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Bernhard Schlink: Abschiedsfarben

Bernhard Schlink: Abschiedsfarben

Bernhard Schlink: Abschiedsfarben. 240 S.

»Sie lernten sich auf einem Yoga-Wochenende an der Ostsee kennen«, beginnt eine der Erzählungen aus Bernhard Schlinks neuem Band »Abschiedsfarben«. Diejenigen, die sich da kennenlernen, sind ein Mann und eine junge Frau mit Kind. Gemeinsam gründen sie eine Familie. Jahrelang leben sie auf engstem Raum miteinander, bis zwischen Stiefvater und Tochter etwas Seltsames geschieht – etwas, das seine beschauliche Welt auf den Kopf stellt. So oder so ähnlich funktionieren die meisten Geschichten in »Abschiedsfarben«. Sie handeln von Menschen, die im Alter auf ihr Leben zurückblicken. Schlinks Figuren bedauern, hadern, warten auf den Tod. Manchmal begegnen sie anderen Überlebenden und kehren so kurz zurück in die Vergangenheit. Etwa in »Geschwistermusik«, wo eine alte Liebe das Leben eines Musikhistorikers auf den Kopf stellt. Nur selten gehen solche Begegnungen gut aus. Präzise und schnörkellos skizziert Schlink die Biografien seiner Figuren, offenbart Abgründiges in ihrem scheinbar geordneten Alltag. Dabei haben seine Charaktere meist genügend Geld, gehen in Konzerte, verbringen ihre Zeit mit Lesen oder Gesprächen über Kunst. Es sind ehemalige Architekten, Professoren oder Schriftsteller. Und sie haben fast ausnahmslos Karrieren gemacht, die heute sehr selten geworden sind. Ein Leben lang für denselben Arbeitgeber, ohne große Sorgen um die berufliche Zukunft. Eigentlich stecken gleich zwei Abschiede in diesem Erzählband: zum einen der der einzelnen Figuren, die dem Tod entgegensehen, und zum anderen der Abschied von einem Deutschland, das auf diese Weise nicht mehr existiert. Einer Bundesrepublik, in der der Wohlstand immer weiter wuchs. Ihren langen Atem fängt Schlink in seinen Geschichten gekonnt und mit melancholischem Blick ein. Josef Braun


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