Film Rezensionen 1 2 3 4 1 Beale Street Ganz große Liebe UsA 2018, auch omU, 119 min, R: Barry Jenkins, D: Kiki Layne, stephan James, Regina King Vor zwei Jahren erhielt Barry Jenkins’ »Moonlight« im Oscarfinale mit »La La Land«-Ladehemmung zu Recht den Haupt- preis für den besten Film. Nun hat der afro- amerikanische Regisseur und Drehbuch- autor sich ein Buch seines Lieblingsautors James Baldwin vorgenommen und erzählt von einer schwarzen Familie im Harlem der 1970er und von Alltagsrassismus, vor allem aber von der ganz, ganz großen Liebe. Pro- tagonisten sind die 19-jährige Tish und der etwas ältere Fonny, Kindheitsfreunde, aus denen irgendwann mehr wurde. Dass sie schwanger ist, muss Tish Fonny jedoch über das Gefängnisbesuchertelefon durch eine Glasscheibe verkünden. Weshalb er einsitzt, offenbart sich erst später, es liegt aber früh nahe, dass er unschuldig ist und wegen sei- ner Hautfarbe verhaftet wurde. Neben die- sem Handlungsstrang wird in Rückblenden behutsam geschildert, wie das Leben der beiden Liebenden vorher ausgesehen hat. Für das Hauptdarstellerduo Kiki Layne und Stephan James dürfte »Beale Street« den Durchbruch bedeuten. Beide geben trotz der etwas artifiziell anmutenden Romandia- loge und der distanzierten, verschachtelten Erzählweise eines der schönsten, bedin- gungslos romantischen Leinwandpaare der letzten Jahrzehnte ab. Mitverantwortlich für die außergewöhnliche Stimmung zwischen Melancholie und Optimismus sind zudem wie schon in »Moonlight« Nicholas Britells unaufdringliche Filmmusik und James Laxtons sinnliche Kameraarbeit. Peter HocH ■ Passage Kinos, ab 7.3. ■ Cineding, 21.-23., 25.-27.3. 2 Die Berufung – ihr Kampf für Gerechtig- keit The Notorious RBG UsA 2018, 120 min, R: Mimi Leder, D: Felicity Jones, Armie Hammer, Kathy Bates Es gibt sehr viele Amerikaner, die hoffen, dass Ruth Bader Ginsburg noch sehr lange lebt. Als vor ein paar Monaten bei der 85-Jäh- rigen eine Krebserkrankung festgestellt wur- de, bangte das liberale Amerika. Denn RBG, wie sie oft abgekürzt wird, ist seit 25 Jahren Richterin am Supreme Court. Trump-An- hänger halten RBG für ein Monster und warten nur auf ihren Abgang. Ganz und gar nicht wie ein Monster, sondern adrett, klug und höflich wird RBG von Felicity Jones im Hollywood-Biopic »Die Berufung« darge- stellt. Ruth ist eine von neun Jurastudentin- nen unter 500 männlichen Kommilitonen. Es sind die fünfziger Jahre, Frauen bleiben für gewöhnlich zu Hause und bekochen ih- ren Ehemann. Ruths Mann unterstützt sie dagegen, wo er kann. Er übergibt ihr, die trotz herausragender Noten keinen Job als Anwältin bekommt, den entscheidenden Fall: Ein Mann, der seine Mutter pflegt, muss mehr Steuern zahlen. Geschlechter- diskriminierung andersrum! An diesem ei- nen Fall zeigt Regisseurin Mimi Leder RBGs Kampf für die Gleichberechtigung auf: die Gegenwehr der Konservativen, die Diskus- sionen mit ihrer Tochter, die gedanklichen Mauern in einer Männerwelt. Leider bleibt Leders Film dabei selbst sehr konservativ und bieder, ein Drama mit einer überhöhten Heldin ohne Ecken und Kanten, die RBG aber ganz sicher hat. Wer die feministische Ikone besser kennenlernen will, sollte sich daher den auch erst kürzlich erschienenen Dokumentarfilm »RBG« anschauen. Juliane streicH ■ Passage Kinos, Regina Palast, ab 7.3. 