anzeige
anzeige
Kultur

Den Stöpsel aus dem Comic ziehen

Cunst & Crempel über die Farben der Comic-Magie: ein neuer Kinderverlag und andere Empfehlungen

  Den Stöpsel aus dem Comic ziehen | Cunst & Crempel über die Farben der Comic-Magie: ein neuer Kinderverlag und andere Empfehlungen

In der aktuellen Ausgabe von Cunst und Crempel fließt die Farbe aus den Comics, werden Kriminalfälle gelöst und die ungeschönte Geschichte von Indigenen in Kanada dargestellt.

Wie kam die Farbe in den Comic? Die war schon immer da, lautet die einfache Antwort. »Yellow Kid«, der als Ursprung gilt, erschien in der farbigen Sonntagsbeilage der »New York World« und entwickelte sich ab 1896 zur seriellen Erzählung. Also einem Comic. Auch wenn man eine weite Definition der Erzählung in Einzelbildern ansetzt, war immer schon Farbe mit im Spiel. So waren die altägyptischen Papyrusszenen oder Wandmalereien mit Götterdarstellungen koloriert. Der mittelalterliche Teppich von Bayeux, der von der Eroberung Englands berichtet, ist mit verschiedenfarbigem Garn bestickt. Das heißt aber nicht, dass Comic und Farbe notwendig zusammengehören.

Gewiss, teilweise war und ist die Farbigkeit eine Frage des Geldes, weshalb Indycomics massenweise unbunt sind. Aber oft genug ist das auch eine künstlerische Entscheidung. Würden »Sin City« oder »The Crow« wirklich mehr Ausdruckskraft erhalten, wären sie bunt? Oder ist es nicht erst der Schwarz-Weiß-Kontrast, der die Grauzonengeschichten massiv unterstützt? Bei anderen Comics tut Farbe einfach nicht weh, in vielen anderen aber ist sie ihrerseits eine Stütze von Ausdruck und Stimmung. Frank Millers »Xerxes« würde ohne Farbexplosionen unattraktiv erscheinen, während seine erwähnte Serie »Sin City« gerade farblos brilliert. Und sein frühes Meisterwerk um den »Dunklen Ritter« namens Batman ist eher zurückhaltend, wie mit dem Buntstift eingefärbt, um den Linienschwung nicht zu bremsen. Jede Bildgeschichte sollte also die Farbigkeit bekommen, die sie verdient und Unbuntheit ist kein Qualitätsmerkmal. Was aber geschieht, wenn aus einem Comic die Farbe herausfließt?

Haargenau das ist Tim und seiner Familie passiert. Ihnen ist die Farbe nicht nur aus den Gesichtern, sondern den ganzen Körpern gewichen. Auch ihre Bekleidung, die Möbel und der ganze Rest ist nur noch schwarz-weiß. Da sind sie gerade ins »Haus Nr. 8« gezogen, haben sich noch gar nicht neu eingerichtet – und sind plötzlich hier gefangen. Denn als graue Mäuse können sie sich auf der Straße nicht blicken lassen. Was ist da nur los? Zum Glück ist Tim ein Pfiffikus und bald findet er heraus, dass es hinter dem Badspiegel einen Zugang zu einer Parallelwelt gibt, in der des Rätsels Lösung zu vermuten ist. Und natürlich ist Magie im Spiel.

Der Comic um die »farblose Familie« ist eine fantastisch-schöne Geschichte für Kinder. Witzige Ideen (Text: Patrick Wirbeleit), wie das Auslassen der Farbe durch Ziehen eines Stöpsels oder die Figur des kauzigen Nachtbars, machen einfach Spaß. Auch die Dialoge – weder Tim noch seine Eltern sind auf den Mund gefallen – entzücken. Und dann sind da natürlich noch die putzigen Zeichnungen von Sascha Wüstenfeld, die das Album auszeichnen. Der ehemalige Mosaik-Zeichner hat vielfach beweisen, dass er Mut zum schiefen Strich hat. Kinder kennen ihn wohl ehesten vom Zugfahren: Er ist Erfinder der Figur Der Kleine ICE, dem Bahn-Maskottchen. Er kann also auch Kindercomics, wie »Haus Nr. 8« zeigt. Natürlich lässt es sich Wüstenfeld nicht nehmen, ausgiebig mit Farbeffekten zu spielen. Da ist manchmal nur ein Objekt bunt in grauer Umgebung. Toll sieht es sich an, wenn die Kolorierung wegfließt. Dieser Comic funktioniert nur, weil er mal bunt, mal schwarz-weiß ist.

Erschienen ist das Buch in einem neuen Verlag. Kibitz gibt es seit rund einem Jahr und er hat sich auf Comics für Kinder spezialisiert. Das ist mutig, aber wenn dort weitere Kracher wie das Farbenspiel um Tim und seine Familie produziert werden, dann kann das nur erfolgreich sein.

Wer wars?Ein klassischer Whodunit liegt mit »Das gestiefelte Monster« vor. Die pensionierte Dorflehrerin Miss Crumble muss einmal mehr der Polizei unter die Arme helfen. Ein Mörder geht um, just als der totgeglaubte Graf Crackersmith aus dem Krieg zurückkehrt. Und der trägt Riesenstiefel. Natürlich löst die passionierte Hobbykriminalistin den Fall, aber nachdem sie zahlreiche Wendungen gemeistert hat. Das ist spannend erzählt und schön gezeichnet.

