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Kultur

Für ein offenes Sachsen

Der Sachsenbegriff hat Potenzial – gelänge es, ihn von den Folgen der Verpreußung zu befreien

  Für ein offenes Sachsen | Der Sachsenbegriff hat Potenzial – gelänge es, ihn von den Folgen der Verpreußung zu befreien

»So geht sächsisch«: Mit dieser Dachmarke wirbt Sachsen für sich, kittet eine sächsische Identität zusammen. Diese zeigt sich besonders exklusiv, wirkt als Mischung aus Stolz und Schmach verstärkend aus aufs Bild vom »hellen Sachsen«, der sich nichts sagen lässt. Weil Aufklärung und Kritik der erste Weg zur Besserung sein können, soll die sächsische Identitätsbildung hier in loser Folge beleuchtet und diskutiert werden. Warum fühlt man sich in Sachsen so besonders und bildet das nicht genau auch den Boden für besonders eklige Phänomene der Gegenwart? Was also sind die sächsischen Verhältnisse? Wie geht sächsisch – und warum?

Eigentlich ließe es sich kurz machen: Wohl kaum ein anderer Gruppenname besitzt in der deutschen Geschichte ein ähnliches Relevanz-Potenzial wie Sachsen. Und das nicht nur als sinnentleertes Reizwort: 1815 bildete die sächsische Frage den zentralen Zankapfel beim Wiener Kongress; die beiden sächsischen Reichskreise dienten noch im frühneuzeitlichen Europa als Hauptrekrutierungsgebiet für berittene Söldner; sächsische Fürsten – nicht nur die Wettiner – waren die eigentlichen politischen Macher der Reformation; sächsisches Stadt- und Sachsenspiegel-Landrecht strahlten von der Elbe (»Saxelfr« dem »Sachsenfluss«) und der »Sächsischen Saale« weit nach Osten aus; Billunger, Welfen, Askanier, Wettiner und Hohenzollern rangelten um den sächsischen Herzogstitel und noch heute heißt Deutschland auf Finnisch saksa. Reicht diese Aufzählung, um dem Begriff Sachsen auch zukünftig Gewicht zu verleihen?

[caption id="attachment_118201" align="alignleft" width="381"] Karte: Olaf Böhlk
Ihre Dezentralität kennzeichnete die sächsischen Landschaften über Jahrhunderte[/caption]

Nein, natürlich nicht. Es geht um viel mehr bei »Sachsen«. Es geht darum, wie man deutsche Geschichte post-völkisch, post-nationalistisch und feministisch erzählen kann. Denn erst durch die Verpreußung der sächsischen Vergangenheit wurde es möglich, eine germanisch-deutsche National-Story rund um die Markenkerne »Männer«, »Volk« und »Raum« zu konzipieren. Wer also die Säge an den preußischen Germanen-Evergreen ansetzen möchte, muss bei dem angeblich reinsten germanischen »Stamm« beginnen: Fällt das völkische Sachsen-Epos, entfleuchen auch die flügelbehelmten trinkfesten Muskel-Barbaren in die Schein-Welt der Wagner-Opern. Vor der Ottonen-Zeit im 10. Jahrhundert war ein sächsisches Wir-Gefühl auf dem Kontinent unbekannt.

Verpreußung sächsischer Vergangenheit

Schon die Römer nannten Söldner aus dem Norden »Saxones«. Nachdem das Imperium die britischen Insel geräumt hatte, verpflichtete man dort Saxones als Security. Manche ließen sich nieder, andere Aussiedler vom Festland kamen hinzu. Wie viele es waren, weiß niemand.  Ähnliches wiederholte sich wenig später in einem an Harz, Elbe und Saale entstandenen Königtum. Auch hier verdienten Warlords ihren Unterhalt als militärische Dienstleister im ehemaligen römischen Gebiet. Im Westen des einstigen Imperiums hatten sich inzwischen die Franken etabliert und nannten ihre Mietkrieger ebenfalls ganz traditionell »Saxones«. Nun darf man sich diese Leute nicht als kulturlose Chaoten vorstellen. Viele von ihnen teilten christliche Ideale, die, zusammen mit wertvollen Gütern, aus Ostrom importiert worden sind. In den Sachsenkriegen Karls des Großen ging es also wohl weniger um einen Kampf Christ gegen Heide, sondern eher um einen Stellvertreterkrieg der aufstrebenden frühmittelalterlichen Großmächte der Franken und Dänen. Nebenbei taufte der karolingische Kirchen-Hardliner und bekennende britische Sachse Bonifatius möglichst vieler Leute jeglicher Herkunft zu katholisch zertifizierten Alt-Sachsen.

