MUSIK REZENSIONEN 1 2 3 4 1 African Head Charge Drumming Is A Language On-U Sound Progressive Dub 2 Baauer Planet’s Mad LuckyMe Trap/Techno/Bass Im Jahr 2015 wiederveröffentlichte das Label On-U Sound einige Alben der Band African Head Charge: Musik einer bri- tischen Band, die seit 1981 alle Genre- grenzen in Frage stellte. Die Gruppe um den Perkussionisten Bonjo Noah mischte archaische, jamaikanische Rasta-Rhyth- men mit Dub-Effekten und Industrial – und pfefferte das Ganze auch noch mit einer Prise Postpunk. African Head Charge setzten nie auf den schönen Klang. Diese Musik holpert, kreischt und brummt. Bässe verzerren, verenden im Nichts. Keyboards, Synthie-Sounds und Gesangsfetzen lösen sich in verstö- rendem Hall auf. Das Psychedelische, Düstere war stets das Terrain, auf dem African Head Charge ihren Platz fan- den. Niemand klingt wie African Head Charge und niemand wird in Zukunft so klingen. Das denkt man sich beim Hö- ren der wunderschönen neuen CD-Box »Drumming Is A Language«, welche den zweiten Teil der Reissue-Serie darstellt und die Alben »Songs Of Praise« (1990), »In Pursuit Of Shashamane Land« (1993), »Vision Of A Psychedelic Africa« (2005) und »Voodoo Of The Godsent« (2011), den bisher unveröffentlichten Raritäten-Sam- pler »Churchical Chant Of The Iyabinghi« und ein 36-seitiges Booklet enthält. Und auch diese Zusammenstellung zeigt, dass African Head Charge mehr sind als eine klassische Dub-Reggae-Band. Schroffe, polyrhythmische Trommeln und tiefe Bässe treffen hier auf verzerrte Gitar- ren, Field-Recordings auf experimentelle Sound-Schleifen, Afrobeat auf Funk und Krautrock – eine Herausforderung durch- aus, aber auch ein nahezu sakral anmu- tender, überaus obskurer Hörgenuss. Die jetzt vorliegende Box bietet eine lange Nacht wunderbar seltsamer, gefährlicher Musik, die ganz tief zu graben versteht. So tief wie die Bässe, die auf diesen CDs zu hören sind. Marc PEschKE Dieses Album erscheint wie bestellt zur beginnenden Festivalsaison. Eigentlich. Wir wollen es hier nicht noch einmal ausbuchstabieren, das Elend ist sattsam bekannt. So gewinnt »Planet’s Mad« eine tragische Größe, die dieser Musik an- sonsten nicht zwingend zukäme, denn sie ist im Selbstverständnis Funktions- musik. Der Beat muss knallen. Dieser Mix aus Trap, Techno, Trance und Drops, die man durchaus vorher schon kom- men sieht, damit man sich darauf freuen kann, ist dafür gedacht, den wildfrem- den Spaniern vom Zeltplatz lachend in die Arme zu fallen, nachdem man sich im Moshpit gegenseitig das Fell über die Ohren gezogen hat. Das Album kann man sich vorstellen wie einen guten Freizeit- park: Irgendwann weiß man recht genau, wie sich eine Achterbahn anfühlt, was nichts daran ändert, dass das Gefühl auch nach dem achten Mal immer noch geil ist. Baauer schlägt seine Haken und Loopings im Sound dabei clever genug, dass das Geschehen stets rasant bleibt und nicht in Autoscooter-Einöde abdrif- tet. So wie der Titel des Albums ist die Musik am Puls der Zeit, der Producer er- weist sich als gewissenhafter Streber, der zeitgenössischen Reggaeton, Trap und Auf-die-Zwölf-Techno studiert hat, ihn nach Belieben reproduzieren und für sei- ne Zwecke einsetzen kann. Innovativ ist sicherlich etwas anderes, Baauer macht weniger Haute Cuisine als vielmehr den »Best Burger in town«: Dieses Album ist für alle, die in der Tautologie, dass ein dicker Bass nun mal ein dicker Bass ist, eine tiefe Wahrheit erkennen, für alle, die den ganzen Sommer über Heimweh ha- ben werden nach dem Dreck, der Masse, den großen Bühnen und den Lichtern. Kay schiEr 3 Nap Eyes Snapshot Of A Beginner Jagjaguwar Indiepop Nap Eyes haben alle bisherigen Alben als Live-Sessions im Studio eingespielt. »Snapshot Of A Beginner« ist ihr erstes Studio-Album, welches von diesem An- satz abweicht. Ganz konventionell wurde diesmal jeder Song einzeln aufgenommen und bearbeitet. Das hindert sie nicht da- ran, genauso roh rockend daherzukom- men. Ihre Interpretation von verträum- tem Psychedelic-Pop hat nichts von seiner direkten Art eingebüßt und erinnert im- mer noch an eine genial produzierte Jam- Session, der man ewig beiwohnen möch- te. Die Kanadier lieben nach wie vor Lou Reed, haben aber ihren eigenen Sound so versiert weiterentwickelt, dass das große Vorbild nur noch im Hintergrund zusam- men mit Pavement und Bishop Allen ein Bierchen trinkt. Mit »Snapshot Of A Beginner« finden Nap Eyes die ideale Ba- lance zwischen Pop-Appeal, Introspekti- on und Lärm. Und Nigel Chapman präsen- tiert seine tollen Texte per Sprechgesang so zurückgelehnt und ungekünstelt, dass wir ihm gern auch noch ein paar Alben zuhören. Bitte mehr davon! Kay EngElhardt 4 Anna Burch If You’re Dreaming Heavenly Dream-Pop Mit ihrem umwerfenden Debüt »Quit The Curse« von 2018 hat Anna Burch einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Wer erwartet, dass es jetzt nahtlos dort weiter- geht, wird eines Besseren belehrt. Während der Erstling wie eine Ansammlung toller Singles anmutete, ist »If You’re Dreaming« wesentlich homogener, dichter und zu- rückhaltender. Inhaltlich widmet sich die Detroiter Musikerin hierauf Themen wie Lustlosigkeit, Isolation und anderen un- erfreulichen Aspekten von menschlichen Beziehungen bzw. dem Fehlen selbiger. Ausgiebiges Touren und diverse Umzü- ge forderten laut Auskunft der Künstlerin ihren Tribut. Flotter Power-Pop ist daher Mangelware. Dafür finden wir grandios- 34 KREUZER 0520