3 Hi, Ai Zukunftsgestalten D 2019, Dok, 85 min, R: isabella Willinger Science-Fiction-Filmfans kennen sie aus den futuristischen Welten von »Star Trek«, »Blade Runner«, »Terminator« oder auch aktuell »Alita: Battle Angel«: Androiden, Maschinenwesen mit menschenähnlichem Äußeren, ausgestattet mit computerchip- basierter, künstlicher Intelligenz. Die bis- lang fiktiven Aspekte dieser »artificial intel- ligence«, kurz »AI», werden allmählich von Forschung und Wirtschaft der Gegenwart eingeholt. Immer mehr Institute und Fir- men weltweit arbeiten daran, humanoide Roboter zu konzipieren und zu perfektio- nieren. Mögliche Anwendungsbereiche gibt es viele. Die Dokumentarfilmerin Isabella Willinger zeigt in »Hi, AI« einige davon so- wie deren anorganische Protagonisten. Im Fokus stehen vor allem »Pepper«, der einer japanischen Seniorin mit nicht immer treff- sicheren Schlagworten die Zeit vertreibt, und die sprechende Liebespuppe »Har- mony«, die mit dem einsamen Chuck auf Wohnwagenreise durch die USA geht. Das, was inzwischen in der Roboterwelt mög- lich – und manchmal auch noch unmöglich – ist, ist bisweilen inspirierend, öfters zum Schmunzeln und gelegentlich auch etwas gruselig. Zwischendurch befeuern einge- streute Podcast-Schnipsel von Philosoph und Moderator Sam Harris und einer Robo- tik-Expertin die innere Auseinandersetzung des Zuschauers mit dem komplexen, span- nenden Thema, dessen weitere Entwicklun- gen den Alltag künftiger Generationen nach- haltig prägen werden. Peter HocH ■ Schaubühne Lindenfels, ab 7.3. ■ Cinémathèque in der Nato, 10.-13.3. 4 luz Die Leibhaftige D 2018, 70 min, R: Tilman singer, D: Luana Velis, Jan Bluthardt, Johannes Benecke Who’s that girl? Luz ihr Name. Das ist spa- nisch und bedeutet Licht. Und wer in der Bi- bel das Licht bringt, wissen nicht nur Kirch- gänger. Ja, in diesem Horror-Kunstfilm geht es mal wieder um den Teufel, so scheint es. In Tilman Singers Abschlussarbeit für die KHM Köln werden die Grenzen zwischen Realität, Erinnerung und Wahn nämlich bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Alles beginnt am Tresen einer schäbigen Bar. Der Psychologe Dr. Rossini wird von einer Frau, die sich Nora nennt, angesprochen und mit Cocktails und Drogen abgefüllt. Dabei er- zählt ihm die Fremde eine wirre Geschichte: Damals in der Klosterschule soll ihre Freun- din Luz sich mit dunklen Mächten einge- lassen und den Tod einer schwangeren Mit- schülerin verursacht haben. Einen Blackout später lernt Rossini die leibhaftige Luz ken- nen – auf dem Polizeirevier, wo die junge Ta- xifahrerin nach einem Unfall verhört werden soll. Mittels Hypnose versucht der Psycho- loge, die Ereignisse zu rekonstruieren. Was genau bei dem Unfall passiert ist, wer Luz und Nora wirklich sind und wer hier eigent- lich von wem oder was besessen ist, bleibt bis zum Ende des halluzinatorischen Kam- merspiels rätselhaft. Das muss man aushal- ten, ebenso wie den Umstand, dass es im Grunde keinen Plot gibt. In den wenigen, in kaltes Neonlicht getauchten Räumen braut sich stattdessen ein Grauen zusammen, das nicht greifbar wird und gerade deshalb sehr verstörend wirkt. Karin JirsaK ■ Luru-Kino in der Spinnerei, ab 21.3. 34 KREUZER 0319