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Kultur

Wenn der Hecht aus den Seiten springt

Keine Fantasy, sondern Kunst bei »Bücher der Zukunft«

  Wenn der Hecht aus den Seiten springt | Keine Fantasy, sondern Kunst bei »Bücher der Zukunft«

Die Studierenden der Buchwissenschaften stellen derzeit in der Leipziger Stadtbibliothek Werke der Reihe »Naturkunden« von Matthes und Seitz aus. Rezensentin Linn Penelope Micklitz hat sich vor allem in den dort gezeigten Eisvogel verguckt.

Einen Eisvogel aus der Nähe zu beobachten, gelingt nur wenigen. Im Leipziger Auwald sind zur Brutzeit sogar Teile der Wasserwege abgesperrt, um die Tiere nicht zu stören. Umso faszinierender ist der Anblick des präparierten Vogels in der Leipziger Stadtbibliothek. Dort steht hinter Glas ein wunderschönes Exemplar des Alcedo atthis – die blau schillernden Flügel angelegt, aber so farbenfroh und unversehrt als würde sich der Vogel jeden Augenblick ins Unterholz davonmachen.

Es ist den Studierenden der Buchwissenschaft zu verdanken, dass sich das scheue Tier hier wiederfindet: Unter dem Titel »Bücher der Zukunft« wurde eine kleine, aber sehenswerte Ausstellung aufgebaut, die, so viel sei vorweggenommen, noch einige tote Tiere mehr zur Schau stellt.

Unterwasserbücher

Weil es sich bei den gezeigten Büchern um Werke der Reihe »Naturkunden« von Matthes und Seitz handelt, sind eine Menge Stücke aus Flora und Fauna der zoologischen Sammlung der Uni Leipzig zur Illustration herangeschafft worden. Die Bücher selbst kommen aus dem Bibliotop, der umfangreichen Sammlung der Leipziger Buchwissenschaft. Ergänzt wird die Ausstellung durch Exponate des Künstlers Martin Schwarz.

So also kommt auch der Eisvogel in die Vitrine »Symbolik der Vögel«, in der die Bücher »Raben« von Cord Riechelmann, »Federn« von Thor Hanson und »Eulen« von Desmond Morris präsentiert werden. Unter dem Stichwort »Abgetaucht« findet sich ein muschelüberwachsenes Buch, präpariert von Schwarz und eines, »Algen« von Miek Zwamborn, das kurzerhand ins Wasser gestellt wurde.

Aufgeschrieben im Wasser

Der Autorin Zwamborn, die auf einer einsamen schottischen Insel lebt und die ihr Buch über die Unterwasserpflanzen teilweise im Wasser selbst, auf Schiefertafeln, geschrieben hat, würde das sicher gefallen: Die Buchdeckel sind aufgeschwemmt, das Blau des Papiers läuft aus und färbt das Wasser und die innenliegenden Seiten. Zwei Vitrinen weiter springt ein Hecht aus einem aufgeklappten Buch, ein anderes ist von Insekten befallen.

Das Buch lebt, die Kunst tut es, und die Tiere auch, obwohl es sich in diesem Fall zur Verdeutlichung um ausgestopfte handelt. Nicht nur der Fokus der Nature-Writing-Bücher von Matthes und Seitz spiegelt sich in dieser Gestaltung, auch der Wert dieses Schreibens wird neu erörtert. Spätestens beim Blick in die Vitrine »Wir sind alle Tiere!« wird auf rührende Weise deutlich, was unter dem Stichwort Speziezismus schon lange in der Tierrechtsphilosophie verhandelt wird: Dass die Unterteilung in Spezies es uns leicht macht, manche Tiere zu essen und andere zu streicheln. Am Ende zeigen die Buchwissenschaftler mit ihrer Ausstellung eben auch, dass vermeintlich eskapistisches Nature Writing genauso viele Landfluchten wie Kulturgeschichten beinhaltet – und damit immer auch politisch ist.


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