Im Stil realistisch, sind die Zeichnungen leicht ironisch überspitzt. Durch die leicht gedämpfte Farbigkeit kommen auch zarte Detaillinien zur Geltung. Hervorragend ist die Hauptfigur gestaltet. Denn mit Altbackenem hat die Crumble nichts am Hut. Miss Marples‘ Welt wäre nicht die ihre. Sie tritt gern im Korsett auf, hat eine spitze Zunge und kann auch mit scharfen Messern umgehen. Der Comic lässt auf mehr hoffen. Er zählt zu einer siebenteiligen Serie, in der sich das Autorentrio Hanna, Guinebaud und Lou Detektivstorys widmen werden. In jedem in sich abgeschlossenen Band wird ein sehr eigenwilliger Ermittler – oder eine Ermittlerin – auftreten und zum Mitraten einladen. More to come!

Tristes LebenEinmal mehr in Schwarz-Weiß hat Joe Sacco eine Reportage in Comicform vorgelegt. Er bereiste den Norden Kanadas, um zu erfahren, wie Indigene dort leben. Es ist wie immer kompliziert. Er trifft auf das Volk der Dene, unter dem unterschiedliche Interessen herrschen. Für Jobs und Gewinne sind die einen zu Raubbau an der Natur bereit. Andere wollen eher an der althergebrachten Lebensweise festhalten und zwischen dem Widerspruch vom Wunsch nach einen guten Leben und Wirtschaftsrealität werden alle zerrieben. Sacco berichtet auch von der Vergangenheit, davon, wie die kanadische Regierung die Dene um ihr Land betrog, wie ihnen ein hartes Schulregime ihre Kultur ausgetrieben sollte. Auch von Zwietracht und Neid untereinander, von alkoholischem und sexuellem Missbrauch ist die Rede. Das ist harter, unverblümt erzählter Stoff. Etwas abgemildert, aber keinesfalls verharmlost, wird das durch gezeichnete Szenen vermittelt. Sacco schaut mit »Wir gehören dem Land« einmal mehr genau hin, das ist nicht schön, aber wichtig.

UnheilEine ganz finstere Kiste wird mit »Heiligtum« versenkt. Darin schildern Xavier Dorison und Christophe Bec die Geschichte des Totengott Mot, den das bronzezeitliche Volk der Ugariten einst anbetete. Oder aus Angst mit ihrem kollektiven Selbstmord belohnten, um den Unhold für immer in einem steinernen Grab zu bannen. Leider gelingt das nur für ein paar Jahrtausende. Denn im Comic ist die Mannschaft eines US-U-Boots dazu verdammt, Mot in die Freiheit zu entlassen, als sie zufällig in einem Höhlensystem an syrischen Küste auf seinen unterirdischen Gefängnistempel trifft. Es häufen sich merkwürdige Krankheiten an Bord, dann Gewalttaten. Irgendwann ist klar: Man muss Mot stoppen. Nur, wie tötet man einen Gott?Das ist hochspannend in auch farblich sehr realistischen Bildern erzählt, selbst wenn manchmal die Zeichnungen zu statisch wirken. Dafür ist das Geheimnis um die Ugariten sehr fesselnd, zieht einen die Neugier durch die drei als Gesamtausgabe veröffentlichten Teile. Für Fans und Sammler ist das angehängte Making Of ein Augenschmaus.

Altbacken neuGeschult an Wilhelm Busch und Hannes Hegen könnte man »Unfollow« nennen. Oder an Instagram. Denn Lukas Jüligers Comic trennt genauso Text und Bild, löst die Einheit auf und lässt sie nebeneinander stehen. Trotz der großen Bildpanele dominiert der Text hinsichtlich der Bedeutung, trotzdem ist die inhaltliche Ebene dünn. Es geht um eine Art digitalen Messias, genannt Erthboi, der mit hippiesken Zurück-zu-den-Wurzeln-Methoden die Welt retten will. Er sammelt Follower im Netz, die dann konkret an seiner Utopie mitbauen, ihn schließlich in der Radikalität überflügeln – und nicht mehr brauchen.

Frisst eine Revolution unweigerlich ihre Anführer und braucht es die überhaupt? Da ist die bekannte Grundfrage, an die Jüliger vor der Folie Klimakatastrophe abarbeitet. Erthboi verspricht die Weltrettung und alle glauben es ihm. Dass er dafür Social Media braucht, scheint kein Widerspruch zu sein, aber als er seine Yoko Ono findet, streiken die Follower. Sie fühlen sich nicht mehr geliebt. Klassisches Drama also, aber in ästhetisch hochwertiger Verpackung. Die aquarell-like kolorierten Zeichnungen changieren zwischen Coolness und Zerbrechlichkeit. Eine Binärität, die sich in der Farbgebung – entweder das Rötliche oder Blaue dominiert – fortsetzt. Dem Entweder-Oder der revolutionären Situation kann sich keiner entziehen, außer Jülinger selbst. Denn er vermatscht neben dem Klima noch Themen wie Influencertum, Cosplay und Initiationsriten. Allein der hübschen Naturdarstellungen wegen, sei ihm das aber verziehen.


Kommentieren


0 Kommentar(e)