiedereinzug in den Dresdner Landtag – mit denkbar knappen 5,1 Prozent, aber immerhin. Anschließend galt Hermenau als Retterin der Grünen in Sachsen. Parteiintern wurde eine Losung ausgegeben: Einigkeit, Einigkeit, Einigkeit – bloß kein Streit in der Öffentlichkeit. Bei der Landtagswahl 2009 holten die Grünen 6,4 Prozent, so viel wie nie zuvor, Spitzenkandidatin: Hermenau. 2014 dann wollte Hermenau mitregieren und warb offensiv für eine Koalition mit der CDU. Nun regte sich Widerstand. Der Parteilinke Lichdi machte die Konflikte in einem Interview mit dem kreuzer öffentlich (Ausgabe 01/2014). »Rot-rot-grün, das ist die strategisch richtige Option«, sagte Lichdi damals. Und beklagte, dass die Partei sich der Debatte darüber entzieht. Nur Wochen später gab er auf und verzichtete auf eine Kandidatur. Am Ende landeten die Grünen bei 5,7 Prozent, und auch Hermenau ging, nachdem der Landesparteitag gegen Koalitionsverhandlungen mit der CDU gestimmt hatte. Die Partei sei ihr zu weit nach links gerückt, gab sie als Begründung an. Das Donnergrollen nach dem großen Knall von 2014 ist verhallt. Und doch stellt der Abgang der damals prominentesten grünen Politiker Lichdi und Hermenau das zweite Trauma der sächsischen Grünen nach dem Wahldebakel 1999 dar.

Seltsam defensivNun, zu Beginn des Jahres 2019, steht die Partei wieder vor der Gretchenfrage und scheint in Schockstarre verfallen. Offenbar hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Koalitionsaussage in Richtung CDU fatal wäre, gleichzeitig wird der politische Wille, einen Politikwechsel in Sachsen herbeizuführen, offensiv betont. Doch wie das gelingen soll, dafür scheint es keinerlei Konzept, nicht mal eine Idee zu geben. Die von Lichdi schon 2014 geforderte Debatte ist noch immer nicht geführt. Zumindest gibt es den Partei-Beschluss, »Mehrheiten jenseits der CDU zu suchen«, betont die designierte Spitzenkandidatin Katja Meier. Ihr Kollege Günther verspricht gar, »den Wahlkampf darauf aufzubauen, einen klaren Politikwechsel und die Ablösung der CDU aus der Regierungsverantwortung« herbeizuführen.

Doch wenn es konkret werden soll, zieht man sich in der Parteispitze auf seltsam defensive Formulierungen zurück. Melcher: »Der Wunsch nach gesellschaftlicher Erneuerung muss aus der Gesellschaft heraus entstehen und kann nicht glaubwürdig von Parteien inszeniert werden.« Meier: »Politische Bündnisse entstehen aus der Gesellschaft heraus, nicht aus dem bloßen Zusammentackern von Parteien und ihren Prozentzahlen.« Und Günther: »Es braucht für ein solches Bündnis ein gesellschaftlich breiteres und tiefer gehendes Fundament als nur das gegenseitige Verständnis der drei Parteien untereinander.«

Lichdis TraumEinen Lichdi hätte solches Resignieren vor dem Wähler sicher aufgeregt. »Man muss ja wenigstens versuchen, die Verhältnisse zu ändern. Das kann ich nicht erkennen«, sagt Lichdi an Telefon. Auf seiner Webseite schreibt er: »Die Parteien links der CDU versagen seit Jahren vor ihrer verfassungspolitischen Aufgabe und Pflicht, eine glaubwürdige und wählbare Alternative zur Herrschaft der CDU zu erarbeiten und Rot-Rot-Grün in einer Landtagswahl zur Abstimmung zu stellen.« Die Grünen würden in der Vorbereitung auf den Landtagswahlkampf 2019 »merkwürdig blass und ortlos« bleiben, meint Lichdi und schiebt nach: »Das Wahlziel, auf den Anruf der CDU zu warten, ob man nicht eine Zweier-Koalition komplettieren wolle, dürfte kaum als Wahlkampfhit zünden.«

Lichdi selbst klammert sich an die Traum einer »Basisbewegung«, was derzeit ja irgendwie in Mode zu sein scheint. Mit »Dresden kippt« hat sich jüngst solch eine Bewegung gegründet, die eine schwarz-blaue Koalition bei den Dresdner Stadtratswahlen im Mai 2019 verhindern will. Im Impressum auf der Webseite von »Dresden kippt« ist die Adresse von Lichdis Anwaltskanzlei angegeben. Und auch die Domain sachsen-kippt.com ist bereits gesichert.


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