[caption id="attachment_118203" align="alignright" width="383"] Karte: Olaf Böhlk
Die Eidgenossenschaft der „sächsischen Städte“ bildete um 1426 den „größten und stabilsten regionalen Bund innerhalb der Hanse" (Matthias Puhle).[/caption]

Aber inwiefern ist das heute noch relevant? Jüngste Forschungen untersuchen beispielsweise, wie die Emotionalität in die westlich-christliche Kultur gelangt ist. Die Spur führt in die sächsischen Gebiete, denn offenbar hatten hier auch Frauen etwas zu sagen. Sie wurden oft mit Schlüsseln oder wertvollen Schmuckstücken bestattet, was Rückschlüsse auf eigenes Erbe und herausgehobene gesellschaftliche Funktionen – wie die Pflege der Traditionen – erlaubt. Besitzverfügbarkeit und das gesellschaftliche Ansehen als Hüterinnen des Gedenkens an die Altvorderen führten vermutlich im mittelalterlichen Sachsen auch zu einer herausragenden Dichte von für weibliche Bewohnerinnen vorbehaltenden Stiften und Klöstern. Diese Einrichtungen verwandelten das Gebiet an Harz, Elbe und Saale in eine sächsische Sakral- und Erinnerungslandschaft. Im Hochmittelalter ließen sich wohlhabende Patrizier in den Städten jener Region von den sächsischen Traditionen inspirieren. Sachsengeschichte wurde von Stadtbürgern für Stadtbürger aufgeschrieben. Eine sächsische Eidgenossenschaft – die Bündnisse der Sächsischen Städte – verband Orte wie Halle, Magdeburg und Braunschweig über die sich bereits abzeichnenden Grenzen der Fürstentümer hinweg.

Schon zuvor könnte hier ein spezielles sächsisch-christliches Menschenbild zu innovativen juristischen Statements geführt haben: Eike von Repgow widersprach in seinem berühmten Rechtsbuch »Sachsenspiegel« der Behauptung, dass sich aus der Bibel ein Recht auf Unfreiheit ableiten ließe. Im Entstehungsgebiet regelte es das friedliche Zusammenleben von unterschiedlichen Ethnien und – mit Christen und Juden – auch Religionen im ländlichen Raum erfolgreich, während das Magdeburger Stadtrecht die frühe kommunale Selbstverwaltung organisierte. Landesfürsten traten erst spät als Hauptakteure der sächsischen Geschichte auf. Nach den Askaniern gelangten die Wettiner – man munkelt über Bestechungsgelder an die Frau des damaligen Königs – in den Besitz der sächsischen Kurwürde. Die Grenzen des weitläufigen Geltungsgebietes des sächsischen Rechts kannte zu jener Zeit niemand. Da im Sachsenspiegel steht:  »Iewelk inkomen man untveit erve binnen deme lande to sassen na des landes rechte unde nicht na des mannes, he si beier oder svaf oder vranke«, dehnte sich das offene »lande to sassen« friedlich immer weiter aus. (»Jeder eingewanderte Mann empfängt Erbe in dem Land Sachsen nach des Landes Recht und nicht nach des Mannes Recht, er sei Bayer oder Schwabe oder Franke.« – Ruth Schmidt-Wiegand)

[caption id="attachment_118205" align="alignleft" width="346"] Karte: Olaf Böhlk
Ein Ausschnitt aus der handlichen Deutschland-Reisekarte von 1716 zeigt einen Zwischenzustand auf dem Weg zur Entstehung der gegenwärtigen föderalen Identitätsräume Deutschlands.[/caption]

