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»Derzeit kann man nur unter enormen Belastungen studieren«

Studieren in Zeiten der Pandemie 2.0

  »Derzeit kann man nur unter enormen Belastungen studieren« | Studieren in Zeiten der Pandemie 2.0

Wie steht es um die Studierenden der Universität Leipzig? Der kreuzer führte ein Gespräch mit Dorothea Günther, Geschäftsführerin des Student_innenRats (Stura), über mögliche Erleichterungen, bessere digitale Lehre und psychische Belastung.

kreuzer: Frau Günther, letzte Woche hat der Senat beschlossen, auch dieses Semester Erleichterungen für die Studierenden vorzusehen. Nicht bestandene Prüfungen können annulliert werden, Fristen für die Wiederholung von Prüfungsleistungen sind ausgesetzt und das Semester muss nicht in die Regelstudienzeit angerechnet werden. Sind Sie damit zufrieden?DOROTHEA GÜNTHER: Zunächst ist es toll, dass durch den Senat Erleichterungen vorgesehen sind. Ob diese umgesetzt werden, ist jedoch nicht klar. Der Senat gibt nur Empfehlungen an die Fakultäten. Zudem deckt der Beschluss nur einen Teil der Forderungen des Sturas ab. Wir fordern, dass auf Anfrage auch bestandene Prüfungen annulliert werden können, weil das den Druck senken würde. Derzeit kann man nur unter enormen Belastungen studieren. Es ist nicht möglich, regelmäßig an Seminaren teilnehmen, die digitalen Seminare sind nicht optimal aufbereitet und dann hat man vielleicht auch noch eine schlechte Internetverbindung. Wir wollen, dass Studierende, die nicht mit ihrem Ergebnis zufrieden sind, dieses annullieren können. Das ist vermutlich etwas, das nicht im großen Maße genutzt werden würde. Wir haben da erste unverbindliche Zahlen aus Dresden, aus denen hervorgeht, dass nicht viele Studierende davon Gebrauch machen. Aber man traut sich tendenziell eher die Prüfung zu. Das Nächste, das wir uns wünschen, ist, dass die ganze Hardware und Software nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Ein großes Thema ist auch die Fristverlängerung, die kann gewährt werden, muss aber nicht. Uns geht es darum, die Bearbeitungsfristen entsprechend den Einschränkungen zu verlängern. Das heißt, wenn die Bibliothek begrenzt oder gar nicht zugänglich ist, sollte eine längere Zeit für eine Hausarbeit zur Verfügung stehen.

kreuzer: Macht man es den Studierenden zu leicht? Die Corona-Jahrgänge könnten später auf dem Arbeitsmarkt durch die laschen Studienanforderungen belächelt werden.GÜNTHER: Das bezweifle ich. Das Letzte, worum man sich gerade Sorgen machen muss, ist, dass das Studium zu lasch ist. Das Maß an Selbstdisziplin, das man gerade aufbringen muss, um sich durch dieses Semester zu kämpfen und mit den unterschiedlichen Qualitäten digitaler Lehre klarzukommen, ist immens. Da kann nicht davon die Rede sein, dass man weniger machen muss, die Leute leisten durch die schwierigen Rahmenbedingungen so viel mehr. Da unterschätzt man auch den Unterschied zwischen präsenter und digitaler Lehre. Die ganze Kooperation unter Studierenden ist so viel schwerer unter Kontaktbeschränkungen.

[caption id="attachment_119290" align="alignleft" width="320"] Dorothea Günther, Geschäftsführerin des Sturas Leipzig | Foto: Henning
Schossig[/caption]

kreuzer: Ist die Situation dieses Semester für die Studierenden leichter geworden? Immerhin sollten die Lehrenden nach dem letzten Semester wissen, wie  digitale Lehre funktioniert.GÜNTHER: Ich stimme der These zu, dass die digitale Lehre besser wird. Gerade die Lehrenden, die sowohl die Lust als auch das Engagement haben, ihre Lehre aufs Digitale umzustellen, machen das auch und bemühen sich dabei, möglichst niedrigschwellig  zu sein. Es gibt aber auch ein paar Lehrende, die dazu - mit Verlaub - technisch nicht in der Lage sind.  Ich will da gar nicht gegen Lehrende wettern, für die ist es auch eine schwere Lage. Sich umzustellen, ist eine enorme Leistung, die viele nicht erbringen können. Es gibt immer wieder Seminare, bei denen die Lehre praktisch aussetzt und in eigenständige Arbeit transferiert wird. Die Studierenden sollen dann nur eine Hausarbeit schreiben und bekommen dafür Lektüre zugeschickt, die Lehrveranstaltung fällt jedoch aus. Das mögen derzeit Ausnahmen sein, aber es gibt sie immer noch.

kreuzer: Gleichzeitig sprechen die Zahlen der repräsentativen Umfrage der Universität Leipzig eine deutliche Sprache. Fast die Hälfte der befragten Studierenden gaben an, dass es ihnen schwerer gefallen sei, sich an Lehrveranstaltungen zu beteiligen. Glauben Sie, die psychische Belastung nimmt zu?GÜNTHER: Zu diesem Semester liegt noch keine repräsentative Umfrage vor, deswegen finde ich schwierig, mich dazu zu äußern. Was ich aus dem persönlichen Umfeld sagen kann, ist, dass es nicht besser wird sondern eher schlechter. Und was man auch nicht unterschätzen darf: die Situation der Erstsemester. Die kommen nicht richtig in ihrem Studienalltag an, sondern sind sofort mit einer Sondersituation konfrontiert. Sie müssen damit umgehen, dass sie keinen direkten und unkomplizierten Kontakt zu Kommilitoninnen haben.

kreuzer: Wie steht es um das Angebot psychologischer Betreuung an der Universität Leipzig?GÜNTHER: Es gibt zum einen die psychosoziale Beratung vom Studentenwerk. Da hat jede Person, die an der Universität Leipzig studiert, die Möglichkeit, Sitzungen bei Psychologinnen und Psychologen zu bekommen. Die sind aber extrem gefordert. Anfang des Jahres erzählte mir eine Kollegin aus dem Team, dass sie lange Wartelisten haben, man also etwa 4- 8 Wochen warten muss, bis man einen Termin bekommt. Auch der Stura bietet kostenfreie psychosoziale Beratung an! Wer eine erste Anlaufstelle sucht, findet sie also. Dennoch reichen selbstredend die Kapazitäten von beiden Einrichtungen nicht, um den enormen Bedarf in dieser Zeit zu decken.

kreuzer: Was wünschen Sie sich für die zukünftige  Lehre? Präsente Treffen in kleinen Gruppen sind gesetzlich noch möglich.GÜNTHER: Ich weiß nicht, ob wir uns etwas Gutes tun, wenn wir die Ressourcen, die wir haben, in kleine, präsente Arbeitstreffen stecken oder ob es nicht besser wäre, die Mühen in digitale Formate zu stecken. Da gibt es auf jeden Fall Verbesserungsbedarf. Man sollte auch dann noch auf die Seminare und Vorlesungen zugreifen können, wenn man nicht anwesend sein kann. Bei den Anforderungen an die Studierende müsste größere Transparenz und Einheitlichkeit bestehen. Zudem sollte mehr Austausch unter den Studierenden ermöglicht werden. Da kann man noch sehr viel optimieren. 


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