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Stadtleben

»Danger, Danger!« – Part III

kreuzer-Reporter an den »gefährlichen Orten« der Stadt: Grünau Markt

  »Danger, Danger!« – Part III | kreuzer-Reporter an den »gefährlichen Orten« der Stadt: Grünau Markt

Laut aktueller Gesetzeslage darf die sächsische Polizei nach eigenem Ermessen »gefährliche Orte« deklarieren, an denen Personen ohne konkreten Verdacht durchsucht werden dürfen. Aus welchen Gründen wann und wo kontrolliert werden darf, entscheidet die Polizei selbst, Parlamentarier beklagen fehlende Überprüfungsmöglichkeiten. Der kreuzer hat sich an den »gefährlichen Orten« in Leipzig umgesehen.

Links, rechts, vor mir, überall DDR-Plattenbau: Nicht gerade weit oben in der Hierarchie des schönen Wohnens und für viele eine Projektionsfläche für alles, was so schieflaufe in der Republik. Ich stehe auf der dreckigen Brücke, die das Allee Center mit dem Grünauer Wohnkomplex IV verbindet, unter mir rauscht die S-Bahn Richtung Innenstadt. Der Spätsommerwind weht mir die Haare ins Gesicht und ich blicke auf Massen Beton, gegossen in Hochhäuser und lange, sich windende Häuserzüge mit zehn Etagen und unzähligen Balkonen. Rasterwohnen. Hier bin ich in den achtziger Jahren aufgewachsen und Ende der Neunziger schnellstmöglich abgehauen, und hier befindet sich heute mein Ziel: der Marktplatz an der Stuttgarter Allee, er ist einer von vier gefährlichen Orten Leipzigs. Im April 2017 wurde der Platz nach etlichen Beschwerden von Anwohnern und Quartiersmanagement und vielen Polizeieinsätzen als solcher klassifiziert. Anlass waren meist Jugendliche, es ging neben Ruhestörung vor allem um Betäubungsmittelkriminalität, Diebstahl, Raub und Körperverletzungsdelikte.

Ich schlendere zum Marktplatz, schön sieht es hier mittlerweile aus: Bänke und Stühle laden zum Sitzen und Verweilen ein, kleine Springbrunnen plätschern vor sich hin, viele Bäume spenden flirrenden Schatten – eine Piazza mitten in der Platte. Den Platz säumen niedrige Mauern, auf denen man sitzen kann, auch das Denkmal zum 40. Geburtstag der DDR ist noch an seinem alten Ort. Ringsum stehen Punkthochhäuser, aus mehreren geöffneten Fenster schauen Anwohner bedächtig auf die Szenerie. Leute schlendern über den Platz, in einem Biergarten neben einem Asia-Imbiss warten hechelnd kleine Hunde auf ihre Herrchen, die gerade noch eine weitere Runde Bier am Tresen drin besorgt haben. 
Ich spreche eine ältere Dame an. Ein bisschen zerzaust sieht sie aus, das dunkel karierte Rollwägelchen ist voll mit frischen Produkten, der Lippenstift flüchtet in feinen Fältchen von den Lippen. »Nee, gefährlich ist das hier nicht. Wieso? Abends wird es manchmal tüchtig laut. Aber da bin ich zu Hause. Es ist nicht so schlimm hier, wie das manchmal dargestellt wird, das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen!« Neben dem Springbrunnen komme ich mit zwei Frauen ins Gespräch, beide sind sportlich und adrett und drehen gerade eine entspannte Runde mit dem Hund durchs Viertel. »Das war in der Vergangenheit tatsächlich nicht immer schön hier. Ich denke, hier wird mit Drogen gehandelt, auch jetzt noch. Dort im Gebüsch werden immer Beutel versteckt und dann zischen die Jungs sich schnell was zu, reichen sich so wischend die Hände. Hier fährt oft Polizei lang, abends. Das ist gut.« »Ja, Polizei, die fährt oft im Auto, viel Kontrolle. Aber alles gut«, berichtet ein dünner Mann, der etwas zusammengesunken auf einer niedrigen Mauer am Denkmal sitzt und mir ein Sterni Export und Zigaretten anbietet. Er komme aus dem kurdischen Teil Syriens und lebe hier seit zwei Jahren, erzählt er mir. Sein schnieker Kumpel mit der Gürteltasche und der Tätowierung am Hals steht vor uns und scheint nervös zu sein. Immerzu blickt er sich um, ignoriert mich, schaut aufs Handy, starrt zu einer anderen Gruppe Männer links von mir, sieht mir nicht in die Augen, geht zu der Gruppe, kommt wieder, sagt was zu seinem Freund neben mir, das ich nicht verstehe. Er will nicht mit mir reden, guckt mich feindselig an. Ich scheine ihn zunehmend zu nerven und ziehe weiter.

»Na klar ist das gefährlich hier! Warum? Na, wegen den Ausländern! Da, gucken Sie, überall sind die! Das sind viel zu viele!« Ich habe einen älteren Mann angesprochen, der gerade seine Post aus der Briefkastenanlage vor einem Hochhaus holt. Er wirkt ungepflegt und trägt schmutzige Sachen, guckt mich wütend an. »Das gabs in der DDR nicht, so viele Ausländer! Überall sind die hier, das ist gefährlich! Das kippt!« Schimpfend und schwerfällig erklimmt er die Stufen in seinen Hauseingang. Auf einer niedrigen Mauer neben dem Asia-Imbiss sitzen zwei junge Mädchen, 14 Jahre alt vielleicht. Sie erzählen kichernd: Wenn man sich an die Regeln hält als Junge, sei alles okay. Wie meinen sie das? »Na, als Mädchen bist du eh nicht in ner Gang, da sind nur Jungs. Und wenn man von hier ist, weiß man, wie es läuft. Nur mit den Neuen gibt es manchmal Ärger.« Nein, weiter ausführen könne man das jetzt nicht. Ende des Gesprächs, scheinbar bin ich eine Nummer zu alt und zu neugierig für die Girls.

Ich beende meine Runde wieder auf der S-Bahn-Brücke. Hier begegnen mir zwei junge Männer, sehr gepflegt und fröhlich, kritisch beäugt von einer etwas abgerissen aussehenden älteren Frau, die mit einem Plastikbeutel Leergut bewaffnet Richtung Allee Center schlurft und irgendetwas in unsere Richtung zischt, sie ist betrunken und zeigt uns ihren alten Mittelfinger. Sie seien Brüder aus Syrien, sagen sie und betonen, keine Flüchtlinge, sondern mit Visa hier zu sein. Ihnen gefalle Grünau gut, das viele Grün, die breiten Wege, der viele Platz, überhaupt alles, ruhig und schön sei es hier im Viertel. Ich gucke der Frau mit ihrem Mittelfinger hinterher, sie wühlt in einem Mülleimer nach Pfandflaschen. Wir reden noch ein bisschen, unter uns rauscht schon wieder eine S-Bahn Richtung Stadt.


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