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Film

Unangepasst

  Unangepasst |

Norah Fingscheidt erzählt in »Systemsprenger« die Geschichte der neunjährigen Benni und ihrem Weg durch die Institutionen – Pflegefamilien, Wohngruppen, Sonderschulen. Mittlerweile wird sie nur noch weitergereicht. Produziert wurde der Film von der Leipzigerin Frauke Kolbmüller. Ab dem 19. September ist der Film in den Passage Kinos zu sehen.

Benni ist von einer brutalen Direktheit. Die Neunjährige lässt sich nichts sagen und wenn eine der Mitschülerinnen sich im Unterricht über sie lustig macht, fängt sie sich eine blutige Nase. Mit ihren neun Jahren hat Benni schon viele Stationen hinter sich: Pflegefamilien, Wohngruppen, Sonderschulen – mittlerweile wird sie nur noch weitergereicht. Denn Benni gilt als besonders schwerer Fall. Immer wieder eckt sie an, gilt als »schwer vermittelbar«. Dabei sehnt sie sich doch eigentlich nur nach der Fürsorge ihrer Mutter. Doch die ist überfordert und hat Benni zurückgelassen. Für das Mädchen beginnt ein schmerzhafter Abnabelungsprozess.

Die Gesellschaft erwartet von uns, dass wir uns anpassen. Das wird Kindern bereits früh vermittelt. Doch was ist, wenn eine aus der Reihe tanzt und sich partout nicht in dieses System fügen will, sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, kratzt, beißt und schreit? Mit »Systemsprenger« gelang Nora Fingscheidt ein bemerkenswertes Kinodebüt mit einer überragenden jungen Hauptdarstellerin. Die neunjährige Helena Zengel (»Die Tochter«) meistert die schwierige Rolle mit Bravour. Es ist das Ergebnis von einem halben Jahr intensiver Vorbereitungszeit mit der jungen Hauptdarstellerin.

Das sind die Systemsprenger

Auf die Geschichte aufmerksam wurde Nora Fingscheidt während der Dreharbeiten zu einem anderen Projekt. »Ich habe in Stuttgart einen Dokumentarfilm über ein Heim für wohnungslose Frauen gedreht und eines Tages kam dort eine 14-Jährige an. Ich habe mich gefragt, was sie hier macht, da das Heim doch eine Station ist, wo die meisten Menschen hinkommen, wenn viele andere Wege bereits geschlossen sind. Die Sozialarbeiterin meinte auf meine Frage: ›Ach, das sind die Systemsprenger. Die dürfen ab dem 14. Geburtstag hier bei uns einziehen.‹ Als ich dieses kraftvolle Wort zum ersten Mal hörte, war meine Neugier geweckt.«

Im Februar feierte »Systemsprenger« seine Weltpremiere im Wettbewerb der Berlinale. Bis dahin war es ein langer Weg, erzählt Fingscheidt. »Das Drehbuch entstand noch während meines Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg und der Film sollte eigentlich mein Abschlussfilm sein. Daraus wurde dann ein Drehbuch, das mich viele Jahre lang begleitet hat. Ich machte viele Intensivrecherchen in Wohngruppen und Heimen und hatte eine tolle Begleitung von Fachleuten. Daneben habe ich über sechzig oder achtzig Einzelgespräche geführt. Jeder Charakter ist inspiriert von Menschen, die ich getroffen habe.«

Verständnis für die Situation dieser Kinder

Es ging ihr darum, Verständnis zu schaffen für die Situation dieser Kinder, die von der Gesellschaft oft als hoffnungslose Fälle abgestempelt werden. »Gewalt von Kindern ist ein Hilfeschrei. Immer. Wenn kleine Kinder sehr gewalttätig sind, ist das ein Zeichen dafür, dass in ihrem Leben etwas nicht in Ordnung ist. Diese Kinder werden dann oft diskriminiert, weil alle anderen Eltern ihre Kinder schützen wollen. Niemand will ja, dass sein Kind in der Schule verprügelt wird. Also muss das gewalttätige Kind sehr oft gehen. Das fängt schon im Kindergarten an. Dann kommt es in die Grundschule und hat schon eine Akte und war bei zwei Psychologen. Dadurch entsteht ein Strudel. Wenn die Kinder dann irgendwann 16, 18 sind und wirklich gefährlich werden, dann sagen alle: Oh Gott, was für ein Monster. Aber dahinter steht eine Geschichte, und um die geht es hier.«

Produziert wurde »Systemsprenger« unter anderem von der Leipzigerin Frauke Kolbmüller und ihrer »Oma Inge Film«. Nach »Maybe Baby« ist er bereits ihr zweiter Kinospielfilm. »Es geht mir darum, Geschichten zu erzählen, die von Herzen kommen. Wenn der Filmemacher selbst etwas damit anfangen kann, kann es auch der Zuschauer.« Gemeinsam mit Jakob und Jonas Weydemann sowie Peter Hartwig (»Gundermann«) produzierte sie Nora Fingscheidts Debüt, dem man die Leidenschaft fürs Thema ansieht.

Mit Yunus Roy Imer arbeitete man an der audiovisuellen Umsetzung von Bennis Welt, die von schreienden Farben und schrillen Tönen beherrscht ist. »Systemsprenger« ist ein lautstarker Angriff auf die Sinne, der mitten ins Herz trifft. Dafür gab es bereits zahlreiche Preise auf vielen Festivals und bei der Premiere auf der Berlinale in diesem Jahr den Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung.


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