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Stadtleben

»In einer Wolke Glühwürmchen«

Natur-Nerdin: Birte Sedat über Miniabenteuer gleich vor der Haustür

  »In einer Wolke Glühwürmchen« | Natur-Nerdin: Birte Sedat über Miniabenteuer gleich vor der Haustür

Birte Sedat betreibt mit Torsten Schneyer den Blog »Nerds in der Wildnis«. Sie hat den kreuzer zu sich nach Hause eingeladen, wo sie mit Schneyer und den Rostkappenpapageien Puck und Pixie lebt. Auf dem Wohnzimmer zeigt ein präparierter Piranha seine Zähne.

kreuzer: Wie kamen Sie auf die Idee, einen Blog zu betreiben?

BIRTE SEDAT: Für Spazierengehen, Naturbeobachtungen und naturwissenschaftliche Themen haben wir uns schon immer interessiert. Wir machen mit unseren Freunden Naturspaziergänge und teilen unser Wissen da auch mit. Aber das mal schriftlich festhalten und einen Blog daraus entwickeln kam mit der Reise nach Costa Rica auf. Da waren wir im Februar. Ein halbes Jahr davor haben wir uns drangesetzt, eine Website entwickelt und angefangen zu schreiben.

kreuzer: Wie häufig sind Sie unterwegs?

SEDAT: Alle zwei oder drei Wochenende oder auch mal unter der Woche. Das ergibt sich von selbst. Wenn wir das ein bisschen planen, wie bei dem Ausflug in die Dübener Heide, über den wir auch geschrieben haben, dann recherchieren wir im Vorfeld: Was ist das für eine Gegend, was gibt es dort, was zeichnet diese Gegend aus? Mit Vorbereitung sieht man deutlich mehr.

kreuzer: Was nehmen Sie mit?

SEDAT: Kommt darauf an, ob wir tags oder nachts unterwegs sind. Nachts ist natürlich eine Stirnlampe wichtig, sonst tappt man im Dunkeln. Wobei wir auch versuchen, ohne Licht zu gehen. Sobald man die Stirnlampe anschaltet, ist man auffällig und alle Tiere rennen weg. Ansonsten festes Schuhwerk und Insektenschutz – gerade in Feuchtgebieten wichtig, wegen Zecken und Mücken. Tagsüber ist ein Fernglas wichtig, wenn man Vögel oder Wild von Weitem sehen möchte. Und natürlich Fotoapparat und Kamera. Ansonsten sind wir relativ rustikal mit unserer Ausrüstung. So viel braucht man gar nicht, um Interessantes in der Wildnis zu beobachten.

kreuzer: Übernachten Sie auch im Freien?

SEDAT: Bislang haben wir das einmal ausprobiert, das war sehr spannend. In erster Linie wollten wir die Perseiden beobachten. Dieser Sternschnuppenregen, der im August ein paar Tage sehr intensiv zu sehen ist. Es war unter freiem Himmel und sehr schön – bis die Wildschweine kamen. Wir waren auf einer großen Wiese und im Wald war eine sehr große Wildschweinrotte unterwegs.

kreuzer: Welche Wildnis gibt es rund um Leipzig zusehen?

SEDAT: Auf jeden Fall ist eine Wanderung durch die Toten Täler (s. kreuzer 06/19) sehr spannend, vor allem für Orchideen-Freunde. Das ist eine sehr eigene Landschaft, weil die Wiese so trocken und karg ist. Das führt zu einer völlig anderen Pflanzenwelt und Insekten, die eher auf steinigem Boden leben. Ein Highlight ist die Wildpferd-Herde, die dort lebt dafür sorgt, dass der Wuchs niedrig bleibt.

kreuzer: Wie sieht es im Stadtgebiet aus?

SEDAT: Der nördliche Auwald ist sehr interessant. Wir sind gerne in der Umgebung der Nahle und des Nahlebergs. Wir haben da sogar schon Wildschweine beobachten können, wie sie morgens durch die Nahle gehopst sind. Torsten stand, auch in derselben Gegend, vor ein paar Jahren in einer Wolke von Glühwürmchen. Aber ich muss sagen, durch die anhaltende Trockenheit beobachten wir hier starken Insektenschwund. Man sieht kaum mehr Glühwürmchen. Auch nicht an der Stelle, an der Torsten vor ein paar Jahren in der Glühwürmchen-Wolke stand.

kreuzer: Was kann man dagegen machen?

SEDAT: Viel können wir als Einzelpersonen nicht tun, außer unser Konsumverhalten kritisch zu hinterfragen und dies zukünftig weniger schädlich zu gestalten. Und wir müssen umweltpolitisch orientiert wählen gehen. Der Klimawandel ist ein Problem, das auch, und zum großen Teil, von oben angegangen werden muss – bundes-, europa-, weltweit. Deswegen sind die »Fridays for Future«-Demos so wichtig.

kreuzer: Lassen sich in Leipziger Umgebung andere Schäden in der Natur entdecken?

