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Lasha Bugadze: Der Literaturexpress

Lasha Bugadze: Der Literaturexpress

Lasha Bugadze: Der Literaturexpress. 315 S.

Georgien, Tiflis, 2008. Vor dem Hintergrund des beginnenden Kaukasuskrieges treibt der junge Schriftsteller Zaza mehr oder weniger ziel- und antriebslos durch seine Tage. Sein Werk besteht aus einem einzigen Erzählband, dessen Verkauf schleppend läuft, seine Freundin Elene trennt sich von ihm, nachdem er sich eines Nachts im Schlaf verplappert und seine Untreue gesteht, er liegt den Eltern auf der Tasche, steht selten vor Mittag auf und hat keine Idee, worüber er als Nächstes schreiben könnte. Einziger Lichtblick: Er wird Teilnehmer des Literaturexpresses sein. Zusammen mit 99 anderen – ähnlich glücklosen – europäischen Autoren wird er einen Monat lang in einem Zug durch Europa fahren, ausgehend von Lissabon, mit Endziel Berlin. Die Rezensentin widerstand nur schwer dem Drang, sich die Teilnehmerliste des realen »Literaturexpresses Europa 2000« zu besorgen, um Lasha Bugadzes Buch »Der Literaturexpress« in voyeuristischer Manier als Schlüsselroman zu lesen. Tatsächlich fuhren im Sommer 2000 über hundert Autoren anderthalb Monate lang quer durch Europa, schrieben, diskutierten, lasen vor und kamen sich näher. Doch das Entlarven der Figuren hätte das Buch nicht interessanter gemacht. Es ist auch so ein gelungenes Stück Literatur. Bugadze, Jahrgang 1977, lebt in Tiflis. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten, Theaterstücke, gewann Preise und moderiert in Radio und TV Literatursendungen. Seinen Roman beginnt er mit den Worten: »Im August warfen die Russen Bomben auf uns. Im September trennte sich Elene von mir. Im Oktober fuhr ich nach Lissabon.« Ein verdammt guter Einstieg, und in diesem lakonischen, tragikomischen Ton fährt er fort. Gemeinsam mit Zaza kommt ein zweiter Georgier mit auf die Reise – der neurotische Lyriker Zwiad Meipariani. Gleich in Lissabon werden sie in einen Bus »verfrachtet«, der »auf wundersame Weise die postsowjetischen Konflikte der Neunzigerjahre widerspiegelt«. Armenier, Aserbaidschaner, Russen, Tschetschenen und viele andere werden da zusammengewürfelt, allesamt angeführt von Heinz, dem deutschen Organisator, der streng darauf besteht: »Lasst uns Politik Politik sein lassen und im Zug nur über Literatur reden.« Eine absurde Forderung angesichts der politischen Lage in Zazas und Zwiads Heimat. Während also die Unabhängigkeitsbestrebungen Südossetiens und Abchasiens von Russland militärisch unterstützt werden und georgische Minderheiten aus Südossetien fliehen, durchqueren Zaza und die anderen 99 Autoren Europa. Ihr Auftrag für die Reise: Schreibt! Zu Hause in Tiflis hofft Zazas Mutter indes auf den Durchbruch ihres Sohnes, um ihn endlich nicht mehr alimentieren zu müssen. Doch statt zu schreiben, vertrödelt er die Zeit, beobachtet die amourösen Verwicklungen der Mitstreiter und verliebt sich in die schöne Griechin Helena, die ihren Mann, den polnischen Schriftsteller und Übersetzer Maciek, begleitet. Überhaupt: Am unwichtigsten im Literaturexpress ist die Literatur. Manchmal laufen die politischen Diskussionen heiß, vor allem zwischen Russen und Georgiern, aber am heißesten wird es doch immer bei der Frage: Wer mit wem? Der Autor ist eben auch nur ein Mensch mit Bedürfnissen. Mit Witz und Charme nähert sich Bugadze diesem Haufen von Individualisten nicht über ihr Werk, sondern über all die kleinen Absonderlichkeiten und Schwächen der Einzelnen. Niemand wird der Lächerlichkeit preisgegeben, obwohl es viel zu lachen gibt. »Der Literaturexpress« ist eine hübsche Satire, wunderbar übersetzt von Nino Haratischwili, unterhaltsam, leichtfüßig. Kein Muss im Bücherregal, aber ein solides Kann. Daniela Krien


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