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Politik

Neu, nett, rassistisch

Umtriebige Neonazis im Leipziger Umkreis

  Neu, nett, rassistisch | Umtriebige Neonazis im Leipziger Umkreis

Rund 65 Kilometer von Leipzig entfernt siedeln sich militante Neonazis vor allem aus Westdeutschland an. Sie kaufen Höfe in den eingemeindeten Dörfern um die Kleinstadt Leisnig und träumen von Siedlungen nur für Weiße. Bei den Corona-Protesten sind sie jetzt erstmals an die Öffentlichkeit gegangen – der Bürgermeister schaut weg.

»Sie hatten bei mir angerufen«, sagt die Frau am Telefon höflich. Ihr Mann drängt laut dazwischen: »Wer ist denn da?« Als wir uns als Journalisten vorstellen und fragen, ob auf dem Grundstück der Familie eine völkische Begegnungsstätte geplant sei, wird sofort aufgelegt. Noch sieht der Hof, den die Giesens in einem mittelsächsischen Dorf bei Leisnig erworben haben, arg reparaturbedürftig aus. Und doch geht im Ort schon die Sorge um, dass die Familie noch ein zweites Grundstück erwerben könnte. Lutz Giesen ist kein Unbekannter in der deutschen Neonazi-Szene – nach militanten, mit Vorstrafen gepflasterten Jahren in Berlin arbeitete er für die NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern. Heute tingelt er als gefragter Vortragsredner der extremen Rechten durch die Republik, ist breit vernetzt mit Neonazi-Parteien, der Kameradschaftszene und dem Umfeld von NSU-Unterstützern. Früher begrüßten ihn Gegendemonstranten gern mit dem Ruf »Giesen, du Niete, bezahl deine Miete«, weil er immer wieder bei Kameraden in der Kreide gestanden haben soll. Jetzt ist Giesen sesshaft geworden, wohnt mit Frau und Kindern zwischen Leipzig und Dresden. Der 46-Jährige gehört zu einer Gruppe von völkischen Siedlern, die seit 2018 Höfe in den eingemeindeten Dörfern rund um Leisnig erwirbt. 

Verfassungsschutz und Polizei sind schon länger alarmiert, weil die Zuzügler als fanatische Nationalsozialisten bekannt sind. Giesen wurde in den neunziger Jahren unter anderem verurteilt, weil er in Berlin einen sogenannten »Schulungsbrief« mitherausgab, in dem jede Kritik am »Führer« als Verrat galt: »Ein Gegner Hitlers und seiner Bewegung ist somit auch ein Gegner des Deutschen Volkes!«, heißt es da. Dass die Siedler sich für die ländliche Gegend zwischen Leipzig und Dresden entschieden haben, überrascht wenig: Die Region ist strukturschwach, seit den »Baseballschlägerjahren« für ihre Neonaziszene so bekannt wie gefürchtet und zusätzlich sorgt der viele Leerstand für erschwingliche Immobilienpreise. An ihren neuen Wohnorten in Mittelsachsen sind die Siedler bisher nicht offen politisch in Erscheinung getreten. Im April 2021 hat sich das geändert.

»Wir wollen leben« – unter diesem Motto organisieren Lutz Giesen und seine Kameraden seither jeden Montag auf dem Leisniger Marktplatz Proteste gegen die Corona-Politik. Vordergründig geht es um Freiheit, um das Wohl der Kinder. Giesen gibt am Mikrofon den hemdsärmeligen Regierungskritiker: »Dann sind Plastikmasken kein Problem im Ozean, aber Plastikeinkaufstüten sind sehr wohl ein Problem im Ozean«, sagt er, der seine Rolle hier selbst als »Witzeerzähler« beschreibt. »Vielleicht sollten wir dazu übergehen und die Plastikmasken auch gegen Papiermasken tauschen, gegen Papiertüten, die könnten wir bunt bemalen, aber nein, da gibt es kein CDU-lastiges Vertriebsnetz für.« 

