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Kultur

Fremdes schauen

Das Völkerkundemuseum erinnert an seine 150-jährige Geschichte und blickt in die eigene Zukunft

  Fremdes schauen | Das Völkerkundemuseum erinnert an seine 150-jährige Geschichte und blickt in die eigene Zukunft

2023 sollen die neuen Dauerausstellungen im Grassi-Museum für Völkerkunde zu besichtigen sein. Anlässlich der Neubestückung fand vergangenes Wochenende eine Matinee statt, bei die Direktorin des Grassi-Museums, Léontine Meijer-van Mensch, Einblicke in das neue Konzept gab.

2023 – so die Direktorin des Grassi-Museums für Völkerkunde, Léontine Meijer-van Mensch, bei der Matinee zum 150. Geburtstag – werden die neuen Dauerausstellungen zu besichtigen sein. Dann tritt das Museum als ein »Netzwerk-Museum« auf und spezielle Räume sollen den Herkunftsgemeinschaften zur Rückgewinnung der im Museumsbesitz befindlichen Objekte dienen. Sie entscheiden darüber, ob und wie die Exponate gezeigt werden. Die Matinee am vergangenen Sonntag zeigte sehr schön, dass ethnologische Museen um ihre Arbeitsweisen ringen. Während die Museumsdirektorin Meijer-van Mensch und die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, – zu denen das Völkerkundemuseum gehört – Marion Ackermann, vor allem die engen Verknüpfungen mit Kunst und bürgerlichen Sammlern betonten, so forderte Maria Schädelich aus dem Freundeskreis des Museums freien Eintritt, unterstrich die Verbindung von Museum und Arbeiterschaft im frühen 20. Jahrhundert und den Wert der Wissenschaft, der bei aller Euphorie über zeitgenössische Kunst nicht zu vergessen sei.

Einblicke und Verdrängungen

Eigens zum Jubiläum lädt bis Mitte März die Kabinettsausstellung »Die Weltensammler – 150 Jahre Leipziger Völkerkundemuseum« ein. Auf dem Weg dahin fällt der Sockel im Treppenhaus auf. Dort stand bis September die Büste von Karl Weule, der von 1907 bis 1926 als Direktor tätig war. In der Zeit wuchs die Sammlung rasant.

Dazu kam etwa die Sammlung von Makonde-Gesichtsmasken, die Weule nur – wie er es selbst schrieb – mit »List, entschiedenem Auftreten und Ausdauer« in den Leipziger Besitz bringen konnte. Dafür ging er 1906/07 auf »Sammelreise« durch damalige deutsche Schutzgebiete, finanziert vom Deutschen Reich.Anstelle seines Porträts ist jetzt mit der Überschrift »150 Jahre Geschichte(n)« bis zur Decke ein Bücherturm auf dem Sockel gestapelt. Angefangen von Jahrbüchern des Museums soll er die Biografien der Mitarbeiter verdeutlichen und damit die vielen Geschichten hinter den Museumsobjekten und deren Interpretationen. Das ist ein einfacher Ansatz. Zu beachten wären auch die jeweiligen gesellschaftspolitischen Eckpunkte, die Leben und Arbeit der Museumsbediensteten bestimm(t)en. Derlei sind dem Turm aber nicht beigefügt. Zudem entzieht er sich dem direkten Zugriff. Somit ist der Inhalt der Bücher nicht einsehbar. Das Publikum muss der Texttafel und dem darauf postulierten »vielstimmigen Kanon« vertrauen.

Weule musste bereits vor fünf Jahren seinen Platz im Rahmen der Ausstellung »Grassi invites # 1«, die in Kooperation mit der Hochschule für Grafik und Buchkunst entstanden war, räumen. Die damalige Direktorin und heutige Leiterin des Rautenstrauch-Joest-Museums in Köln, Nanette Jacomijn Snoep, begann ihre Amtszeit 2015 mit einem Sturm auf die bisherigen Strukturen des zweitältesten Museums seiner Art in Deutschland. Ihr wie auch Meijer-van Mensch war bzw. ist es wichtig nach den »Präsentationsweisen der ethnologischen Museen und deren Effekte« zu fragen und diese durch zeitgenössische Kunstwerke zu erweitern.

In einer historischen Vitrine liegt in der Ausstellung das Sammlungsverzeichnis vom Kulturhistoriker Gustav Klemm aus. Er schrieb unter anderem »Die Frauen: Culturgeschichtliche Schilderung des Zustandes und Einflusses der Frauen in den verschiedenen Zonen und Zeitaltern« in sechs Bänden. Nach seinem Tod 1867 rief die Leipziger Bürgerschaft zum Ankauf seiner umfangreichen Sammlung auf. Sie bildet den Grundstock des Museums.

Neben Fotografien zur Geschichte der Institution folgen Kisten einer Spedition für Kunsttransporte. Eine der Kisten dient als Projektionsfläche. In dem Film ist die Direktorin mit einer Bierflasche in der Hand im Gespräch mit Mitarbeitern des Hauses zu sehen.

In einzelnen Vitrinen werden »Weltensammler« vorgestellt – hier tauchen neben Weule Carl Hagenbeck, der mit seinen Völkerschauen das Bild des Ethnologischen Museums ebenso prägte wie Objekte in die Museen brachte, Hermann Freiherr Speck von Sternburg oder Clara Hedwig von Eberstein, die den Ankauf der Klemmschen Sammlung großzügig unterstützte, auf. Etwas näher an der Gegenwart liegt die Amtszeit von Lothar Stein, der das Museum von 1980 bis 2001 leitete.

Wie es aussehen könnte, ein ethnologisches Museum mit zeitgenössischer Kunst anzureichern, zeigt der Neuerwerb zum Geburtstag. Die »Nkisi Mouse« des kongolesischen Künstlers Hilary Bak verbindet Minksie-Rituale mit einem Micky Mauskopf.


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