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Kultur

Endstation Marseille

Ein Meilenstein: Johny Pitts' Reisebuch »Afropäisch«

  Endstation Marseille | Ein Meilenstein: Johny Pitts' Reisebuch »Afropäisch«

Johny Pitts ist das Kind einer weißen Arbeiterin aus Sheffield und eines schwarzen Soul-Sängers aus New York. In seinem Buch »Afropäisch« nimmt er die Leserinnen mit auf eine Reise durch Europa, auf der Suche nach einer postkolonialen Identität. Am 08. Dezember hat Pitts nun den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhalten. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir hier die Rezension aus dem Herbst-:logbuch des kreuzer.

Johny Pitts ist Schriftsteller. Er ist Fotograf. Er ist in Sheffield aufgewachsen, als Sohn einer weißen Mutter aus der britischen Arbeiterklasse. Sein Vater ist ein afroamerikanischer Musiker, der in Großbritannien von seiner Musik gut leben konnte. Gleich zu Beginn seines Buches schildert Pitts seine eigene Situation als die eines Menschen, der zwischen vielen Kulturen und Identitäten steht. Und so ist »Afropäisch« auch der Reisebericht eines Mannes, der sich seiner eigenen Kultur und Geschichte vergewissern möchte.

Es ist ein Trugschluss, und ein rassistischer noch dazu, anzunehmen, Schwarze Menschen in Europa kämen eigentlich von ganz woanders her. Viele von ihnen sind in Europa geboren, sie sind Teil der europäischen Identität und werden doch häufig ausgeklammert: »Als ich den Ausdruck ›afropäisch‹ zum ersten Mal hörte, regte er mich dazu an, mich selbst als komplett und ohne Bindestrich zu begreifen«, schreibt Pitts. Doch was bedeutet afropäisch? Wie sieht die dazugehörige Kultur aus?

Fünf Monate lang bereiste Pitts mit diesen Fragen im Gepäck den europäischen Kontinent. Ausgestattet mit einem Interrail-Ticket und großer intellektueller Neugier suchte er afropäische Communitys in Paris, Brüssel, Amsterdam, Berlin, Stockholm, Moskau, Marseille und Lissabon. In »Afropäisch« schildert er seine Erlebnisse und verwebt sie mit Exkursen in die jeweilige Landesgeschichte. So erfährt man von Schwarzen Bataillonen in Frankreich, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges nicht am Siegeszug durch Paris teilnehmen durften. Man liest über die Gräueltaten, die die Belgier im Kongo anrichteten, oder über die Folgen der Wiedervereinigung für Schwarze Menschen in Deutschland. Neben der Historie stehen Begegnungen mit Aktivistinnen in Amsterdam, einem »verlorenen« Südafrikaner in Stockholm und einem jungen Mann in den Favelas von Lissabon. Ihre Perspektiven vermischen sich mit Pitts eigenen Überlegungen zu einem Buch, das man als Meilenstein bezeichnen kann – gelingt es ihm doch, Menschen, Communitys und Geschichte(n) sichtbar zu machen, die sonst übersehen und übergangen werden. Pitts hält Europa den Spiegel vor. Gleichzeitig ist sein Reisebericht eine Liebeserklärung an den Kontinent und die afropäischen Communitys, die ihn prägen: »Vielmehr war die afropäische Realität eine Bricolage des Schwarzseins; und ich hatte ein Afrika erfahren, das sowohl in Europa war als auch zu Europa gehörte.«

Vielleicht sollte man an dieser Stelle die Bilder erwähnen, die Pitts während seiner Reise gemacht hat. Eindrucksvoll ergänzen sie den Text und machen »Afropäisch« damit zu einem Debüt, dem die Kraft innewohnt, den Blick seiner Leser zu verändern.


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