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Kultur

Die antiquierten Menschen

Cristina Lucas zeigt in Chemnitz die Monstrositäten von Gestern und Heute

  Die antiquierten Menschen | Cristina Lucas zeigt in Chemnitz die Monstrositäten von Gestern und Heute

Chemnitz ist auf dem Weg zur europäischen Kulturhauptstadt 2025 und da dürfen bereits im Vorfeld internationale, zeitgenössische Kunstpositionen nicht fehlen. Die Kunstsammlungen Chemnitz präsentieren nun die erste Museumsstellung der spanischen Künstlerin Cristina Lucas – und damit ihre erste in Deutschland. Der Titel der Schau: »Maschine im Stillstand«.

Cristina Lucas wurde 1973 im andalusischen Jaén geboren, studierte anschließend in Madrid, an der University of California, Irvine und an der Rijksakademie Amsterdam. Heute lebt und arbeitet sie in Madrid, ihre Arbeiten wurden bereits auf unzähligen internationalen Festivals und Biennalen gezeigt. Kuratorin Sabine Maria Schmidt ist sehr froh, diese Präsentation gerade in Chemnitz zeigen zu können.

Eigentlich sollte die Ausstellung bereits im vergangenen Jahr eröffnen – pünktlich zum 75-jährigen Kriegsende. Doch die Pandemie durchkreuzte den Plan. Anlass für den Zeitpunkt der Eröffnung bildete die raumgreifende Dreikanal-Videoinstallation »Unendlicher Blitzschlag«. Zwischen 2015 und 2021 entstand die Arbeit über die weltweiten Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung. In sechs Stunden sieht das Publikum auf drei Projektionsflächen an welchen Tagen welche Bomben zum Einsatz kamen und wie viele Opfer sie forderten. Die nüchterne Aufzählung samt grafischer Lokalisierung auf der Weltkarte in Kombination mit den Aufnahmen von den Ereignissen rückt die Kriege unangenehm nah heran. Zumal ein Ende noch lange nicht in Sicht scheint.

Zu Leierkastentönen von »Revolution« der Beatles werfen ältere Menschen sehr vergnügt mit Pflastersteinen Fenster ein. Es handelt sich um ehemalige Arbeiter und Gewerkschafter, die so an der Glasfassade ihrer ehemaligen Arbeitsstätte »Europleasure International« und zahllosen Arbeitskämpfen ein Zeichen setzen. Zum Ende des Videos, das anlässlich der Liverpool Biennale 2010 entstand, steht »Touch and Go«. Die ästhetischen Ähnlichkeiten zu Ken Loachs Filmen sind dabei eingeplant.

Die Installation »Mehrwert« (2014 bis 2016) erzählt von den Manuskriptseiten des Klassikers »Das Kapital«. Obwohl die Kuratorin bemerkt, dass sich die Chemnitzer eher weniger mit Karl Marx beschäftigen wollen, könnte der hier zu sehende Film zu den Kapital-Manuskriptblättern doch neues Interesse wecken. Lucas recherchierte den Weg der Blätter nach 1933 aus Deutschland zum heutigen Standort am Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam. Zudem fragte sie beim Auktionshaus Sothebys nach, welchen Wert die Blätter heute auf dem Markt besitzen würden. Ganz einfach gefragt: Was passiert, wenn sie in den kapitalistischen Warenkreislauf geraten?

»Der Mensch, der fehlt« aus dem Jahr 2019 erzählt vor der Landschaftskulisse von Spitzbergen, was der Mensch im vollen Wissen zerstört. Der Titel zu den bewegten Bildern stammt von einem Gedicht Paul Klees. Der Text, der die Videoinstallation begleitet, ist ein Arrangement unterschiedlicher Theoretiker und Politiker aus verschiedenen Zeiten von Alexander von Humboldt bis Donald Trump.

Auch Günther Anders ist dabei. Er formulierte bereits 1955 in »Die Antiquiertheit des Menschen« die Auswirkungen der Technisierung. »Was uns prägt und entprägt, was uns formt und entformt, sind eben nicht nur die durch die Mittel vermittelten Gegenstände, sondern die Mittel selbst, die Geräte selbst: die nicht nur Objekte möglicher Verwendung sind, sondern durch ihre festliegende Struktur und Funktion ihre Verwendung bereits festlegen und damit auch den Stil unserer Beschäftigung und unseres Lebens, kurz: uns.«

In Erinnerung an die historischen wie zeitgenössischen Positionen zum Verhältnis Mensch, Natur und Technik möchte Lucas mit ihrer Arbeit »die Art von Gemeinschaft zu katalysieren, die noch nicht existiert, mit einer aufrichtigen, integrativen Kraft und einem kollektiven Ziel in Richtung einer zukünftigen, auf Nachhaltigkeit gerichteter Existenz.«


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