THEATER EIN INTERVIEW VON TOBIAS PRÜWER »Wie wir sterben« Autorin Martina Heft er über die neue Performance von Pik 7 D as Künstlerinnenkollektiv Pik 7 wid- met sich in seiner neuen Produktion dem Thema Tod und dem Umgang damit. Wie dabei vorgegangen wurde und was zu erwarten ist, erzählt Autorin Martina Heft er im Interview. kreuzer: Was könnte auch schön werden? Martina Heft er: Das Leben vielleicht, irgendwann? Das Alter, das Altwerden, der Tod, das Sterben? So genau können und wollen wir das gar nicht beantworten. Der Titel ist ein Zitat aus meinem gleichna- migen Sprechtext im gleichnamigen Buch. Darin steht übrigens ganz konkret, was schön werden könnte. Es bezieht sich auf eine Einkaufsszene in den Höfen am Brühl. kreuzer: Alle reden von Sterben und Tod – schließen Sie sich einer Modewelle an? Heft er: Sterben und Tod, ja, ein wichtiges Thema. Wir sind sozial verfasste Körper, an andere gebunden, gefährdet. Diese Be- dingung der Verletzlichkeit des Menschen erfahren wir durch Verlust und Trauer. Als das Buch mit dem Sprechtext erschien, war das Thema allerdings noch gar nicht so präsent. Aber es gibt oft solche Gleichzei- tigkeiten, plötzlich war das Thema in aller Munde. Von einer Modewelle würde Gnade früher Geburt D er Artikel erinnert mich fatal an die LVZ Artikel vom Herbst '89, wo in ähnlicher Manier gegen die Andersdenken- den polemisiert wurde. Vermutlich hat der Schreiber zu der Zeit noch in die Windeln gemacht.« (Rechtschreibung im Original) – Nicht jede Publikumspost ist angenehm. Aber auch die nicht so netten, wie diese zu einem Kommentar aufs MDR-Uwe-Steimle- Zerwürfnis, sind lehrreich. Vielleicht gera- de diese. Denn sie zeigen: Es gibt Themen, bei denen eine bestimmte Publikumsgrup- pe komplett ab- und völlig freidreht. Das sind Themen, bei denen sie glaubt, eine Art Hoheitsrecht auszuüben. Noch ein Beispiel gefällig? »Wenn der Autor meint, dem Leser erklären zu 44 KREUZER 0120 ich nicht sprechen. Angesichts der Proble- me und Herausforderungen, die eine zunehmend älter werdende Gesellschaft mit sich bringt, ist es sehr notwendig, sich mit dem Themenkreis auseinanderzu- setzen, und zwar von jeder Seite. Ich verbringe viel Zeit in einem Pfl egeheim und besuche die Mutter meines Mannes. Da sehe ich täglich, wie hilfl os man zumindest in Deutschland immer noch ist, wenns um den Umgang mit Alter und Pfl ege- bedürft igkeit geht, selbst oder gerade auf dieser professionellen Ebene. kreuzer: Warum ständig übers Sterben sprechen? Heft er: Es geht vielleicht eher darum, wie wir sterben. Da gibts große Unterschiede – ob man allein und womöglich ohne große palliative Unterstützung im Pfl egeheimzim- mer oder sogar in irgendeiner Hütte stirbt oder gehegt und gepfl egt und ohne Schmerzen in einem Luxuspfl egeheim oder in einem Hospiz, ist häufi g eine Frage des Geldes und der Herkunft . Somit ist das Lebensende ein politisches Thema, auch ein globales. Es ist eine Illusion zu denken, der Tod wäre für alle gleich. kreuzer: Wie haben Sie die Performance entwickelt? Heft er: Die Performance wird keinesfalls eine textgetreue Umsetzung. Im Gegenteil, es ist kaum was vom Ausgangstext darin zu fi nden. Unser Grundsatz war, wir dürfen mit dem Text machen, was wir wollen – dürfen ihn verändern oder können ihn nur als Hintergrund hernehmen. Damit sind wir ganz unterschiedlich umgegangen. Ulrike Feibig hat Interviews zum Text ge- führt, mehr will ich aber nicht verraten. müssen, was ein Polylux ist, dann kann er im November 1989 nur ein Beobachter aus westlicher Perspektive gewesen sein.