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Stadtleben

Knochentrocken

Nach zwei Dürrejahren steht auch 2020 unter keinem guten Omen. Die extreme Trockenheit schädigt schon jetzt die Landwirtschaft, die Grünanlagen und die Wälder

  Knochentrocken | Nach zwei Dürrejahren steht auch 2020 unter keinem guten Omen. Die extreme Trockenheit schädigt schon jetzt die Landwirtschaft, die Grünanlagen und die Wälder

Hitze, Dürre, Borkenkäfer – die seit zwei Jahren anhaltende Trockenheit macht Stadt und Umland ordentlich zu schaffen. Nicht nur Feuer, sondern auch Ernteeinbußen und geschwächte Wälder sind die Folge. Dabei hat der Sommer noch nicht mal begonnen.

Flammenwand im Leipziger Westen. Drei Stunden brannten Schilf, Wald und Wiese im Schönauer Park. Mit einem Dutzend Fahrzeugen gelang es der Feuerwehr schließlich, die 30.000 lodernden Quadratmeter unter Kontrolle zu bringen. Das Inferno in der Nacht des 21. April war weithin zu sehen und wirkte nach Wochen ohne Regen wie ein Fanal. Und die extreme Trockenheit hält weiter an. Befürchtungen, Sachsen stehe das dritte niederschlagsarme Jahr bevor, werden wahrscheinlicher. Allein 2019 brannte es in den Wäldern des Freistaates 153 Mal. Das ist fast doppelt so oft wie im Jahresschnitt der 2010er Jahre. Und doch sind Feuer nur eine, im Vergleich gut in den Griff zu bekommende, Folge der extremen Trockenheit in Leipzig. Die Auswirkungen auf die Landwirtschaft, auf die Parks und den Stadtwald sind gravierend.

Von Dürre spricht man bei länger anhaltendem Niederschlagsmangel sowie bei niedrigen Wasserständen. Natürlich hängt beides zusammen. Um den Zustand des Bodens zu bewerten, vergleicht man den aktuellen Ist-Zustand mit dem seit 1952 aufgezeichneten Jahresverlauf. Erreicht die Bodenfeuchte nur 20 Prozent dieses langjährigen Durchschnittswerts, spricht man von Dürre. Der Boden ist dann trockener als in mindestens 80 Prozent der Vergleichsmonate seit den Fünfzigern. Das Leipziger Umweltforschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft (UFZ) trägt Daten zur Bodenfeuchte im Dürremonitor zusammen. Ins Modell fließen außerdem Daten zum Wetter, zu Bodenart und -tiefe, zur Höhenlage, Landnutzung oder Gewässerart. Daraus ergibt sich der Bodenfeuchteindex.

»Leipzig liegt im mitteldeutschen Trockengebiet«, erklärt Andreas Marx, der als Leiter des Mitteldeutschen Klimabüros zu denen gehört, die für den UFZ-Dürremonitor zuständig sind. Dieses von Magdeburg bis an die Unstrut reichende Gebiet liegt im Regenschatten des Harzes. Deshalb treten Phasen von Trockenheit oder Dürre öfter auf, was an sich unproblematisch ist. Allerdings zeigt der Dürremonitor, dass in der Region seit 2018 anhaltend Dürre herrscht. Sie reicht über zwei Vegetationsperioden und das dritte Jahr in Folge begann sehr trocken. »Da kann man nüchtern sagen: Das ist eine neue Situation«, berichtet Marx.

Auch wenn sie in den Schlagzeilen oft gleichgesetzt werden, sind Hitze und Dürre nicht dasselbe. Allerdings kann Hitze die Dürre verstärken, weil sie exponentiell mehr Wasser verdunsten lässt. Während bei Wintertemperaturen unter fünf Grad Celsius die Verdunstung eine zu vernachlässigende Rolle spielt, können 30 Grad dem Boden täglich sechs bis sieben Liter pro Quadratmeter entziehen. Statistisch sind in Leipzig pro Jahr acht Tage mit Temperaturen über 30 Grad erwartbar. »2018 waren das ganze 36 Tage, 2019 mehr als 20«, sagt Andreas Marx. Mit globaler Erwärmung steigt die Wahrscheinlichkeit niedriger Wasserstände und Dürren. Dass das für die Vegetation nicht gut ist, merken derzeit Kleingärtner ebenso wie Forst-, Garten- und Landwirtschaft.