Hauptredner ist ein anderer: Christian Fischer. Der Rotschopf mit Seitenscheitel lächelt oft und breit. Wenn er auf dem Leisniger Marktplatz spricht, echot seine laute Stimme von den umstehenden Gebäuden. »Wir müssten hier mit Tausenden von Leuten stehen, um für unsere Rechte und Freiheit auf die Straße zu gehen«, ruft der 38-Jährige sendungsbewusst. »Und das müssen wir erreichen. Und wir fangen jetzt gerade erst an.« Fischer kommt ursprünglich von anderswo, das verrät auch sein gestochen scharfes Hochdeutsch. Erst im Jahr 2018 zog er mit seiner Familie aus dem niedersächsischen Vechta nach Leisnig. In einem Podcast der neonazistischen Splitterpartei »Dritter Weg« erklärt Fischer, was ausschlaggebend gewesen sei für seinen Umzug nach »Mitteldeutschland« (Ostdeutschland liegt nach seiner Überzeugung jenseits der Oder-Neiße-Grenze im heutigen Polen). In der Grundschulklasse seiner Tochter habe es zu viele migrantische Kinder gegeben, er hätte nicht verhindern können, dass sie mit diesen spiele. Das sei in Sachsen anders: »Hier ist die Volkssubstanz halt noch vernünftig und kann bewahrt werden.« 

Rechtsextremer Aktivismus prägt Fischers Biografie. Lange Jahre waren er und seine Frau Jennifer aktiv bei den niedersächsischen Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD. Beide nahmen an Lagern der seit 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ), einer Nachahmerorganisation der Hitlerjugend, teil. Ziel der HDJ war neben der Vernetzung rechtsextremer Kader vor allem die Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen mit nationalsozialistischem Gedankengut. Weil Fischer eine Rasseschulung für Minderjährige organisiert hatte, verurteilte ihn im Jahr 2010 ein Berliner Gericht wegen Volksverhetzung zu einer Bewährungsstrafe. 

Zu den Corona-Demos haben die Siedler ihre Familien mitgebracht. Die Bespaßung der Kinder übernimmt die ältere Tochter eines anderen Siedlerehepaars, das aus Schleswig-Holstein stammt. Der rechtsextreme Verleger Dankwart Strauch und seine Frau kamen als Erste, quasi als Vorhut, nach Leisnig. Er betreibt an seinem Wohnort den Adoria-Verlag, veröffentlicht unter anderem eine Sammlung von Werbeplakaten der Waffen-SS und Schriften eines italienischen Faschisten und »Rassentheoretikers«. 2019 beschlagnahmte das Landeskriminalamt bei ihm mehrere Hundert Exemplare des »Organisationsbuches der NSDAP« – inzwischen darf er den Nachdruck der NS-Fibel wieder verkaufen. Wie die Eheleute Giesen und Fischer waren auch die Strauchs früher bei der HDJ aktiv – ein Dokument des Bundesinnenministeriums listet ihn als »Leiter Beschaffung« auf. In Leisnig lässt sich das Paar seine Gesinnung im Auftreten nicht anmerken – ob im Feuerwehrverein oder an der Schule, die Strauchs sind aktiv unauffällig. Rechtsextremismusexperte David Begrich vom Magdeburger Verein Miteinander sieht in dieser scheinbaren Anpassung eine Strategie: »Dieses völkischen Milieu hat eine Meisterschaft darin entwickelt, eine Art rascher sozialer Integration zu betreiben. Sie kommen ja nicht und verbreiten offen ihre Ideologie, verteilen Zettel und sagen, lesen Sie mal dieses Buch, sondern sie sagen ›Wir sind hier, wir bieten Hilfe an, wir wollen uns beteiligen‹.« 

Kümmern um die Gemeinschaft, das soll auch auf den Kundgebungen der völkischen Neu-Leisniger dazugehören. An einem Montag im Juni ist ein blauer Pavillon aufgebaut, darunter Kisten mit Kleidung, die verschenkt wird. Nur wenige nehmen das Spendenangebot wahr. Organisiert hat die Aktion der Ex-NPD-Stadtrat Stefan Trautmann aus Döbeln. Überhaupt wirken die wenigen Teilnehmenden der Kundgebung auf dem Marktplatz verloren. Einzig die vielen kleinen Kinder, die über den Platz fetzen, schaffen eine lebhafte Stimmung. Über die Wochen wird viel versucht, um die Leute bei Laune zu halten: Live-Musik, Kaffee-Ausschank, selbst gebackener Kuchen. Wirklich einstellen will sich der herbeigesehnte Volksfestcharakter dennoch nicht. Stattdessen prägen Tattoos, Totenschädel und einschlägige Kleidungsmarken das Bild. Es ist eine ganz bestimmte Klientel aus der Region, die sich hier versammelt. Statt der Oma von nebenan hocken vorwiegend zugezogene und einheimische Rechte zusammen. Unter ihnen ein Mann in Jogginghose, der in die Jahre gekommen aussieht. In der Vergangenheit war er im Ort berüchtigt für seine Gewalt gegen Asylbewerber und Linke. Neben NPD-Funktionär Trautmann bringt sich ein weiterer Mann aus der Region aktiv ein. Mathias K. kommt eigentlich aus Wurzen, war dort tätig als Stützpunktleiter der JN. Das LKA ermittelte ihn außerdem als »Supporter Nr. 1« der Terror Crew Muldental, einer militanten Neonazigruppe, die ihrem Verbot durch Selbstauflösung zuvorkam. Unter den Ordnern und Teilnehmern der Versammlung sind auch sattelfeste Rechtsrock-Fans, die bereits beim »Rock gegen Überfremdung« im thüringischen Themar mitfeierten. Vor Corona sollen sie am Fuß des Leisniger Schlossbergs ein mit Kameras überwachtes Haus für rechte Szene-Partys genutzt haben.

