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Film

»Ein Schlachtfeld«


Mit ihrem Film »Das melancholische Mädchen« identifiziert die Leipzigerin Susanne Heinrich neoliberales Unbehagen und trifft damit den Nerv der Zeit

  »Ein Schlachtfeld« | 
Mit ihrem Film »Das melancholische Mädchen« identifiziert die Leipzigerin Susanne Heinrich neoliberales Unbehagen und trifft damit den Nerv der Zeit

Susanne Heinrich ist Leipzigerin und weit rumgekommen – sowohl räumlich als auch in der Kunst. Sie singt, sie schreibt, sie filmt. Ihre Romane und Erzählungen erlangten deutschlandweit Bekanntheit, ihr erster Film auch. »Das melancholische Mädchen« gewann in diesem Jahr auf Anhieb den Max Ophüls Preis als bester Spielfilm und ganz frisch im Mai den Hauptpreis beim Neiße Filmfestival.

Die titelgebende Hauptfigur, gespielt von Marie Rathscheck, streift durch den Tag und eine pastellfarbene Welt, auf der Suche nach einem Schlafplatz und dem Ursprung ihrer Traurigkeit. Dabei findet sie jede Menge über die Gesellschaft heraus und kehrt ihre Melancholie einfach um. Mal witzig, mal nachdenklich – ein Debüt, das spielerisch Konventionen überwindet.

kreuzer: Wer ist »Das melancholische Mädchen«?Susanne Heinrich: Eine Gattung, die der Neoliberalismus hervorgebracht hat. Ein (Schlacht-)Feld, auf dem gesellschaftliche Diskurse sich schneiden. Und die Traurigkeit des Spätkapitalismus über sich selbst.

kreuzer: Neoliberalismus, Weiblichkeitsbilder, Selbstoptimierung, Kapitalismus – was beschäftigt Sie?Heinrich: Der Ausgangspunkt für den Film war ein diffuses Unbehagen in der Gesellschaft. Dem bin ich damit auf die Schliche gekommen, dass ich angefangen 
habe, Theorie zu lesen. Das hat mir geholfen, Strukturen zu erkennen, wo ich mich vorher mit meinen Erfahrungen allein gefühlt habe. Der Neoliberalismus schiebt gesellschaftliche Verantwortung auf das Individuum. Die daraus resultierenden negativen Gefühle zu politisieren, ist der Anfang dafür, diese Verantwortung zurückzugeben und pathologische Strukturen adressierbar zu machen. Ich hoffe, der Film stellt dafür ein Vokabular zur Verfügung.

kreuzer: Der Film ist in 14 Kapitel unterteilt, das Setting klar als Kulisse erkennbar, die Tonalität changiert zwischen theatral und literarisch. Was führte zu dieser Herangehensweise?Heinrich: Psychologisierung und Identifikation drängen Zuschauer in eine passive Rolle, in der sie keine Gefahr laufen, sich zu dem Gezeigten ins Verhältnis setzen zu müssen. Um einen Film über Strukturen zu machen, statt ein Einzelschicksal zu erzählen, musste ich mich also erst mal vom herrschenden Naturalismus-Paradigma und vom Story-Imperativ verabschieden. Die Ästhetik betont den Modell-Charakter der Szenen, arbeitet das Typische daran heraus und macht es in der Überzeichnung komisch, absurd. Durch die Denaturalisierung der erzählten Verhältnisse verlieren sie das Zwingende: Andere Verhältnisse werden vorstellbar.

kreuzer: Wie fühlt sich die Erfahrung mit dem Film an und unterscheidet sich das Filmemachen vom Schreiben?Heinrich: Während des Drehs habe ich es genossen, dass die gemeinsame Arbeit am Film einen Raum eröffnet hat, in dem ganz viel möglich wurde. Die Einsamkeit der Regisseurin ist trotzdem eine ähnliche wie die Einsamkeit der Autorin – das hat mit der Verantwortung zu tun, die man am Ende doch sehr allein trägt. Die Kulturbetriebe sind auch ziemlich vergleichbar. 99 Prozent der Zeit dreht oder schreibt man nicht, sondern schreibt Anträge, bewirbt sich um Stipendien oder Förderungen, streitet sich um Cover oder Poster, macht Lese- oder Festivalreisen und gibt Interviews – Bürokratie und Marketing also.

kreuzer: Was würden Sie sich für den Film wünschen?Heinrich: Manchmal kommt nach einem Festivalscreening jemand zu mir und sagt, dass der Film ihn oder sie »getroffen«, etwas mit ihnen gemacht hat. In solchen Momenten weiß ich, wofür ich das alles mache. Leider werden solche Offenbarungsmomente von den Auswertungsstrukturen regelrecht verhindert. Weil ich eine »ziemlich namenlose Frau« bin, läuft mein Film nur auf bestimmten Festivals. Weil er keine klassische Story-Struktur hat und für eine Komödie zu eigenwillig ist, kaufen ihn nur bestimmte Programmkinos, und weil er dort maximal 10.000 Leute erreichen wird, gibt man von vornherein weniger Geld für Marketing aus – und so weiter. Er wird gedeckelt, sein Potenzial künstlich verkleinert. Dass er die Bubble aus Arthaus-Kinobesuchern platzen lassen und sich durch alle möglichen Allianzen wild ausbreiten könnte, das würde ich mir wünschen.

 


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