»Es ist Wahnsinn, wie früh die Ernte begann und wie schnell sie vorbei war.« Benedikt Biermann baut als Geschäftsführer der Saat-Gut Plaußig Voges KG im Nordosten Leipzigs Nahrungs- und Futtermittel an. In den vergangenen zwei Jahren musste er die Ernte so früh abschließen wie noch nie, um zu retten, was zu retten war. Teilweise waren die Pflanzen tot, der Schaden immens: »Bei Getreide hatten wir zwischen zwanzig und dreißig Prozent Einbußen, bei den Zuckerrüben und dem Mais vierzig bis fünfzig Prozent.« Die dürrebedingt erhöhte Brandgefahr der Felder macht größte Vorsicht und einen mobilen Löschwagen erforderlich, was die Kosten zusätzlich treibt. Aufgrund des milden Winters fehlt den Pflanzen die Ruhezeit, mit Schnee bleibt auch Feuchtigkeit aus. Der Vegetationsvorsprung bereitet Biermann Sorge: »Die Rapsblüte beginnt sonst um den 1. Mai, in diesem Jahr waren da schon die ersten Blütenblätter abgeworfen.« Der Agrarwirt befürchtet erneut eine frühe Ernte. Für die Tierwirtschaft sei die Lage noch gravierender, weil alle Futtervorräte fehlten.

[caption id="attachment_91906" align="alignleft" width="320"] Brandopfer: Baum in Schönau[/caption]

Wie die Feldpflanzen können auch Bäume vertrocknen. Öfter fallen sie Begleiterscheinungen zum Opfer. Denn wie der Pressesprecher des Staatsbetriebs Sachsenforst Renke Coordes erklärt, schwächt sie Trockenheit bis zum Zusammenbruch ihres Immunsystems. »Beispielsweise wehren sich Fichten gegen Borkenkäfer, indem sie Harz bilden. Dafür benötigen sie Wasser. Fehlt das, sind sie dem Käfer ausgeliefert. Pilze oder andere Baumschädlinge haben ebenfalls leichteres Spiel.«

Auch öffentliche Grünanlagen, Straßenbäume und der Auwald zeigen Dürreausfälle. Rüdiger Dittmar, Leiter des Amts für Stadtgrün und Gewässer, spricht von »erheblichen Schäden im Baumbestand«. Dieses Frühjahr begann erneut viel zu trocken: »Die Anzahl toter Bäume, die bei den fortlaufenden Baumkontrollen durch das Fachpersonal des Amtes festgestellt werden, steigt deshalb ständig weiter an.« Die geschwächten Bäume sind anfällig für Befälle durch die Rußrindenkrankheit (s. kreuzer 4/2020) oder Insekten wie den Eschenbastkäfer. Selbst ältere Bäume mit tieferen Wurzeln dehydrieren: »Im zweiten Dürrejahr waren auch viele Altbäume betroffen. So mussten im Mariannenpark, auf dem Südfriedhof und dem Alten Johannisfriedhof, in der Lenné-Anlage, im Clara-Zetkin-Park und im Rosental zahlreiche Bäume gefällt werden«, sagt Dittmar. In diesem Mai folgten Baumpflege- und Fäll-
arbeiten im Friedenspark, am Balzacplatz und im Wilhelm-Külz-Park, außerdem im Park Miltitz und im Park Dösen. Ersatzbäume werden, wo dies möglich ist, ab November nachgepflanzt. Auch um die Totenruhe scheren sich Dürre und Schädlinge nicht. »Vor allem der Verlust des historischen und für die Friedhöfe prägenden Bestandes wie 100-jährige Buchen und Bäume in Alleen ist bedenklich. Neben Bäumen sind auch die den Südfriedhof prägenden Rhododendren geschädigt.«

Im Auwald laugt die Rußrindenkrankheit den Ahorn aus, Dittmar verzeichnet aber auch ein Eschentriebsterben und von Trockenschäden befallene Birken. Raupen des Schwammspinners entlauben die Roteichen am Südufer des Cospudener Sees. Immerhin werden die Bäume nicht absterben, weil das Laub im Juni erneut austreibt. »Aber die kahlen Bäume wirken etwas beängstigend«, meint Dittmar. Die anderen Schäden machen Fällungen unvermeidbar, wenn Bäume umzustürzen oder Äste und Kronenteile herunterzufallen drohen. »Insgesamt sind mehrere Tausend Bäume abgestorben.«

