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»Propaganda wurde demokratisiert«

Interview mit Faktencheckerin Karolin Schwarz über »Gefahren« im Netz

  »Propaganda wurde demokratisiert« | Interview mit Faktencheckerin Karolin Schwarz über »Gefahren« im Netz

Noch bevor der Faktencheck Mode wurde, hat Karolin Schwarz Falschmeldungen über Geflüchtete auf der Website www.hoaxmap.org zusammengetragen. 2016 war das einzigartig – und zu Recht war das Projekt für einige Preise nominiert. Die ehemalige Leipzigerin ist mittlerweile nach Berlin weitergezogen, Lügen und Fakes in Wort und Bild jagt sie immer noch. Fake-News, Propaganda und hetzerische Werbung im Netz haben in Wahlkampfzeiten Hochsaison und weil die Leipzigerinnen und Leipziger in diesem Jahr dreimal wählen dürfen, haben wir Karolin Schwarz gefragt, ob wir auf der Hut sein müssen.

kreuzer: Wahlen werden immer öfter zum Ziel digitaler Angriffe, heißt es. Wie muss man sich das vorstellen?

KAROLIN SCHWARZ: Das betrifft nicht nur Wahlen. Digitale Angriffe beinhalten eine ganze Reihe von Taktiken. Von der Manipulation an Wahlcomputern – die wir in Deutschland nicht nutzen – bis hin zu bestimmten Formen der Wahlwerbung. Das Streuen von Falschmeldungen gehört auch dazu, der Einsatz von Social-Bots, Programmen also, die in sozialen Netzwerken menschliche Verhaltensmuster simulieren und Postings abgeben oder Stimmung machen, einen bestimmten Diskurs befeuern oder potenziell Wählende davon abhalten, zur Wahl zu gehen.

kreuzer: Aber es liegt doch in der Natur des Wahlkampfs, zu werben und zu beeinflussen.

SCHWARZ: Ja, und Lügen und Propaganda können demokratiegefährdend sein. Neu ist, dass Propaganda demokratisiert worden ist. Jede und jeder kann Falschmeldungen auf Whatsapp, Youtube, Facebook veröffentlichen, die im Zweifel zehntausendfach verbreitet werden. Es ist aber ein Problem, wenn potenzielle Wählerinnen mit dem gefüttert werden, was sie hören wollen, oder mit möglichst extremen Botschaften. Das funktioniert sehr gut über soziale Medien. Hier spielen nicht nur Parteien eine Rolle, sondern auch Einzelpersonen, Gruppen und ausländische Akteure, die nicht immer offen auftreten. Wobei man dazu sagen muss, dass der Großteil der Falschinformationen hierzulande auch in Deutschland ihren Ursprung haben. Vor der Brexit-Abstimmung und der Wahl Donald Trumps kursierten Falschmeldungen im Netz, die zum Teil ein Millionenpublikum erreichten. Die Urheber waren dabei vor allem rechtspopulistische und rechtsextreme Personen und Akteure, die untereinander kooperierten oder einfach nur voneinander abschrieben. Zum Teil haben sich da auch Akteure aus anderen Ländern eingemischt, um einen Nutzen aus diesen Manipulationsversuchen zu ziehen.

kreuzer: Gab es so was in Deutschland?

SCHWARZ: Es gab Einmischungsversuche, ja. Vor den Bundestagswahlen haben sich mehrere Gruppen auf einer Chatplattform organisiert, um gezielt Personen und Parteien anzugreifen und Propaganda und Falschmeldungen zu verbreiten. In einer dieser Gruppen waren bis zu 5.000 Menschen aktiv. Am Wahltag selbst behaupteten zahlreiche Twitter-Nutzer, es habe Wahlmanipulationen gegeben. Es gab zum Beispiel die Behauptung, Linksextremisten hätten sich als Wahlhelfer eingeschlichen, um Stimmen für die AfD zu vernichten. Oder die Behauptung, in Wahlkabinen würden nur Bleistifte ausliegen, so dass die Zählenden AfD-Stimmen ausradieren können.

kreuzer: Das sind klassische Falschmeldungen, mit denen das Vertrauen in die Wahlen geschwächt werden soll. Warum funktioniert das so gut?

SCHWARZ: Über confirmation bias beispielsweise. Das heißt, da sind Meldungen unterwegs, die passen in das Weltbild und zu den politischen Ansichten bestimmter Menschen oder sind auf Empörung ausgelegt. Positive Falschmeldungen gibt es tatsächlich selten. Das ist im Asyldiskurs oft zu beobachten. Die Akteure sind sehr unterschiedlich, in Sachsen hat Pegida da auch eine große Rolle gespielt.

kreuzer: Im Mai sind Kommunal- und Europawahlen, dann kommen die Landtagswahlen – lässt sich sagen, die einen Wahlen sind anfälliger für Angriffe als die anderen?

