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Kultur

Die halbe Geschichte

In der Erinnerungspolitik der Parkstadt Dösen bleiben jüdische Patientiennen und Patienten unbeachtet

  Die halbe Geschichte | In der Erinnerungspolitik der Parkstadt Dösen bleiben jüdische Patientiennen und Patienten unbeachtet

Die von der Stadt vorgesehene Erinnerungspolitik in der Parkstadt Dösen bildet nur eine Seite des Schreckens im Nationalsozialismus ab.

Seit zwanzig Jahren steht das großflächige Gelände der ehemaligen Landesheil- und Pflegeanstalt Dösen an der Chemnitzer Straße fast leer. Vor 120 Jahren eröffnete hier eine kleine Stadt mit viel Natur und einzelnen Häusern als Anstalt. Heute fällt der Blick entlang der noch öffentlichen Hauptachse links und rechts durch die Gitterzäune auf die verwitterten Häuser. Ein Lost Place wie er in zahlreichen Bildbänden zu finden ist.

Nach zwanzig Jahren soll der Leerstand nun behoben werden. 600 Wohnungen plant Instone Real Estate auf dem Gelände der nun sogenannten Parkstadt Dösen. Die Bezeichnung lehnt sich an das hier zuletzt befindliche Park-Krankenhaus an, in dem neben der Psychiatrie auch Chirurgie und Innere Medizin als Behandlungsfelder auf dem Plan standen. Bis 1989 war es der Sitz des Bezirkskrankenhauses für Psychiatrie. Die Geschichte auf dem Gelände von 1933 bis 1945 soll in der Bebauung und Rekonstruktion als Wohngebiet einen wichtigen Aspekt spielen.

So ist es dem Verwaltungsstandpunkt des Kulturdezernats Anfang der Woche zu entnehmen, welcher der anstehenden Beschlussfassung in der Ratsversammlung dient. Darin heißt es: »Auf dem Gelände der ehemaligen Nervenheilanstalt Dösen in Leipzig wird in angemessener, aber deutlich sichtbarer Form an die Geschichte der Nervenheilanstalt unter besonderer Berücksichtigung der NS-Zeit und den Opfern der Kindereuthanasie gedacht werden. Hierzu sollen eine oder mehrere Gedenkstelen errichtet werden, die an die Geschichte der zukünftigen Parkstadt Dösen erinnern.« Konkret bedeutet dies, dass »eine oder mehrere Gedenkstelen« mittels Fördermittel und Spenden sowie Beteiligung des Grundstückseigentümers entstehen. Darüber hinaus sollen Straßen die Namen von Opfern der vor Ort stattgefundenen Euthanasie tragen. Das Gedenken richtete sich »vor allem sowohl an die Ermordung erwachsener psychisch kranker und geistig behinderter Anstaltsinsassen als auch an die systematische Ermordung von behinderten Kindern aus ganz Sachsen.« Von 1934 bis 1939 fanden auf dem Gelände fast 600 Zwangssterilisationen statt. Ab Oktober 1940 wurde eine sogenannte Kinder-Fachabteilung - Kinderpsychiatrische Abteilung - mit dem Ziel der Kindereuthanasie eingerichtet. Seit fünf Jahren erinnert eine Stolperschwelle außerhalb des ehemaligen Klinikgeländes an die Verbrechen.

Es ist ein Schritt, um die nationalsozialistischen Verbrechen in der Stadt in mahnender Erinnerung zu behalten. Allerdings wird bei diesem Vorgang die Geschichte der Aufarbeitung hier noch nicht ganzheitlich ausgeführt: Denn im Verwaltungsstandpunkt findet sich kein Hinweis darauf, dass an die jüdischen Patientinnen und Patienten erinnert werden soll.

Gauleiter Martin Mutschmann ordnete am 14. Dezember 1939 an, dass das 1928 eröffnete Israelitische Krankenhaus (in der heutigen Eitingonstraße) geschlossen wird. Innerhalb von wenigen Stunden mussten Personal und Kranke nach Dösen in das zentral gelegene Haus B und später in das am Rande gelegene Haus D umziehen. Andrea Lorz erinnert in ihren Büchern »Damit sie nicht vergessen werden! Eine Spurensuche zum Leben und Wirken jüdischer Ärzte in Leipzig« (2005 und 2017) an die Schicksale wie etwa Otto Michael. Die letzte Adresse des Chirurgen, der sich selbst nur noch Krankenbehandler nennen durfte, lautete: Chemnitzer Straße 50. Hier arbeiteten er und bis zu dessen Deportation nach Auschwitz im Sommer 1942 der Arzt Baruch Cires sowie sieben Pflegekräfte für ungefähr 30 Patienten auf einer Frauen- und einer Männerstation. Im Juni 1943 wurde Michael nach Theresienstadt deportiert. Das Israelitische Krankenhaus samt Eitingon-Stiftung liquidiert. Michael verstarb 1944. Lorz erinnert auch daran, dass es 1988/89 und 1992/93 Bestrebungen gab, Gedenktafeln an den Häusern B und D (heute St. Georg Klinikum) anzubringen. Das Unternehmen scheiterte an den verfallenen Fassaden.


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