Dresden: gebaute Schambewältigung

Der sächsische Kurfürstentitel haftete bis 1806 an der Landesherrschaft über den ehemaligen askanischen Wittenberger Kurkreis. Die Wettiner litten stets unter dem Minderwertigkeitskomplex, zwar den kurfürstlich-sächsischen Herzogstitel zu tragen, nie aber über ganz Sachsen zu herrschen. Der Wettbewerb mit Brandenburg-Preußen stresste zusätzlich. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit verlangte nach Kompensation: Dresden, die steingewordene Schambewältigung, entstand. Dass August 1698 zur Finanzierung der Elbkulissen sogar die Grablege seiner Vorfahren auf dem Petersberg bei Halle an den zukünftigen Preußenkönig verkaufen musste – geschenkt.

Mit der 1813 vom Leipziger Schlachtfeld weg erfolgten Inhaftierung des Napoleon-Freundes Friedrich August war der großsächsische Traum für die Wettiner endgültig geplatzt. Der letzte Kurfürst hatte sich gründlich verzockt, als er mit Bonaparte am 11. Dezember 1806 den Posener Vertrag schloss und alle seine deutschen Titel gegen eine französische Krone eintauschte. 1815 wurde der preußische König Landesherr im ehemaligen Wittenberger Kurkreis und Träger des vom Wettiner niedergelegten mittelalterlichen Titels »Herzog zu Sachsen, Engern und Westphalen«.

Das Preußischen Sachsen feierten Zeitgenossen als »sächsische Wiedervereinigung«. Es umfasste jene Landschaft an Harz, Elbe und Saale, die bereits seit der Merowingerzeit kontinuierlich mit dem Namen Sachsen in Verbindung gebracht wurde: es heißt heute Sachsen-Anhalt. Während Friedrich Augusts 19-monatiger Kriegsgefangenschaft zitterten die Dresdener Hofbeamten um ihre Arbeitsplätze. Der Pöbel sollte den Preußen Druck machen: Ende 1814 erschien die anonyme patriotische Flugschrift »Rüge eines groben Verbrechens an der Sächsischen Nation«. Das Konzept, den kleinen übrig geblieben Kernraum der bis zuvor Meißen genannten Region zur Sächsischen Nation zu erklären, bildet seither die Basis einer exklusiven, gegen Berlin gerichteten, neo-sächsischen Protest- und Opfer-Identität.

Außerhalb der Dresdener Blase bergen der Begriff Sachsen und seine Geschichte jedoch enormes integratives und emanzipatorisches Potenzial. Es liegt nun an uns, ihn als Alternative zu historiografischen Konstruktionen völkischer Ausgrenzung und neues Fundament einer offenen und zukunftsfähigen norddeutschen Identität zu reaktivieren!


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1 Kommentar(e)

Steffen Rascher 20.10.2020 | um 19:24 Uhr

Hallo, Herr Bölk, da schwingt ein gutes Stück Hoffnung mit, die ich Ihnen nicht nehmen möchte. Meine Heimatstadt ist Leipzig und der Name kommt von Lipsia was wiederum Slawisch ist. Mag sein, das Lipsia eine wie unser OBM - Westimport laut in die Welt posaunte, seit 2000 Jahren weltoffene Stadt war' und nun eben nicht mehr slawisch ist, sondern germanisch oder sächsisch oder weiß der Teufel was? Weltoffenheit hatte auch Risiken und Nebenwirkungen, würden diese Slawen heute sagen. Die Menschen kommen uns heute besuchen, weil es bei uns so schön deutsch zugeht. Eigentlich sollten ja keine Touristen mehr kommen, weil Sachsen braun geworden ist, wo aber soll man seinen Kindern das Land zeigen, aus dem man komm, wenn überall der Multikulti - Wahn gefeiert wird, bei dem interessanterweise selten die Moslems mittanzen. Die scheinen nur zu warten.