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Politik

Augen auf im Straßenverkehr

Die veränderte Verkehrssituation vorm Hauptbahnhof erregt die Gemüter

  Augen auf im Straßenverkehr | Die veränderte Verkehrssituation vorm Hauptbahnhof erregt die Gemüter

Am Mittwoch soll der Stadtrat über den überarbeiteten Nahverkehrsplan votieren. Jüngst sorgte die Radverkehrsführung vor dem Hauptbahnhof für Aufregung. Dort soll es eine dritte Ampel über die Ringfahrbahn geben und Radfahrer dürfen ab sofort den ganzen Gehweg benutzen. Leipzigerinnen und Leipziger regen sich auf – zu Unrecht, kommentiert Tobias Prüwer.

»Die Verwaltung spinnt!«, »Da hat mal wieder keiner mitgedacht!«, »An den Bedürfnissen der Bürger vorbeigeplant.« In Sekundeneile sind Vorwürfe an verschiedene Stellen formuliert, weil wieder irgendetwas nicht funktioniert oder man eine Idee nicht einleuchtend findet. Im Straßenverkehr ist das Phänomen besonders häufig anzutreffen – ist das Konfliktpotenzial hier doch hoch und glaubt jeder Verkehrsteilnehmer im exklusiven Besitz des gesunden Menschenverstands zu sein. Jüngstes Beispiel ist die Radverkehrsführung vor dem Hauptbahnhof. Dort soll es eine dritte Ampel über die Ringfahrbahn geben und Radfahrer dürfen ab sofort den ganzen Gehweg benutzen.

Da wurden auch von allen Seiten sofort klare Positionen bezogen. Fußgänger regen sich auf, zum Freiwild erklärt worden zu sein und von Rüpelradlern ins Visier genommen zu werden. Radler fühlen sich ausgebremst, weil sie nun langsam fahren sollen und ihnen Fußgänger vors Rad rennen könnten. Autofahrer erkennen in der Ampel ein neuerliches Hindernis, das die Staugefahr erhöht.

An allen Positionen ist ziemlich viel falsch

Erstens: Die dritte Ampel ist eine sinnvolle Ergänzung: Der von der Haltestelle bis hin zum Mittelbau des Hauptbahnhofs führende Fußgängerüberweg hilft Passanten nicht nur Zeit zu sparen. Er entlastet auch die anderen beiden Überwege, an und auf denen sich die Menschen drängen. Sie verlangsamt auch nicht den Verkehrsfluss, denn wenn sie auf Rot steht, zeigen die anderen zwei Ampeln auch Stopp an.

[caption id="attachment_81767" align="alignright" width="116"] Tobias Prüwer ist Theaterredakteur beim kreuzer.[/caption]

Zweitens: Die Radler irren, wenn sie auf ihrem Recht an dem alten Radweg pochen. Dieser existierte nämlich gar nicht durchgehend. Im Bereich der Übergänge, also vor den Ein- und Ausgängen wurde der Rad- zum Gehweg, auf dem die Regel galt: »Gehweg/Radfahrer frei«. Das war schon immer nötig, weil aus dem Bahnhof stürmende Fußgänger unvermittelt auf dem Radweg landen würden. Nun dürfen Radfahrer immerhin den ganzen Gehweg nutzen – bei angepasster Geschwindigkeit. Die Beschilderung ist damit eindeutig, statt wie zuvor verwirrend. Und der so entstandene gemeinsam genutzte Raum, ein Shared Space gewissermaßen, kann auch das Verständnis für einander fördern. (Und vielleicht für die Planer.)

Mal Danke sagen

Denn, drittens, muss für jede Mobilitätsform ausreichend Platz vorhanden sein. Die einfache Auslagerung des Radverkehrs auf den Ring hält die Polizei für viel zu unsicher. Das leuchtet ein, man möchte keinen Radfahrer freiwillig auf diese hochfrequentierte Fahrbahn schicken. Das müssten die Fußgänger einsehen.Die beste Lösung wäre natürlich die Umnutzung einer Autospur als Radweg, natürlich abgetrennt, wie es etwa der Ökolöwe fordert. Ob die Autofahrer das einsehen würden? Vielleicht, wenn ihnen Mobilitätskonzepte geboten werden, die ihnen den Stress nehmen, den Stadtraum im Auto durchqueren zu müssen? Wie viel Prozent würden das wirklich freiwillig machen, wenn etwa der ÖPNV bequemer wäre oder das Radfahren sicherer – oder andere Vehikel wie überdachte Räder zur Verfügung stünden?

Dazu müssen sich aber alle einsichtig zeigen, am besten parteipolitisch und real auf der Straße. Also Augen auf im Straßenverkehr und bei der Diskussion darüber. Immerhin sollen ab 2020 Teile des Promenadenrings auf Radwegen befahrbar sein – für diesen Schritt in die richtige Richtung kann man den Planern auch mal Danke sagen.

Dieser Text erschien zuerst im kreuzer 11/19.


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