SCHWARZ: In stark polarisierten Gesellschaften fallen solche Angriffe eher auf fruchtbaren Boden. Und letztlich werden viele Falschnachrichten gestreut, die das Narrativ vermitteln, Deutschland wäre unsicher und stünde quasi gerade vor einem Bürgerkrieg. Diese Erzählungen werden aber auch langfristig verbreitet.

kreuzer: Früher verband sich mit dem Internet die Hoffnung auf Demokratisierung, heute kommt aus dem Netz die Gefahr, Gefahr für Wahlen, ein ziemlich alarmistischer Diskurs.

SCHWARZ: Ja, man muss aufpassen, dass das nicht zu voreiligen Regulierungsversuchen führt. Einschränkungen der Meinungsfreiheit oder Identifikationspflichten gefährden auch eine ganze Menge Menschen, die nichts Böses im Sinn haben. Man muss über Manipulationsversuche und möglicheGefahren diskutieren. Aber anders als bisher: unaufgeregt und auf nachhaltige Weise. Wir sollten eher über Medienkompetenz und Sensibilisierung in Behörden sprechen als über eine Kennzeichnungspflicht für Social-Bots zum Beispiel. Und es ist auch eine Aufgabe für die Zivilgesellschaft: Wenn man sich nicht die Mühe macht, den Quatsch von der Tante oder dem alten Kumpel auf Facebook zu widerlegen oder zumindest zu widersprechen, dann müssen wir uns auch nicht wundern, dass so was so gut funktioniert.

kreuzer: Werbung für Zivilcourage im Netz?

SCHWARZ: Absolut.

kreuzer: Wieso gelten Fake-News als Gift?

SCHWARZ: Sie sind Symptom einer nach rechts rückenden und sich polarisierenden Gesellschaft. Zum Problem für Demokratien werden sie auch, wenn sie den Diskurs lenken oder sogar bestimmen; wenn andere Themen weniger oder keinen Platz mehr haben. Was Falschmeldungen betrifft, war Chemnitz eine Zäsur, allein was die schiere Masse und die Hartnäckigkeit angeht, mit der sich Gerüchte verbreitet haben und halten konnten. Eine regionale und überregionale Mobilisierung hat gezeigt, dass rechte und extreme rechte Kreise sehr gut vernetzt sind. Das ist Folge der jahrzehntelangen Verharmlosung dieser Strukturen. Hier existiert seit Jahren ein parallel geführter Diskurs, angetrieben durch Falschmeldungen, was auch dazu beiträgt, dass Diskussionen und Debatten hochgradig emotionalisiert geführt werden.

kreuzer: Was heißt das denn möglicherweise für anstehende Wahlkämpfe, vor allem für die Landtagswahl?

SCHWARZ: Einige sehen sich da sicher unter Anpassungsdruck. Zu erwarten ist auch, dass Gruppen hier versuchen werden, Einfluss zu nehmen, die nicht zwingend in Parteistrukturen organisiert sind. Die könnten versuchen, die Legitimität der Wahlen in Zweifel zu ziehen. Außerdem sind Angriffe auf einzelne Kandidaten demokratischer Parteien zu verzeichnen, wie beispielsweise in Bautzen.

kreuzer: Die Stiftung Neue Verantwortung hat das Phänomen Fake-News im Bundestagswahlkampf 2017 untersucht. In der Studie heißt es, sieben der zehn untersuchten Fälle seien von AfD-Accounts verbreitet worden. Ist die AfD Sachsen auch im Geschäft?

SCHWARZ: Bundesweit versucht die Partei, über eigene Kanäle ihre Öffentlichkeitsarbeit und ihre Wahrnehmung zu steuern. Die AfD Sachsen bewirbt eine ganze Menge Pressemitteilungen jeweils auf Facebook. Das ist ein Novum, würde ich sagen. Anhand der Studie sieht man sehr schön, dass es insbesondere Themen mit einem Rechtsdreh sind, also die Themen, mit denen sich auch, aber nicht nur die AfD profiliert – dass es hier offenbar Falschmeldungen braucht, um die Sache anzuheizen. Was mir bei dieser Studie fehlt, ist die Untersuchung von Posts, Bildern und Videos auf Twitter oder Facebook oder in Whatsapp-Gruppen, die in Deutschland eine sehr große Rolle spielen.

kreuzer: Wie können sich Bürgerinnen und Bürger vor Desinformationskampagnen schützen?

SCHWARZ: Da würde ich auf den AfD-Check Sachsen verweisen, der seit einer Weile Pressemitteilungen der AfD auseinandernimmt, die teilweise große Reichweite haben. Außerdem gibt es eine Reihe von Fact-Checking-Initiativen in Deutschland, wie Correctiv und den Faktenfinder. Auch die dpa hat kürzlich angefangen, in Kooperation mit Facebook Faktenchecks zu veröffentlichen.


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