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Bettina Köster

Bettina Köster

Kolonel Silvertop

Kolonel Silvertop

»Kolonel Silvertop« beginnt mit 1959, einem Jahr, genauso einzigartig wie jedes andere auch in der Weltgeschichte. Wie Menetekel schweben die Ereignisse des Jahres, mit Bettina Kösters rauchiger Alt-Stimme rezitiert, über den monotonen Beats: die Revolution in Kuba, die Schweiz stimmt gegen das Wahlrecht für Frauen, Bob Dylan macht seinen Schulabschluss, der erste Mensch stirbt an AIDS. Ganz nebenbei ist es auch das Geburtsjahr der Sängerin. Dabei soll es gar nicht um Vergangenes gehen. Weltgeschichte und Persönliches treffen sich vielmehr. Bettina Köster überführt zudem Chanson und No Wave in das Jahr 2017. Ein schöneres Beispiel als das »Novak«-Lied ist dafür kaum vorstellbar. Der Text beschreibt treffend diesen schmerzlichen Widerspruch: Die Liebe, die einem doch das Herz so weit aufgehen lässt, drückt einem oft genug gleichzeitig die Kehle zu. Oder ist das schon sexistische Bevormundung? Der Text des Chansons ist ein bisschen frivol und seine Geschichte ein wenig kinky. Die Barbesitzerin Gisela Jonas hatte das Original der Österreicher Chansonette Cissy Kraner in den 1960er Jahren noch ein wenig veranzüglicht, weswegen die Aufnahmen konfisziert wurden. Diese Mischung aus Melancholie und Leichtigkeit passt ebenso gut zu Bettina Köster wie die Gelegenheit, mit einer kleinen Anzüglichkeit eine Breitseite gegen Bigotterie zu schießen. Dabei hat die Inszenierung des Chansons so gar nichts mit Akkordeon-Geschunkel zu tun. Der Rhythmus wird eher von kräftigen Drumbeats und reduziert flirrenden Synthiesounds bestimmt. Natürlich könnte man diesem an No Wave orientierten Sound vorwerfen, dass auch er einer vergangenen Zeit entstammt. Aber auf »Kolonel Silvertop« geht es nicht um Genres und Trends. Es geht um musikalische Grandesse und dank der unantastbaren Stimmgewalt von Bettina Köster und der Erfahrung der MusikerInnen wie Justus Koehnke, Christine Hahn oder Jochen Arbeit ist das Album ein großes Stück Musik. Das zeigt sich auch an der zweiten Coverversion, »Where did you go to my Lovely«. Auf ganz wunderbare Weise eignet sich Bettina Köster das Lied an, als Frau und als Musikerin. Und bevor wir Vergleiche zu Malaria! oder Mania D ziehen konnten, ist diese Rezension auch bereits zu Ende. Aber Sie sehen, es ging auch ohne die Verweise auf die reiche Vergangenheit der Queen of Noise. Kerstin Petermann


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