« So kommentierte ein Zuschauer die Kritik zur Hallenser »Bornholmer Straße«-Inszenie- rung. Und resümierte: »Ich persönlich halte die besprochene Inszenierung für ein Stück ›von Ossis für Ossis‹ und bin von dieser Kritik bitter enttäuscht.« Jedes Argument, jedes ästhetische Urteil wird in solchen Fällen abgebügelt mit Verweis auf einen unterstellten späten Jahrgang und/oder einen Geburtsort jen- seits der 15 DDR-Bezirke. Man wisse ja, wie das genau war damals, darum war das ein gelungener Theaterabend. (Ob man wirk- lich selbst vor Ort war, ist egal, man lebte in der DDR, das reicht.) Und der Kritiker hat gefälligst unrecht, wenn er Spiel und Inszenierung bekrittelt, weil er nicht dabei war. Und wenn ein DDR-Geborener sagt, die Gegenwart und der öff entlich-recht- liche Rundfunk – ebenso der kreuzer – sind DDR 2.0, dann ist das so. Er hat nämlich damals gelebt und andere können das gar nicht vergleichen. F O T O : J A N - L O E S E R / G A L E R E K U B I »Jede ›Bleibe‹ verewigt das Leben.« Gert Selle (links: M. Hefter) Angelika Waniek imaginiert sich in ihre eigene Zukunft . Für mich als Autorin des Sprechtextes war es nicht einfach, weil der Text schon wieder so weit in der Ver- gangenheit liegt. Ich habe beinah eine Art Abwehrtrotz entwickelt, mich dem Text noch mal zuzuwenden – den ich dann genutzt habe, um einen ganz neuen Text zu schreiben. kreuzer: Soll Ihr Abend Trost spenden, aufrütteln, gelassen machen? Heft er: Trost können wir eigentlich keinen spenden. Wie sollte das gehen? Ich würde tatsächlich am ehesten sagen, dass das Publikum »unterhalten« werden soll. Auf- klärerische Wirkung kann Kunst durchaus haben, aber das passiert eher nicht, indem man es sich als Künstlerin auf die Fahne schreibt. ■ »Wir arbeiten dran: Es könnte auch schön werden«: 10./11.1., 20 Uhr, 12.1., 18 Uhr, Schaubühne Lindenfels Das sind auch exakt jene Leute, die als Ein- zige wissen, was Demokratie ist, immerhin behaupten sie, 89 für demokratische Ziele auf die Straße gegangen zu sein. (Nur waren ja nicht alle knapp 17 Millionen DDR-Bür- ger auf der Straße.) Andere können deshalb nicht mitbestimmen, was Demokratie ist, und sollten am besten überhaupt nicht mit- bestimmen. Nur aus dieser Perspektive, die ge- nau genommen eine bloße Opferrolle ist, scheint der Vergleich schlüssig, dass die Nichtverlängerung des Steimle-Vertrags durch den MDR »Berufsverbot« sei. Und dass der Hinweis darauf, dass dieser Ver- gleich unsinnig ist, nichts anderes sei als Propaganda im SED-Stil. Dass Steimle jetzt nicht in der Produktion schuft et, sondern seine »Heimatstunde« zum Beispiel im Januar bequem bei den Leipziger Acade- mixern zu beklatschen ist, reicht diesen Zensur-Witternden nicht. Für sie ist man sicherlich schon »Volksverräter«, wenn man Steimle nicht lustig fi ndet. Denn sie allein dürfen bestimmen, was nicht lustig ist. Wegen damals und so. TOBIAS PRÜWER