Flimmern im Park Tobias Ranks Wanderkino spielt historische Stummfi lme mit Livemusik unterm Sternenhimmel Das Wanderkino »Laster der Nacht« gehört zwei- fellos zu den schönsten Leipziger Sommertradi- tionen. Wenn auf der Warze im Clara-Zetkin Park ein historisches Feuerwehrauto parkt, fl immern unterm Nachthimmel Stummfi lmklassiker über die Leinwand, live begleitet von Tobias Rank am Piano und seinen musikalischen Partnern. In dem Filmerlebnis unter freiem Himmel, dem kompletten Arrangement der Veranstaltung, verwirk- licht sich der unwahrscheinliche romantische Traum vom ungebundenen Dasein in Verbindung mit Natur und Musik. Das Wanderkino als Gesamtkunstwerk reist seit 20 Jahren durch Europa: Rumänien, Serbien und die Türkei hätten in diesem Sommer auf dem Tourplan gestanden. Von 90 geplanten Veranstaltungen sind jedoch nur noch 60 übrig. Aus Angst vor Fehlern und manchmal vielleicht auch aus Bequemlichkeit sagen viele Veranstalter derzeit lieber alles ab. »Auf die- se Weise haben sie gleich ihr Programm für nächstes Jahr in der Tasche. Das nutzt nur mir nichts, denn ich lebe ja jetzt«, sagt Rank. »Ich schätze im Augenblick besonders diese vielen kleinen, zum Teil auch priva- ten Veranstalter, die einfach sagen: ›Schön, dass ihr kommt.‹ Es gibt damit die Möglichkeit, zu spielen und letztendlich auch Geld zu verdienen.« Tobias Rank am E-Piano ist diesmal im Duo mit seinem langjährigen Freund und Musikerkollegen Sebastian Pank an Bassklarinette und Saxofon zu er- leben. Nicht nur die musikalische Ebene beim Impro- visieren muss zwischen beiden stimmen, meint Rank, denn: »Ich brauche auch jemanden, der LKW fährt und mit mir aufb aut.« In diesem Jahr stehen zwei neue gemischte Programme aus Kurzfi lmen auf dem Plan. »Da gibt es neben den ›Kleinen Strolchen‹ auch einen Ausschnitt aus dem schwedischen Sozialdrama ›Fuhr- mann des Todes‹ von 1921, den ich auf 16 Millimeter habe. Das sprengt dann natürlich die Slapsticksachen.« Außerdem werden »Faust« und »Nanuk, der Eskimo«, einer der ersten Dokumentarfi lme, gezeigt. An einem der Abende zu Gast ist Richard Sied- hoff mit seinem ganz eigenen Stummfi lmklang, Rank nennt ihn »den besten Stummfi lmbegleiter, den ich der- zeit kenne«. In diesem Jahr ist es wegen der Abstands- regeln besonders empfehlenswert, eigene Decken oder Campingstühle mitzubringen. aNJa KLeiNMicheL ■ Stummfilmtage auf der Warze im Clara-Zetkin-Park, unweit der Sachsenbrücke, 9.–19. Juli nach Einbruch der Dunkelheit, gegen 21.30 Uhr, www.wanderkino.de Die zwei vom »Laster der Nacht« Sebastian Pank und Tobias Rank auf der Warze F O T O : I I C H R S T A N E G U N D L A C H MUSIK Notizen zu und aus der Bassbox Anschauungsmaterial Leuten beim Raven zuzuschauen, weil man selber nicht Raven gehen kann, ist wie … Ach, lassen wir das, ist halt scheiße, wissen wir alle. Kann man trotzdem mal machen. Hier zwei Beispiele: Anfang Juni sorgte die auf Youtube veröff entlichte Doku »Illegale Raves in Leip- zig – Party trotz Abstandsregeln?« für Auf- sehen. Y-Kollektiv-Reporter Frederik Fleig geht hier im Dienste der Recherche bis zum Äußersten (»Irgendwann habe ich mir sogar Telegram runtergeladen«), kann Situatio- nen blitzschnell einordnen und analysie- ren (»Man sieht noch was. Da sind noch halbwegs freshe Flaschen.«) und erweist sich als sensibler Kenner der Technoszene und ihrer Befi ndlichkeiten (»Ich fühle mich ziemlich fehl am Platz, wie so ein absoluter Stimmungskiller«, sagte der Journalist, als er mit seinem Kamerateam die illegale Kel- lerparty betrat). Es ist Fleig nicht vorzuwerfen, dass viele Gesprächspartner im Angesicht seiner hippen Kumpelattitüde standhaft bleiben und ihr Gesicht lieber doch nicht im Inter- net verbreitet wissen möchten. Da hatten es die Kollegen früher leichter: Zu einer Zeit, als AOL-E-Mailadressen und 56k-Modems noch Zukunft smusik waren, produzierte die ARD ein Kleinod mit dem Titel »Im Techno Rausch – 60 Stunden Dauerparty«. Wer sich schon immer gefragt hat, was der Begriff »Gesichtskirmes« eigentlich meint, fi ndet hier reichlich Anschauungsmaterial. Laut der raunenden Stimme aus dem Off (»60 Stunden hat die Nacht. Denn das ist der Rave, die große Party. Ausrasten im Techno- rausch.«) mussten sich bei der Begleitung der Vorzeigeraver Jana und Jochen drei Ka- merateams abwechseln, wenn auch immer- hin nicht Telegram runterladen. Damals in den Neunzigern gab es auf direkte Fragen (»Wie, ihr schlaft nicht?«) noch direkte Ant- worten: »Ja, wir werden, ähhh … also, Che- mie kann man ja von der Steuer absetzen.« Denkwürdig auch der Moment, in dem das Team Jana vor laufender Kamera auf der Aft erhour dazu verleitet (Off -Kommentar: »Wir wollen es jetzt wissen!«), Jochen einen Korb zu geben ( Jochen dazu: »Ich bin gera- de total kopfl eer«). Man fragt sich, was aus den beiden geworden ist, und fürchtet sich ein wenig vor der Antwort. Aber wie man auf Youtube, wo die Doku zu fi nden ist, sehen kann, hatten sie eine wilde Zeit, damals, vor Youtube. Und vielleicht hat es Jana wirklich nach Australien geschafft . Kay Schier JULIUS FISCHER 3.7. KNEIPENQUIZ 10.7. POETRY & HIPHOP [9.7. { 11.7. LEIPZIG POP FEST 17.7. GÖTZ WIDMANN 24./25.7. 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