Bestätigung erfolgt durch die Wissenschaft. »2018 und 2019 schlagen vollkommen aus der Reihe«, sagt Christian Wirth, Direktor des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung. Die Wissenschaftler untersuchten an verschiedenen Standorten im Auwald das Baumwachstum im Verhältnis zur Trockenheit. Über die aufgenommenen Kohlenstoffionen und den im Baumstamm gemessenen Flüssigkeitstransport erhielten sie direkte Hinweise auf Wassermangel. Besonders stark litt demzufolge in den vergangenen zwei Jahren der Ahorn. Aber auch bei der weniger betroffenen Eiche war erkennbar, dass die Wurzeln eine Zeit lang das Grundwasser nicht mehr erreichten. Über die Folgen kann Biologe Wirth nur mutmaßen. Künftig könnte die Stieleiche mehr dominieren. Ihr Anteil soll ohnehin steigen, seit Jahren wird daran gearbeitet. Es ist ebenfalls denkbar, dass Jungpflanzen vom Ahorn nachwachsen: »Dann hat die Eiche wieder keine Chance.«

[caption id="attachment_91918" align="alignright" width="386"] Haben wenig zu trinken, nichts zu lachen: Löwenzahn und Gras[/caption]

Auch anderen sächsischen Waldgebieten macht die Dürre zu schaffen. »Im Oberlausitzer Bergland sind ganze Bergrücken komplett abgestorben. Auch im Südraum Leipzig, im Colditzer Forst, sind massive Schäden zu beklagen.« Renke Coordes von Sachsenforst kann die Schäden klar beziffern: »Seit den Stürmen Ende 2017 sind in den Wäldern sieben Millionen Kubikmeter Schadholz aufgelaufen.« Das Schadholz stammte 2018 noch vor allem von Sturmschäden, 2019 vom Borkenkäfer. In einem normalen Jahr werden in Sachsens Wäldern 2,3 Millionen Kubikmeter Holz eingeschlagen. »Derzeit schlagen wir nur geschädigtes Holz ein, und zwar mehr als sonst.« Das Schadholz ist von geringerer Qualität, zudem drückt die Masse des Holzes am Markt die Preise.

Coordes spricht von einer besonderen Dramatik infolge der zwei Trockenjahre: »2018 gab es zu wenig Niederschläge, gerade in der Vegetationszeit, wenn die Bäume wachsen.« Das Niederschlagsdefizit konnte 2019 nicht verringert werden: »Anfang 2020 fehlte damit, was in einem halben Jahr durchschnittlich gefallen wäre.« War die Nutzung tieferer Wasserreserven bereits eingeschränkt, ist der Unterboden inzwischen massiv ausgetrocknet. Frische Niederschläge bleiben im Oberboden und nutzen damit nur jungen oder frisch gepflanzten Bäumen, die sich noch nicht tief verwurzeln konnten. »Die Situation ist wirklich gefährlich, wenn die Reserven im Boden fehlen und bei den Niederschlägen kein Nachschub kommt«, sagt Coordes. Denn Wälder leiden unter der Trockenheit anders als die Landwirtschaft. Daher könnten Regenmengen, die die Bauern erfreuen, für die Wälder bei Weitem nicht ausreichen: »Die Pflanzen der Landwirtschaft leben vom Oberboden«, erklärt Andreas Marx vom Klimabüro. »Wenn es im Sommer mittlere Niederschläge gibt, kommt die Landwirtschaft möglicherweise noch glimpflich davon.« Die große Trockenheit im tieferen Boden gleicht das aber nicht aus. Da können pro Quadratmeter hundert bis dreihundert Liter Wasser fehlen. Für den Wald heißt das: Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass er über den Sommer aus dem Trockenstress herauskommt. Das ist gerade hinsichtlich der Schädlingspopulationen eine gefährliche Situation. Denn in den vergangenen milden Wintern sind mehr Generationen als sonst herangewachsen. Diese treffen auf geschwächte Bäume.

Und was bedeutet die Dürre für den Waldbrand? Während in ganz Sachsen die Gefahr gewachsen ist – die Waldbrandstufe liegt bei vier –, gibt die Branddirektion Leipzig für die Stadt Entwarnung. »Aus Sicht der Feuerwehr sind Laubbaumbestände auch bei Trockenheit nicht deutlich höher von Bränden bedroht. Für die Branddirektion ist das Thema nicht Priorität eins.« Auch für Gebäude in der Stadt sei das Risiko nicht gestiegen. Die Bekämpfung von Flächen- und Waldbränden gehört zur Grundausbildung aller Feuerwehrleute, es gibt also keine gesonderten Maßnahmen oder Extraszenarien. Da die Stadtfeuerwehren ihr Löschwasser aus Hydranten entnehmen, behindert die Trockenheit auch nicht die Löscharbeiten. Vielmehr sei die Bevölkerung zur Vorsicht aufgerufen – im vergangenen Jahr wurden drei Viertel der Waldbrände im Freistaat durch fahrlässiges Verhalten verursach.


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