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John Lanchester: Die Mauer

John Lanchester: Die Mauer

John Lanchester: Die Mauer. 348 S.

»Die Mauer war überall und insofern kein Bauwerk, sondern ein Zustand.« Was Historiker Stefan Wolle für die DDR festhielt, gilt auch für das Großbritannien der nahen Zukunft. Zumindest für die Version, die John Lanchester für das Inselreich zeichnet: Es ist eine einzige Festung, die die Außenwelt abschottet. Rekrut Joseph Kavanagh erreicht das um die ganze Insel errichtete Bollwerk und tritt seinen ersten Dienst an. Die Lesenden folgen ihm, wie er die langweiligen Zwölf-Stunden-Wachschichten durchlebt, Übungsgefechte besteht und in einen realen Angriff verwickelt wird. Der soll sein ganzes Leben ändern. Die Soldaten haben permanent die Mauer im Kopf, denn wenn ein Migrant sie erfolgreich überwindet, dann muss der Verantwortliche das Land verlassen. Der Stoff ist so aktuell wie brisant: Die Klimakrise treibt die Menschen aus aller Welt in den europäischen Norden. Die Insel schottet sich ab, bildet eine Art Kastengesellschaft aus, in der alle alles tun müssen, um Einwanderung zu stoppen. Drinnen gegen draußen, wir vs. sie ist darum die das Denken beherrschende Dichotomie. Die Mauer als Zustand beherrscht die Geister, macht etwas mit den Leuten, wie die Grenzen, die wir um uns ziehen, etwas mit uns machen. Davon ist allerhand zu erfahren aus Kavanaghs Bericht. Er liest sich wie die Aufzeichnungen aus einem nahen Morgen. Das ist dramatisch wie fürchterlich. Leider erfährt man – das ist der limitierten Ich-Perspektive geschuldet – zu wenig über diese Welt. Wie ist sie organisiert, gibt es noch Staatenbünde oder ist da draußen jeder gegen jeden gestellt? Wie funktioniert das englische Sklavensystem? Das sind nur einige Fragen, die die verschenkte Chance dieses spannenden, aber nicht hellsichtigen Buches skizzieren. Tobias Prüwer


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