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Friedemann Bedürftig, Christoph Kirsch, Thomas von Kummant

Friedemann Bedürftig, Christoph Kirsch, Thomas von Kummant

Guck mal, Goethe! - Ein Buch, zwei Meinungen

Friedemann Bedürftig, Christoph Kirsch, Thomas von Kummant. 109 S.

A:Der Leipziger hat seinen Klein-Pariser-Goethe-Spruch (auch wenn er gegenwärtig nicht in Leuchtschrift zu lesen ist) und sein jugendliches Goethe-Bild, das ihm vor rund 100 Jahren Carl Seffner auf den Naschmarkt stellte. Ein etwas anderes Goethe-Bild nun bietet die wieder aufgelegte 2-bändige Comic-Biografie »Goethe - Zum Sehen geboren« und »Goethe - Zum Schauen bestellt« aus dem Institut, das seinen Namen (in alle Welt) trägt. Denkt man an Lessings mahnende Worte, dass Klassiker mehr gelesen als gerühmt sein wollen, dann sollte ein Dichter heutzutage froh sein, wenn er einen Nach-Eckermann wie Friedemann Bedürftig findet und mit Würde zum Held der eigenen Bildergeschichte mutieren darf. Und das auf hohem Sprechblasenniveau. Denn auch zur Goethe-Zeit bevorzugten die (jungen) Leute nach »Hätschel-Hans?« Werther-Debüt eher die Räuberpistolen des späteren Schwagers Vulpius. Wie sehr Bilder Nachrichten sind, haben seit der Verwässerung der Bleiwüsten schon mehrere Mickey-Mouse-Generationen zu spüren bekommen. Da brauchts keinen Pisaturm-ähnlichen (Hochschul-)Lehrerzeigefinger, um zu erkennen, dass bloßes Hingucken immer noch besser als übliches Desinteresse ist. Auf diese Weise hat (Haupt-)Schüler den Namen Goethe wenigstens schon einmal gesehen. Und auch die Gestalt dazu. Ein Zeitgenosse, der dänische Diplomat Schönborn, beschreibt den Dichterfürsten allerdings so: »Er sieht blaß aus, hat eine große, etwas gebogene Nase, ein längliches Gesichte und mittelmäßige schwarze Augen und schwarzes Haar.« Unter der Puder-Perücke des Comic-Zeichners Christoph Kirsch verschwindet das überlieferte Bild leider. Dafür gibt es für das Altersbild, das von Thomas von Kummant stammt, eine herzzerreißende Entsprechung. Der Greis dreht sich im Kreise und hält um die siebzehnjährige Hand Ulrikes an. Zum Glück für die Literaturgeschichte hat sie ihm die nicht gegeben. Welche Bilder hätten Wortversessene entbehren müssen, die nicht zu zeichnen sind!B:Da fällt mir eine Stelle in Karl Philipp Moritzens überaus lesenswerten »Reisen eines Deutschen in England« (1782) ein: »Ausgemacht ist es, dass die Englischen klassischen Schriftsteller, ohne alle Vergleichung, häufiger gelesen werden, als die Deutschen, die höchstens, außer den Gelehrten, der Mittelstand, und kaum dieser liest. Die Englischen Nationalschriftsteller liest das Volk [?].« Moritz erklärt den Unterschied damit, dass die englischen Klassiker in wohlfeilen Ausgaben für jedermann erschwinglich seien. Ich fürchte aber, es gibt noch eine andere Ursache. Würden Sie auf eine einsame Insel lieber Goethes »Wilhelm Meister« oder John Fieldings »Tom Jones« mitnehmen? Lieber Jean Pauls »Titan« oder Sternes »Tristram Shandy«? Na bitte. Machen wir uns nichts vor: Die englischen Klassiker sind einfach witziger als die deutschen. Wenn also Letztere nicht gelesen werden, ist das auch eigene Doofheit. Ich will jetzt gar nicht unsere Literatur selbsthassmäßig runtermachen. Wir besitzen ein paar Bücher, die macht uns keiner nach (übrigens zwei davon von Moritz). Selbst Goethe hat manch Brauchbares geschrieben (»Werther«, »Die Wahlverwandtschaften«). Aber ein Goethe-Comic! Wissen Sie, woran mich das erinnert? An diese (meist evangelischen) Gottesdienste, in denen die Gemeinde mit Befindlichkeitsgeschwalle statt theologischem Schwarzbrot abgespeist wird. Ebenso wenig, wie sich dadurch jemand zum Christentum bekehren lässt, wird ein Schüler »Hermann und Dorothea« lesen, weil er den Goethe-Comic zur Konfirmation bekommen hat. Was wir brauchen, sind Deutschlehrer, die der Jugend glaubhaft erklären können, was an Goethe und seinen Kollegen nun so toll ist und warum es sich lohnt, das Zeug zu lesen. Ich behaupte nicht, dass das einfach ist. Olaf Schmidt


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