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»Niemand ist eine abgetrennte Einheit«

Die japanische Künstlerin Chiharu Shiota über ihre Ausstellung in Leipzig

  »Niemand ist eine abgetrennte Einheit« | Die japanische Künstlerin Chiharu Shiota über ihre Ausstellung in Leipzig

Chiharu Shiotas Installationen sind ein Ganzkörpererlebnis. Zum ersten Mal stellt die Künstlerin nun ihre Arbeit in Leipzig aus. In »Internal Line« verbinden sich Kleider, Schlüssel, Schuhe, Boote oder Koffer zu einem Netz in Rot, Weiß oder Schwarz. Im Interview mit dem kreuzer spricht die Künstlerin über Herausforderungen und Potenziale der Installationskunst, die Symbolik roter Fäden und das Leben in Deutschland.

kreuzer: Frau Shiota, ihre Arbeit »Internal Line« wird zum ersten Mal in Europa ausgestellt. Wie war es für sie, die Installation vorzubereiten?
Chiharu Shiota: Wenn ich an einer Installation arbeite, muss ich natürlich immer daran denken, sie und das jeweilige Konzept an das neue Umfeld anzupassen. Der Aufbau im Museum der bildenden Künste war nicht einfach, weil der Raum sehr hohe Decken und eine Menge Fenster hat. Normalerweise werden meine Werke in Museen ausgestellt, die gar keine Fenster haben. Die Arbeit mit so viel natürlichem Licht war eine einzigartige und herausfordernde Erfahrung für mich – und ein Lernprozess. Aber das Ergebnis war sehr schön. Da die Ausstellung erst kürzlich eröffnet wurde, bin ich schon sehr gespannt auf Besucherreaktionen.

kreuzer: Sie sagen, dass sie die Farbe Rot generell verwenden, um Blut und die Verbindung zwischen Menschen zu veranschaulichen. Übergroße Kleider finden sich auch in ihren früheren Ausstellungen wieder. Wie sind diese etablierten Konzepte in die aktuelle Installation eingebaut?
Shiota: Richtig, rot repräsentiert für mich Blut und das Körperinnere. In meiner Arbeit stellen Blut und Körper die menschliche Identität und alles, was uns ausmacht, dar. Das ist auch bei »Internal Line« der Fall. Die Kleider stehen für eine zweite Haut. Indem ich sie durch rote Fäden miteinander verbinde, zeige ich die Verbindung zwischen Menschen. Die gesamte Installation ist aber auch eine Antwort auf den Ausstellungsraum.

kreuzer: Ihre bisherige Arbeit war zum Teil von ihren Träumen oder taoistischen Fabeln inspiriert. Woher kamen die Anregungen für diese Installation?
Shiota: In dieser Gesellschaft sind wir alle verbunden, niemand ist eine abgetrennte Einheit. Als Menschen beeinflussen wir immer auf die eine oder andere Art das Leben unserer Mitmenschen, dieser Gedanke war die Inspiration für die Arbeit.

kreuzer: Im Laufe ihrer Karriere haben sie unter anderem mit Malerei, Fotografie und Performance Kunst gearbeitet. Was kann die Installationskunst, was all diese Medien nicht können?
Shiota: Bei Installationen benutze ich den gesamten Raum, um meine Ideen zu übertragen. Es ist so, als ob das Publikum in den eigenen Körper eintritt. Bei der Bildhauerei und Malerei, wo ein Objekt für sich allein steht, müssen Betrachter andererseits eine lange Zeit aufwenden, um in das Konzept einzutauchen.

kreuzer: Gab es eine Besucherreaktion zu ihren Installationen bisher, die ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Shiota: Vor einigen Jahren habe ich ein Video namens »Badezimmer« gemacht, in dem ich meinen Körper mit schmutzigem Wasser wasche. In dem Werk ging es um Erinnerung und Erfahrungen, die man nicht von der Haut abwaschen kann. Während einer der Vorführungen dieses Videos habe ich ein Kind gehört, das zuschaute und sehr verwirrt war – sie fragte ihre Mutter, warum ich mich denn mit dreckigem Wasser sauber machen wolle. Ich hatte Spaß daran, zu sehen, dass Kinder das Konzept hinter dem Werk auf ihre ganz eigene Art interpretierten.

kreuzer: Sie kommen ursprünglich aus Osaka in Japan, sind aber schon seit 1997 in Berlin zu Hause. Wie hat sich das Leben in Deutschland auf ihre Arbeit ausgewirkt?
Shiota: Ich bin einige Jahre nach dem Fall der Mauer nach Berlin gezogen. Damals war die Atmosphäre in der Stadt einzigartig: überall wurde gebaut und ich konnte viele Dinge auflesen, um damit Kunst zu machen. Ich habe da zum Beispiel angefangen, alte Fenster von den Baustellen zu sammeln. Es war eine spannende Zeit, um Künstlerin in Berlin zu sein. Das hat meine Arbeit stark geprägt. Gleichzeitig sehe ich mich nicht als Berliner Künstlerin oder deutsche Künstlerin. Natürlich bin ich durch das Leben in Berlin beeinflusst, aber meine Arbeit dreht sich nicht nur um einen Ort oder eine Kultur.

kreuzer: Gibt es Materialien, Farben oder Objekte, mit denen sie in Zukunft mehr experimentieren möchten?
Shiota: Ich habe vor Kurzem angefangen, Netze aus rotem Leder zu machen: Ich schneide Löcher in den Stoff und mache damit 3D-Formen. Ich bin gespannt, wohin mich dieses Experimentieren mit dem Material führt.

Chiharu Shiota, »Internal Line«, bis 27.3., Museum der bildenden Künste

INTERVIEW: TANJA SCHANGIN


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