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Leipziger Polizeifestspiele

Polizeilicher Ausnahmezustand in Leipzig trotz Demo-Verbot

  Leipziger Polizeifestspiele | Polizeilicher Ausnahmezustand in Leipzig trotz Demo-Verbot

Auf Basis der Gefahrenprognose von Polizei und Verfassungsschutz hat die Stadt Leipzig mehrere Demonstrationen verboten. Trotzdem galt in der Stadt ein polizeilicher Ausnahmezustand. Kritiker halten die angewendeten Maßnahmen für unverhältnismäßig.

Am vergangenen Wochenende befand sich die Stadt Leipzig in einem polizeilichen Ausnahmezustand. Zeitweise wurden Grundrechte außer Kraft gesetzt, es waren über 2.000 Beamte in der Stadt, um befürchtete Ausschreitungen zu verhindern. Zuvor waren seitens der Stadt drei für Samstag geplante linksautonome Demonstrationen verboten worden.

Klagen gegen die Verbote hatte das Leipziger Verwaltungsgericht vor dem Wochenende abgewiesen und damit die Entscheidung der Stadt bestätigt. Die Anmelder verzichteten darauf, Widerspruch gegen die Entscheidung einzulegen. Sie befürchteten, dass das Verbot auch in höherer Instanz Bestand hat. Auf Twitter teilten sie mit, sie wolle keinen Präzedenzfall schaffen.

Jedes Verbot einer Demonstration stellt einen schweren Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit dar. Trotzdem entschied sich die Stadt Leipzig zu dem ungewöhnlichen Schritt. Grundlage dafür bildete eine Gefahrenprognose. Diese sah für das gesamte Wochenende gewalttätige Ausschreitungen voraus. Danach habe vor allem durch die bundesweite Mobilisierung autonomer Gruppen eine Gefahr gedroht, die durch das Verbot unterbunden werden sollte.

Um das Demonstrationsverbot durchzusetzen, hatte die Polizeidirektion Leipzig in Absprache mit dem sächsischen Innenministerium im Leipziger Stadtgebiet einen Kontrollbereich von Freitagabend bis Sonntag früh errichtet. Dabei ist es der Polizei erlaubt, anlasslose Kontrollen durchführen. Neben dem Verbot stellte dies einen weiteren erheblichen Grundrechtseingriff dar.

Eine Kontrolle trifft alle, aber nicht alle gleich

Für die meisten, die an diesen Tagen in der Innenstadt unterwegs waren, etwa um ihre Samstagseinkäufe zu erledigen, dürfte nur die massive Polizeipräsenz irritierend gewesen sein. Ansonsten war vom Ausnahmezustand wenig zu merken. Anders auf den Zufahrtsstraßen nach Leipzig: Dort sorgten Kontrollen für lange Staus und Behinderungen. Die Polizei wollte nach eigenen Angaben »die Anreise von Gewalttätern verhindern«, die trotz des Verbots in die Stadt reisen könnten.

Auch für Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Kundgebung der Initiative »Rassismus Tötet« blieb der polizeiliche Ausnahmezustand nicht unbemerkt. Gedacht wurde dabei Achmed B., der 1996 in der Leipziger Südvorstadt aus rassistischen Motiven ermordet worden war. Die Kundgebung wurde zwar nicht verboten, konnte aber nur unter strengen Auflagen stattfinden. Knapp 180 Personen nahmen teil, begleitet von einer großen Polizeipräsenz, die sich in den Seitenstraßen positionierte. Beobachtern zufolge sollen Teilnehmer auf dem Rückweg von der Kundgebung durch die Polizei mit Verweis auf das Kontrollgebiet kontrolliert worden sein. Der Polizei lagen auf Anfrage hierzu keine Informationen vor.

