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Isidora Sekulic: Briefe aus Norwegen

Isidora Sekulic: Briefe aus Norwegen

Isidora Sekulic: Briefe aus Norwegen. 132 S.

»Vor langer Zeit lebte ein König namens Gylfi«, beginnt die serbische Schriftstellerin Isidora Sekulic märchenhaft. Sie befindet sich auf der Überfahrt nach Norwegen, betrachtet das Meer, das »Schwerter und Messer mit sich« zu tragen scheint und denkt an die Mythen und Sagen über die Entstehung Norwegens, »das eine barbarische Phantasie von nacktem Stein und Wasser ist«. 1913, das Jahr von Sekulic’ Reise, in der unsicheren politischen Ordnung zwischen dem zumindest offiziellen Ende des Balkankrieges und dem Beginn des Ersten Weltkrieges, die von einer Schwermut begleitet ist, von der man nie ganz weiß, ob Norwegen sie hervorbringt oder ob sie der Reisenden selbst anhaftet – »meine Seele ist überall dort, wo ich den Herbst verbracht habe«. Den damals verbreiteten Umweltdeterminismus teilt die Intellektuelle übrigens nicht, trotzdem zeigt sie die enge Verbindung von Landschaft und Leuten auf und versucht, sich das damals noch recht unbekannte Land verständlich zu machen, denn »Norwegen ist, wie allgemein bekannt, ein kleiner Staat, der in Europa keine Rolle spielt«. Die Auswahl der zusammengestellten Texte zeigt eindrücklich die Bandbreite des schriftstellerischen Könnens der Autorin, die mittels Momentaufnahmen ihre empfundene Zeit- und Ortlosigkeit heraufbeschwört: Ein Schlittenausflug endet in einer Diskussion über Bjørnson und Ibsen, in einem Essay reflektiert Sekulic über die Norweger als Gemeinschaft und beschreibt das gesellschaftliche Band, das mehr verknüpft als das Staatsgebilde als solches. Und sie begegnet den Einwohnern selbst, zitiert sie, wenn sie deren Lebensrealitäten beschreibt, und tritt in diesen einfühlsamen Reportagen respektvoll in den Hintergrund. Eine Liebeserklärung an Einfachheit, Nomadentum und Einssein mit der Natur in der Vergänglichkeit des Lebens. Das exzellente Nachwort der Herausgeberin Tatjana Petzer sorgt für die nötigen Hintergrundinformationen zur Biografie dieser herausragenden Schriftstellerin. Linn Penelope Micklitz


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