Auch wenn die Siedler mit den Corona-Protesten in Leisnig das erste Mal öffentlich auftreten, unbekannt sind ihre politische Herkunft und Ausrichtung in der Stadt nicht. Verfassungsschutz und Polizei haben die Kommune frühzeitig auf den Zuzug der Rechtsextremisten aufmerksam gemacht, doch Stadtrat und Bürgermeister vermeiden bisher eine öffentliche Positionierung. Gegenprotest gab es nie. Eine Interviewanfrage lehnt Bürgermeister Tobias Goth (CDU) ab, nicht einmal schriftlich will er trotz mehrfacher Nachfrage antworten. Unser letzter Gesprächsversuch mit ihm dehnt sich wie Kaugummi, selbst seine klarste Antwort bleibt blasig: »Wir lassen uns im Stadtrat regelmäßig informieren«, sagt Goth, »und vielleicht wird ja irgendwann mal eine Positionierung daraus.« Das Schweigen der Lokalpolitik irritiert auch den neuen sächsischen Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian. »Man kann zumindest von der Gesellschaft erwarten, dass sie zu diesen völkischen Siedlern auf Distanz geht«, sagt der nüchterne Jurist. »Dass sie ihnen klar die rote Karte zeigt und deutlich macht, dass es Unterschiede gibt zwischen einer freiheitlichen Gesellschaft und einer Gesellschaft, die die Siedler bevorzugen.« Vor Ort gibt es durchaus Leute, die das gezielte Ansiedeln rechtsextremer Familien und ihre Vereinnahmung des Marktplatzes mit Sorge beobachten. Doch nach den Gewalterfahrungen mit den einheimischen Neonazis in den neunziger und nuller Jahren dominiert eine gewisse Vorsicht. Inzwischen trifft sich jede Woche eine Gruppe von Anwohnern aus der Region. Sie bereiten die Gründung einer Bürgerinitiative vor. 

Am Mikrofon steht regelmäßig auch ein knabenhafter Mann, der einst in Mainz Geschichte studierte. Seine akademische Karriere fand ein plötzliches Ende, nachdem er 2010 einen Mitstudenten angegriffen und damit ins Krankenhaus befördert hatte. Mario Matthes ist aus Rheinland-Pfalz nach Sachsen gezogen, seine Familie ist der jüngste Zuwachs für die Siedlergruppe. Wie seine Kameraden Giesen, Fischer und Strauch war auch er bei der HDJ. Zuletzt agierte er als Stützpunktleiter Pfalz für den »Dritten Weg«. Auf dem Markt in Leisnig lässt er Ende Mai seine Gesinnung aufblitzen, wenn er formuliert: »Und ich glaube, wenn jeder dem Ruf seines Gewissens folgt, dann werden wir diese Zeit auch überstehen und irgendwann mit einem neuen politischen Staat hoffentlich bessere Wege gehen.« Konkret könnte das bedeuten, dass er und seine Kameraden in Leisnig einen Stützpunkt des »Dritten Weges« aufbauen wollen. Auch Fischer und Giesen stehen der Partei sehr nah. Mit deren Chef besuchten sie im April in München den Prozessauftakt gegen eine mutmaßliche Rechtsterroristin, auch sie gehörte dem »Dritten Weg« an. Ihre Montagskundgebungen in Leisnig haben die Neonazis erst einmal eingestellt. Sie versuchen jetzt, den Alltag in ihrer neuen Heimatstadt zu besetzen. Erst kaperten sie den Aufruf des Heimatvereins zum 975-jährigen Stadtjubiläum, aktuell werben sie für den örtlichen Kanuverein. 

Zurück zum abgelegenen Hof der Familie Giesen. Eine auf die Adresse eingetragene Firma führt als Geschäftszweck auch »Vermietung und Verpachtung« an. Von einem Umbau ist bisher noch nichts zu sehen. Aber schon jetzt bietet das Grundstück genug Platz für Schulungstreffen und Zeltlager.