Burgfrieden hergestellt

Polizei und Innenministerium bewerten den Einsatz am Wochenende als vollen Erfolg. Das Verbot habe im Sinne einer »präventiven Maßnahme demobilisierend gewirkt«, resümierte der Leiter der Stabsstelle Kommunikation bei der Polizei Leipzig, Olaf Hoppe, den Einsatz. Juliane Nagel von der Linkspartei bewertet das Geschehen anders: Den Erfolg hätten sich Polizei und Innenministerium »auf dem Rücken der Grundrechte erkauft«, sagt die Connewitzer Abgeordnete dem kreuzer auf Anfrage. Sie ist überzeugt, dass Stadt und Polizei auch mildere Mittel als ein Verbot samt Kontrollbereich zur Verfügung gestanden hätten. Dieser Sicht widersprechen Stadt, Polizei und Innenministerium allerdings. Aufgrund der Gefahrenprognose hätte, so erklärt die Stadt Leipzig auf Anfrage, eine »geänderte Routenführung, Zusammenlegung zu einer Demonstration oder einer gemeinsamen stationären Kundgebung« an der Gefahrenlage nichts geändert. Besonders besorgt sei die Stadt dabei, dass »die eingesetzten Polizeikräfte« Angriffen ausgesetzt werden könnten.

Des Pudels Kern

Das gesamte Bühnenbild des polizeilichen Ausnahmezustandes am vergangenen Wochenende hing letztlich an der Gefahrenprognose. Steht ein solches Schreckgespenst einmal im Raum, will niemand die Verantwortung für mögliche Bilder brennender Barrikaden und fliegender Pflastersteine übernehmen.

Für die Erstellung der Prognose zuständig waren die Leipziger Polizei und der sächsische Verfassungsschutz. Insbesondere Letzterer steht seit Jahren in der Kritik, weil ihm vorgeworfen wird, die Gefahren des Rechtsextremismus zugunsten einer Fokussierung auf »Linksextremismus« zu unterschätzen. Zudem würde er laut Kritikerinnen die Aufklärung neonazistischer Netzwerke und Gewalt durch seine Verstrickungen im NSU-Komplex verhindern.

Doch nicht nur der umstrittene Geheimdienst, auch die Stadt habe mit »eigenen Recherchen« zur Erstellung der Gefahrenprognose beigetragen, wie es in einer Stellungnahme des Ordnungsamtes heißt. Worin die Recherche genau bestand und inwiefern sie sich mit der Einschätzung des VS und der Polizei deckte, geht aus der Stellungnahme indes nicht hervor.

Kopf ich gewinne, Zahl du verlierst

Der Erfolg des Präventionskonzepts war vorprogrammiert: Wäre es zu größeren Ausschreitungen gekommen, hätten die Polizei und das Innenministerium ihre Legitimationsgrundlage für die Grundrechtseingriffe gehabt. Wäre die Lage ruhig geblieben, hätte sie dies auf die massive Polizeipräsenz und das Kontrollgebiet zurückführen. Geschehen ist von beidem etwas.

Einerseits betonen Polizei und Innenministerium den Erfolg der Maßnahme. Andererseits erklärt David Quosdorf vom Referat für Kommunikation von der Stadt Leipzig auf Anfrage: Es hätten am Wochenende »Spontanaufzüge stattgefunden, Einsatzkräfte der Polizei sind mit Wurfgeschossen angegriffen, brennende Barrikaden errichtet sowie Bankfilialen angegriffen und Fahrzeuge vor Autohäusern angezündet worden. Dies zeigt mehr als deutlich, dass die behördlichen Einschätzungen zutreffend waren.«

Doch darüber, ob die Grundrechtseingriffe tatsächlich verhältnismäßig waren, werden letztlich die politische Debatte und mögliche Klagen entscheiden. Darum stellt die Linkspartei nun eine Kleine Anfrage zu Gefahrenprognose und Kontrollbereich im Landtag, teilte die Landtagsabgeordnete Nagel dem kreuzer mit. Allerdings wird der Inhalt wohl nie die breitere demokratische Öffentlichkeit erreichen, weil sie voraussichtlich vertraulich im Innenausschuss des sächsischen Landtags diskutiert werden wird.

FELIX SASSMANNSHAUSEN


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