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Kein Aufbruch nirgends?

Rot-Rot-Grün wäre möglich in Sachsen. Was fehlt, sind echte Ambitionen und der
 ernsthafte Wille, das rechte Monopol auf Veränderung zu brechen

  Kein Aufbruch nirgends? | Rot-Rot-Grün wäre möglich in Sachsen. Was fehlt, sind echte Ambitionen und der
 ernsthafte Wille, das rechte Monopol auf Veränderung zu brechen

Rot-Rot-Grün ist möglich! Oder nicht? Wenn man sich die Lage zur Landtagswahl anschaut, scheint sie ziemlich aussichtslos, denn nicht nur rechnerisch würde es derzeit nicht klappen – auch die Parteien können sich bisher nicht wirklich zu einem starken Bekenntnis für einen Wandel in Sachsen durchringen.

Seit Monaten liefern Sonntagsumfragen und Wahlprognosen ein und dasselbe Ergebnis: Die AfD wird nach den Landtagswahlen im September 2019 zweitstärkste Kraft im Parlament des Freistaats Sachsen sein. Nach der CDU. Um zu regieren, brauchen die Christdemokraten Koalitionspartner, allein mit der SPD wird es für eine Mehrheit wohl nicht reichen. Zusammen mit der AfD käme sie auf über 50 Prozent. Verlockend. Einige sächsische CDU-ler liebäugeln schon länger mit Schwarz-Blau. Zuletzt der neue CDU-Fraktionsvorsitzende. Ministerpräsident Michael Kretschmer sagt immer nur: Mit ihm werde es eine Koalition mit der AfD nicht geben. Für seine Partei kann er das offenbar nicht garantieren. Man muss sich also ein Szenario vorstellen, bei dem diese Option ernsthaft zur Debatte steht.

Das wäre ein dramatischer und monströser Bruch. Unsere Demokratie, die ja bekanntlich nur eine sächsische ist, wäre ernsthaft in Gefahr, wenn die AfD die Macht mit dem Politischen kurzschließt. Die AfD bietet sich an als schonungsloser Vollstrecker. Im Namen der Gefühle des Volkes, des sächsischen Volkes, vorbei an vermittelnden Instanzen, an Bürokratie, Rechtsprechung und Gericht, Parlamenten,
Parteien und Wissenschaft, kurz: den Eliten. Das Drohende, das Zupackende hat einen autoritären Kern – das gefällt stabilen 20 Prozent bundesweit und in Sachsen noch mehr Menschen.

Warum? Der Soziologie Wilhelm Heitmeyer untersucht die wachsende Sehnsucht nach dem Autoritären seit Jahrzehnten. 2001 warnte er, die Globalisierung gehe mit politischen und sozialen Kontrollverlusten einher, die zum Aufstieg eines autoritären Kapitalismus führte. Heute, sagt er, ernten wir bereits seine Früchte. Die Wirtschaft boomt, aber die Einkommen stagnieren. Der Finanzsektor geht krachen, Bürgerinnen und Bürger zahlen die Rechnung. Die Armut wächst, Arbeit wird prekär oder befristet und immer mehr. Kriminalitätsfurcht und Terrorismusgefahr perforieren das alltägliche Sicherheitsempfinden. Im Osten wird das alles noch angereichert mit dem Narrativ von den Betrogenen und Verratenen. Soziale Desintegration, Kontrollverlust über das eigene Leben und die Wahrnehmung, trotz Teilnahme an demokratischen Verfahren nichts zu bewirken, gelten Heitmeyer als Folgeerscheinungen. Das wecke den Wunsch nach politischen Angeboten, die Kontrolle durch Ausübung von Macht versprechen, durch Ausgrenzung, Diskriminierung und gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.

[caption id="attachment_72876" align="alignleft" width="320"] Illustration: Markus Färber[/caption]

So weit die Soziologie. Sie verrät allerdings wenig über die politischen Ursachen der Misere, in der Sachsen immer wieder zum Laboratorium rechter Diskurse, Bewegungen und Parteien wird. Nicht nur die AfD zog hier erstmals in den Landtag, sondern auch die NPD schaffte nach der Wende in Sachsen erstmals wieder den Sprung ins Parlament. Demokratiedefizite, die durch die jahrelange Allmacht der CDU entstanden seien und dem gepflegten politischen Diskurs die Luft zum Atmen nahmen, sollen schuld sein. Das ist eine bei den
linken Oppositionsparteien und auch bei der SPD beliebte und bequeme Erklärung.

Es wäre in Sachsen aber dringend an der Zeit, dass die traditionell linken Parteien eines kapieren: Die eigene Schwäche ist die Stärke des Gegners. Es gab in Sachsen noch nie ein alternatives Regierungsprojekt, keine Kampagne, nicht mal eine ernsthafte Debatte um Rot-Rot-Grün. Auch nicht jetzt, wo die Demokratie in Gefahr ist, sich selbst abzuschaffen, möchte man sich zusammenraufen. Beziehungsweise man möchte schon, aber die jeweils anderen Parteien machen Probleme. Beliebte Ausflucht ist auch das Scheinargument, rechnerisch sei diese Konstellation ja nicht möglich, – was natürlich auch daran liegt, dass diese Option gar nicht im Rennen ist.

Darüber hinaus sind die Gründe, warum Rot-Rot-Grün in weiter Ferne liegt vielfältig: Da sind die Schwäche und der Anpassungswille der Sozialdemokraten; die konservative Neuorientierung der Grünen in Richtung politische Mitte, genauer: hin zur CDU; die Linkspartei in der alten Schmollecke ohne Interesse an Regierungsverantwortung in Sachsen. Sie alle tragen ihre Portion Mitschuld an einer absurden Lage: Demokratische, gesellschaftskritische und humanistische Kräfte müssen das Bestehende, die sächsische Demokratie, gegen Attacken von rechts verteidigen. Dazu rufen die genannten Parteien die Bürgerinnen und Bürger sogar noch auf: Gesicht zu zeigen, couragiert zu sein, sich nicht spalten zu lassen, zusammenzustehen und so weiter. Und selbst? Die Sozialdemokratie ist noch mehr damit beschäftigt, zu sagen, wie wichtig es doch ist, Verständnis für die Sorgen und Ängste der Anderen zu zeigen. Die Linke im Sächsischen Landtag tut sich vor allem mit Kontrollversprechen hervor, sie fordert immer noch mehr Beamte, noch mehr Polizei, einen Staat, der sich kümmert. Den Grünen ist das Regieren mittlerweile wichtiger als das Erneuern. Zum Nikolaus gab es die erste gemeinsame Pressemitteilung von CDU, SPD und Grünen: »Gemeinsam für eine umweltfreundliche Heimat«. Ein Titel, der ausreichend Auskunft gibt über Anpassungsleistung der parlamentarischen Vertreterinnen und Vertreter der Parteien an den rechten Diskurs. Es ist auch ein Signal, wohin die Reise gehen soll: Schwarz-Rot-Grün. Vielleicht geht dieser Plan sogar auf und die CDU schafft es, nicht nur die SPD, sondern auch die Grünen an sich zu binden. Die AfD und die rechte Hegemonie in der Fläche würde das stärken. Ihre Wortführer könnten sagen, sie hätten wenigstens noch echte, wenn auch üblen Ziele und stünden glaubhaft für wirkliche Veränderung.


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