Der Text stammt aus der AUgust-Ausgabe 08/21 des kreuzer.


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6 Kommentar(e)

Marcelo 19.08.2021 | um 10:29 Uhr

Guter Artikel über die Machenschaften der extremen Rechten. Jetzt der journalistischen Unabhängigkeit wegen bitte mal einen GENAUSO kritischen Artikel über Linksradikale und auch über extrem islamistische Männerbündel und deren Gewaltaktionen, dann wird das auch was mit der breiten, öffentlichen Annahme des Problems der Nazis. Mal sehen, von wem der Kreuzer dann als erstes angefeindet wird. Von Nazis, Kommunisten oder Islamisten? Wer schränkt die Meinungsfreiheit wohl zuerst ein? Wenn Nazis, was ich auch denke, das größte Problem sind, ist der Ausgang klar. Wenn nicht, dann, ähhm, ?

Lol 20.08.2021 | um 08:38 Uhr

Macht doch mal was über jüdische Siedler. Oder westdeutsche Clan Hochburgen...

Marcelo 20.08.2021 | um 12:04 Uhr

Ich hab mich auch schon öfter gefragt, warum hier immer nur Artikel über Nazis oder Rassisten? Ist es vielleicht schon eine Art Angst davor, über andere Probleme, andere Gruppen, zu berichten? Ich meine mit "gegen Nazis" ist man ja eig. fast immer auf der "guten" Seite in der BRD, oder? Es wäre doch wünschenswert, über andere, teils auch gefährliche Gruppierung, welche die Verfassungs gefährden, auch einmal Artikel zu lesen. Macht doch echt mal was über z.B. die Unterwanderung der Hochschulen und öffentlich Rechtlichen durch Teile alter Stasi Mitarbeiter oder die radikale Linke oder mal über arabische Großclans und deren Frauen- und Menschenhandel. Das wär echt guter, breit gefächerter Journalismus. Ich hab das Gefühl, das Magazin wie der Kreuzer teils zu einseitig berichten. Immer gehts nur um "Nazis und Rassisten"..."leicht tendensiöse Berichterstattung" nennt man das wohl im journalistischen Fachjargon. Wie gesagt, im Osten macht man sich da in der City wohl die Hände aber auch nicht wirklich schmutzig, indem wir immer "Gegen Nazis" sind.

Leoni Peters 20.08.2021 | um 22:08 Uhr

Das große Hufeisenwerfen Ein guter Artikel und eine gute Recherche zu einer traurigen Realität und gleich wird vom Leser mit dem "Hufeisen" geschmissen: "extreme Rechte", "extreme Linke" und dazwischen die "vernünftige Volkssubstanz"? Das denkt sich der CDU Bürgermeister vielleicht auch?

Marcelo 24.08.2021 | um 09:43 Uhr

Hääh sorry aber was wie dazwischen und Volkssubstanz? Wie kommst du auf solche Zusammenhänge bei mir. Ich hab doch auch klar erklärt dass es ein guter Artikel ist, siehe: Marcelo | 19. August 2021 | um 10:29 Uhr Du solltest schon mal alles lesen, bevor du mit irgendeinem "Hufeissen" kommst. Aber gut passiert.... ich habe meine Meinung ja klar ausgedrückt, da gings nirgends um Volkssubstanz. Typisch für die Zeit aber gleich wieder solche Zusammenhänge zu bringen und schwuupps, ist man ein Nazi. Der Ablauf ist in etwas gerade medial so: Kritik an z.B. einseitiger oder mainstream oder linker Berichterstattung -> Belegenung mit Kampfbegriff (Volkssubstanz-Vertreter, Querdenker, AFDler, etc.) -> Rechts -> = Nazi -> Nazi = Freischein alles mit dem Menschen zu machen, was man will, unabhängig der Menschenrechte, da Nazi = das personifizierte Schlechte. Man darf ja scheinbar gar nichts mehr ausdrücken, was irgendwie unabhängig von vorgegebenem medialen oder bildungstechnischem Infos versucht zu sein. Das soll kein MiMiMi jammern sein, aber es ist einfach eine extrem gefährliche Entwicklung, daher sackt die BRD gerade auch stark ab in Meinungs- und Pressefreiheitstatistiken.

M. Groß 21.09.2021 | um 16:00 Uhr

Seid Ihr noch dicht? Ruf ich bei Juliane Nagel an und frage, ob sie Gulags für AFD Wähler in Connewitz plant? Ihr habt doch jedes Maß und jede Kopfgesundheit verl0ren!