SEDAT: Der Braunkohletagebau hat hier natürlich seine Spuren hinterlassen. Es ist alles noch sehr durchgewühlt und frisch. Wir tauchen auch und in den Seen kann man sehr gut sehen, dass zwar ein paar ausgesetzte Fischarten zu finden sind, so richtig viel ist aber noch nicht los unter Wasser. Das Leipziger Umland ist platt und kaputtgewirtschaftet. Es ist schön, dass es die vielen Gewässer gibt und den Grüngürtel. Man merkt aber auch die Interessenkonflikte: Die Brachen, die im Stadtgebiet Tier und Pflanzen eine Heimat bieten, werden jetzt immobilienmäßig klargemacht. Ein anderes Problem sind die Paddler auf der weißen Elster zu der Brutzeit von Eisvögeln.

kreuzer: Bräuchte es mehr Demut vor der Natur?

SEDAT: Die Frage finde ich ein bisschen schwierig, weil ich zwischen mir und der Natur keinen Unterschied sehe. Wir sind Natur, wir sind Teil davon und kein rausgelöstes Subjekt. Das, was ich tue, löst in meiner Umgebung etwas aus und kommt als Feedback zurück. Wenn ich mich umweltunfreundlich verhalte, dann schade ich mir selbst damit. Wenn wir klimaunfreundlich leben und konsumieren, sorgen wir dafür, dass wir aussterben und der Planet in absehbarer Zeit nicht mehr funktioniert. Ich sehe da keine Trennung und fühle in dem Sinne keine Demut vor der Natur. Es gibt Momente, die mich emotional beeindrucken, wenn ich in einer besonders schönen Landschaft stehe, dann bin ich emotional berührt.

kreuzer: Was wollen Sie mit Ihrem Blog erreichen?

TORSTEN SCHNEYER: Wir haben einen Bildungsanspruch. Tiere und Natur sind leider oft nur ein Sommerlochthema. Aktuell gibt es zum Beispiel ein Internetphänomen, dass Leute vom angeblich so gefährlichen Ammen Dornfinger gebissen wurden. Das ist Deutschlands einzig medizinisch relevante Giftspinne, neben der Wasserspinne. Mir macht es Spaß, solche Falschmeldungen zu entkräften und darüber etwas zu schreiben. Generell finden wir, dass Menschen sich viel zu wenig auf einer populärwissenschaftlichen Ebene mit der Natur beschäftigen. Entweder sie gehen Campen oder machen Extremsport oder sie lesen halt etwas; aber mit offenen Augen mal draußen zu sein und sich anzugucken und zu lernen, was man da sieht und womit man interagiert, das ist eher so ein Freak-Hobby. Deshalb haben wir uns auch »Nerds in der Wildnis« genannt. Unser Anspruch ist es, Leute dafür zu begeistern, Natur nicht als Konsumgut zu verstehen.

SEDAT: Ich staune auch immer wieder, wie niedrig das Bildungslevel in der Bevölkerung ist. Urban Legends sind sowas von etabliert: Dass Libellen stechen können, dass Hummeln nicht stechen können. Auf Facebook gibt es eine Gruppe, die heißt »Leipziger fragen Leipziger«, und mittlerweile wird häufiger nach Tieren gefragt: »Was ist das für ein Käfer? Was ist das für eine Libelle?«, und vor allem: »Was ist das für eine Spinne und ist sie giftig?«. Diese Frage ist immer sehr lustig, denn alle Spinnen sind giftig, aber nicht alle können schmerzhaft beißen. Wir wollen nicht belehren, das sind Themen, für die wir sowieso brennen und da wollen wir eben erzählen. Ich denke, mit unserem Blog erreichen wir die Menschen auf einer anderen Ebene, weil wir humorvolle Geschichten schreiben.

kreuzer: Woher nehmen Sie Ihr Wissen und die Informationen?

SEDAT: Wenn wir einen Artikel verfassen, müssen wir zunächst recherchieren. Das ist natürlich auch ein Motiv zu schreiben, weil die Recherche an sich Spaß macht. Wenn man sich ein Thema zum Ziel setzt und so richtig in die Tiefe eintaucht, um dann die Essenz wieder raus zu lösen und darüber zu schreiben.

SCHNEYER: Mein Plan ist, dass wir im Winter vermehrt Museen besuchen und rezensieren. Dass die Nerds nicht in die Wildnis gehen, sondern in die Ausstellungswildnis. Auch zu schauen, wie Museen und Bildungseinrichtungen kaputtgespart werden. Wie der akademische Mittelbau zerstört und die grassierende Bildungsfeindlichkeit durch den Rechtsruck in die Gesellschaft getragen wird. Ich denke nicht, dass wir uns da auf Dauer raushalten können.

Eine kürzere Version dieses Interviews erschien in der kreuzer-Ausgabe 08/19. 


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