anzeige
anzeige
Knarf Rellöm: Wir müssen die Vergangenheit endlich Hitler uns lassen

Knarf Rellöm: Wir müssen die Vergangenheit endlich Hitler uns lassen

Knarf Rellöm: Wir müssen die Vergangenheit endlich Hitler uns lassen. 151 S.

Dieses Buch ist eine Offenbarung. Zumindest für alle, die sich für das Sammelgebiet »Hamburger Schule« interessieren. Dieser Kampfbegriff beschrieb in den neunziger Jahren die Musik- und Agitpropszene, die von der Elbe aus deutsche Pop- und Rockmusik neu definierte. Knarf Rellöm lässt in seinem Buch all das aufblitzen, was diese Szene einst zusammenhielt. Im Kern war das die Ablehnung jeglichen bürgerlichen Kunstdünkels (obwohl man seinen Adorno und Bourdieu natürlich gelesen haben sollte, vom »richtigen« Musikgeschmack ganz zu schweigen). Rellöm ist ein Meister der hingeworfenen Kurzform. Das Buch präsentiert hauptsächlich Songtexte seiner sich immer wieder neu benamenden Bands und Projekte. Dazu gibt es Interviews und skizzenhafte Kurzprosa, über die SPD, KISS und immer wieder Außerirdische. Die größte Hürde für Lesende ohne Diskurspop-Vorbildung dürfte deshalb die fehlende Musik sein. Besser gesagt: die fehlende Performance der Texte. Der Reiz des Spontanen, Ungeplanten und bewusst Offenen, der Rellöms Konzerten etwas Happening-Artiges gibt, lässt sich auf bedrucktem Papier nicht einfangen. So ist das Buch eines für Liebhaber*innen des gewieften Slogans, des Gedankenblitzes, der produktiven Verwirrung. So wie niemand Walter Benjamin gelesen hat, aber jeder Halbbohemian auf Partys vom »Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« smalltalken kann, sind Rellöms Kracher wie »Fehler is king« selbsterklärend und bedürfen darum keiner ausführlicheren Worte. Aber wer denkt, man müsse nur den Namen rückwärts lesen, hat Knarf Rellöm nicht verstanden. Humoristisch sind diese Texte nämlich trotz aller Witzigkeit auf gar keinen Fall.  Torsten Reitler


Weitere Empfehlungen