Als im vergangenen Sommer der Traum vom fünften Fußball-WM-Titel bereits in der Vorrunde ausgeträumt war, traten viele Erklärer auf den Plan, die sich ihren Reim darauf machten. Dietrich Schulze-Marmeling erklärt in seinem Buch »Ausgespielt? Die Krise des deutschen Fußballs« die Situation recht umsichtig und findet sehr viele Beispiele, die das Geschehen auf dem Platz mit den Entwicklungen in einer »fußballisierten Gesellschaft« verbinden.
Sein realistischer Blick auf den Fußball beginnt lange vor dem vertanen Sommermärchen 2018 in Russland. In sechs Kapiteln beschreibt und erklärt Schulze-Marmeling die Mannschaftssituation der vorangegangenen Turniere, die Spielsysteme und Personalsituation in der Bundesliga sowie die Nachwuchsarbeit. So bilanziert er die Arbeiten von Trainern, die ein innovatives Fußballsystem bevorzugen – wie Jürgen Klopp oder Pep Guardiola –, die der Bundesliga den Rücken kehrten. Dies passt sehr gut zum Bild der deutschen Clubs in den internationalen Wettbewerben der letzten Jahre, um die Frage nach der spielerischen Qualität der Bundesliga nicht verstummen zu lassen. Dazu gehört auch die Verkümmerung der Spielqualität beim Umschaltfußball. Er rechnet mit den Experten ab, urteilt scharfzüngig über Akteure in der Bundesliga (etwa Uli Hoeneß), die sich oftmals ihres Vorbildcharakters nicht bewusst sein dürften. Dabei verbindet Schulze-Marmeling Spielanalyse mit medialen und politischen Meinungsbildungsprozessen. Er zeigt die starke Verbindung zwischen Nationalstolz, Wutbürgern und deutschen Fußballtugenden, die sich modernen und zeitgemäßen Spielformen entgegensetzen – Stichwort Mesut Özil.
Das Buch bietet eine gute Gelegenheit, nach den Aufregungen zur WM 2018 nüchtern auf den deutschen Fußball zu blicken und nicht den Finger gegen einzelne Akteure zu erheben. Das mag banal klingen, aber leider ist das im Fußballzirkus durchaus nicht selbstverständlich. Hier, wo sich Alphatiere und Geld so glänzend verstehen. Britt Schlehahn