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Kultur

Die neue Frau Meier

Das Lichtfest hat eine neue Leitkünstlerin, die an den alten erinnert – ein Kommentar

  Die neue Frau Meier | Das Lichtfest hat eine neue Leitkünstlerin, die an den alten erinnert – ein Kommentar

Dreißig Jahre nach der Friedlichen Revolution sollte beim Lichtfest in diesem Jahr alles anders werden. Doch der neue Gestaltungsvorschlag ist an Flachheit kaum zu überbieten, kommentiert Kunst-Redakteurin Britt Schlehahn in der April-Ausgabe des kreuzer.

Alles sollte ganz anders werden, um im Herbst das Lichtfest ganz groß zu feiern – 30 Jahre nach der Original-Demo. Und es gab die berechtigte Befürchtung, dass gar nichts anders wird. Die hat sich nun bewahrheitet. Für den »emotionalen Abschluss« (Stadtmarketing-Chef Bremer) des städtischen Erinnerungstages 2019 bedurfte es nach der schnellen Trennung vom langjährigen Organisator und Lichtkünstler Jürgen Meier, der immer nur Befehle ausführte, eines neuen künstlerischen Hauptakteurs.

Und so stellte das Stadtmarketing, kurz LTM, dem Kuratorium 89 im März freudig die Wiener Künstlerin Victoria Coeln vor, die als Markenzeichen eine lila Locke auf weißem Haar an der Stirn trägt. Nun wird sie im Aktionsbündnis mit dem Lichtfestorganisator LTM und der Bürgerrechtlerin Gesine Oltmanns den Zauber der Revolution reproduzieren. Frau Coeln projizierte schon öfter Farbtöne auf Fassaden, in einem Youtube-Video lobt sie ihr iPad, mit dem sie einfach alles steuern könne. In Meiers, sorry: Coelns, bisherigen Arbeiten überfrachtete sie Architektur mit projizierten Linien, untermalt von gefühlsduseliger Musik.

Ihre Idee vom Lichtfest im fernen Osten packte sie in tiefsinnige Worte: »Bei all meinen Projekten habe ich eine zentrale Erfahrung gemacht: Licht lässt Menschen leuchten! Ich würde mir wünschen, dass das Licht am 9. Oktober nur Mittel zum Zweck und das Leuchten in den Augen der Teilnehmenden zum eigentlichen Lichtfest wird.« Geworben wird mit einer »anspruchsvollen, vielfältigen Bildsprache«. Es geht um einen »lichtbasierten, partizipativen Ansatz« in »Lichträumen«, am 9. Oktober erstrahlt der Ring als »Lichtring« – gut, dass Leipzig über keinen Dom verfügt, könnten Zeitgenossen witzeln.

Dazu gibt es noch weitere Neuheiten. Auf dem Augustusplatz wird am Abend des 9. Oktobers nicht nur die »89« per Kerzenlicht geformt, sondern auch der Schriftzug »Leipzig«. Möglicherweise rührt dieser Kunsttrick aus den Lehren des vergangenen Jahres, bei dem die Menschenmasse auf dem Platz überschaubar war. Der neue Schriftzug verringert die freie Fläche und die TV-Drohne kann wunderschöne ortsspezifische Aufnahmen produzieren, richtig gutes Branding wird das.

Frau Coeln ist augenscheinlich eine sehr pragmatische Lösung, schließlich muss schon in einem halben Jahr die große Feierlichkeit irgendwie über den Ring zu bekommen sein. Und irgendwie macht es ja auch Angst, Neues zu wagen. Zu groß sind die selbst geschürten Erwartungen, zu kurz die Zeit, um einmal in Ruhe über zeitgenössische Erinnerungskultur nachzudenken.

Der ganze Aufruhr der letzten Monate um das Lichtfest hatte im Kern den Sinn, mit der Duseligkeit des Stadtmarketings um den Oktober 89 Schluss zu machen. Nun sieht man, wie das LTM dem aufwendig installierten neuen Kuratorium einen Gestaltungsvorschlag macht, der an Flachheit kaum zu überbieten ist – und der vom Kuratorium »intensiv diskutiert und im Anschluss mit großer Mehrheit befürwortet« wurde, wie es in einer Pressemitteilung heißt. Da hätte Herr Meier das auch weitermachen können.

Dieser Text erschien zuerst in der kreuzer Ausgabe 04/19. 


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